Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Verrat für den Wunsch der Freiheit

Laura Esquivel hat sich mit einem ehrgeizigen Projekt zurückgemeldet, mit einem biografischen Roman über Malinche, die Dolmetscherin des spanischen Eroberers von Mexiko, Hernán Cortés.

Von Eva Karnofsky | 20.01.2011
    In der offiziellen Geschichtsschreibung Lateinamerikas kamen Frauen nur in Nebensätzen vor, bis sich in den letzten Jahren vor allem Feministinnen verstärkt ihrer annahmen und sich bemühen, ihrer historischen Rolle nachzugehen. In diesem Kontext ist Laura Esquivels Roman Malinche zu sehen, der kürzlich im österreichischen Stockmann Verlag erschienen ist, einem kleinen, jungen Verlag, der seinen Schwerpunkt bei Literatur aus dem spanischen Sprachraum setzt.

    Das Wenige, dass man über Malinche weiß, hat ihr den Ruf der Verräterin und Hure eingetragen, hatte sie doch Hernán Cortés, dem Mann, der 1519 erstmals in Mexiko gelandet war, einen Sohn geboren. Laura Esquivel hat die spanischen Texte aus jener Zeit ausgeschöpft, und, das belegt die Bibliografie am Ende des Buches, sie hat die Lebensgewohnheiten sowie die sozialen und politischen Strukturen der zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts auf mexikanischem Boden lebenden Völker gründlich studiert. Das Ergebnis ist ein Roman, der chronologisch aus der Sicht eines allwissenden Erzählers das Leben der Malinche in ihrem sozialen Umfeld schildert, ihr in die Gedanken und in die Erinnerung schaut und schlüssige Erklärungen für ihr Handeln anbietet. Und er spürt in einem zweiten, kürzeren Erzählstrang Cortés´ Charakter und seiner Machtbesessenheit nach.

    Die Frau, die eigentlich Malinalli hieß und von den Spaniern auf den Namen Marina getauft wurde, war bereits als kleines Mädchen von ihren Eltern als Sklavin an ein anderes Volk verschenkt worden. Nachdem Cortés dieses Volk besiegt hatte, wurde Malinalli ihm geschenkt. Er nutzte ihre Sprachbegabung aus und ließ sie seine Gespräche mit den indigenen Herrschern übersetzen - und er vergewaltigte sie. Die Autorin wirbt um Verständnis für Malinalli:

    "Die Hoffnung, eines Tages leben zu können, wie es ihr beliebte, zu heiraten, wen sie wollte, und Kinder zu bekommen, ohne fürchten zu müssen, sie könnten als Sklaven enden oder den Opfertod erleiden, war verlockend genug, um keinen Schritt zurückzuweichen. Ihr größter Wunsch war es, ein Stückchen Land ganz für sich allein zu haben, um dort ihre Maiskörner auszusäen, die sie als Teil des Ackers ihrer Großmutter immer bei sich trug. Wenn es den Spaniern gelang, ihre Träume wahr werden zu lassen, war es allemal die Mühe wert, ihnen zum Sieg zu verhelfen."

    Esquivel arbeitet nicht nur die Lebensweise, sondern auch Wertvorstellungen und religiöse Grundsätze der Indigenen jener Zeit heraus. Malinalli werden sie von ihrer Großmutter vermittelt:

    "Die Barmherzigkeit des Gottes, der im Wasser wohnt, hat die Gefäße erfunden, wo es, während es unseren Durst stillt, zu uns spricht. Alle Gefäße, die Wasser enthalten, erinnern uns daran, dass Gott Wasser ist und somit ewig."

    "Ah!", sagte das Mädchen erstaunt. "Das Wasser ist also Gott?"
    "Ja. Ebenso wie das Feuer und der Wind und die Erde. Die Erde ist unsere Mutter, die uns ernährt, die uns, wenn wir auf ihr ruhen, daran erinnert, woher wir stammen."

    Nicht nur der Wunsch nach persönlicher Freiheit brachte Malinalli dazu, die Bewohner der Stadt Cholula an Cortés zu verraten, und ihm damit zu einem entscheidenden militärischen Sieg zu verhelfen. Esquivels Roman führt weitere Beweggründe für das Verhalten der jungen Frau an:

    "Malinalli war überhaupt nicht einverstanden mit der Art, wie die Azteken regierten. Ihr widerstrebte ein System, das sich anmaßte, bestimmen zu können, was eine Frau wert war, was die Götter wollten, vor allem aber, dass sie behaupteten, diese verlangten unzählige Blutopfer für ihren Erhalt. Sie war überzeugt, dass ein gesellschaftlicher, politischer und geistiger Wandel dringend Not tat. Sie wusste, dass die ruhmreichste Epoche ihrer Ahnen die Zeit des Gottes Quetzalcóatl gewesen war, und deshalb ersehnte sie so sehr seine Rückkehr."

    Lange, das ist überliefert, hielt Malinalli Cortés für Quetzalcoatl, den Gott, auf dessen Rückkehr die Azteken damals warteten. Die Ablehnung der Aztekenherrschaft und ihrer Menschenopfer, die Ezquivel Malinalli zuschreibt, ist aus Sicht einer Sklavin stimmig.

    Ezquivels Anliegen ist es auch, die Wurzeln des Mestizentums, dem Mexiko noch heute sogar in der Verfassung huldigt und dessen erster Spross Malinallis und Cortés´ Sohn Martín war, in Erinnerung zu rufen. Ihr Credo: Von der christlichen als der überlegenen Kultur zu sprechen, ist kaum angemessen. Esquivel lässt Mallinali überdies bei allen Unterschieden so manche religiöse Gemeinsamkeit feststellen, wenn sie etwa Quetzalcoátl, den ersehnten Erlöser, mit Christus vergleicht. Auch die Grausamkeit, im Namen des Glaubens begangen, eint Eroberer und Besiegte.

    Petra Strien hat Esquivels Bemühen um eine Anpassung an die formelle, bildreiche Sprache jener Zeit ordentlich übersetzt. Als Beispiel sei die Schöpfungsgeschichte der Azteken zitiert, die Mallinali Cortés erzählt:

    "Quetzalcóatl hat uns versammelt, uns geformt, er hat uns geschaffen. Aus den Sternen hat er unsere Augen geformt, aus dem Schweigen seines Seins hat er unseren Verstand genommen und ihn uns ins Ohr gehaucht; der Sonne hat er einen Gedanken entrissen und die Nahrung zu unserer Verpflegung erschaffen, das, was wir Mais nennen."

    Die gut strukturierte, feinfühlige Aufarbeitung des interessanten historischen Materials macht Malinche zu einem lesenswerten, keinesfalls langweiligen Roman.

    Laura Esquivel: Malinche. Aus dem Spanischen von Petra Strien.
    Stockmann Verlag, Bad Vöslau 2009. 223 Seiten.