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Versäumnisse der Vergangenheit

Die Afghanistan-Expertin Citha Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik bezweifelt, dass die afghanische Regierung zu einer Übernahme der Sicherheitsverantwortung in der Lage ist. Dafür sei zu einem erheblichen Teil die internationale Aufbauhilfe mitverantwortlich, die den Aufbau der Verwaltung vernachlässigt habe.

Citha Maaß im Gespräch mit Gerd Breker | 28.01.2011
    Gerd Breker: Derzeit befinden sich rund 140.000 Soldaten der internationalen Truppen in Afghanistan, um Karsais Regierung gegen die aufständischen Taliban zu unterstützen. Die NATO-Schutztruppe ISAF will Mitte des Jahres damit beginnen, die Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte zu übergeben. Ende 2014 soll dieser Prozess dann abgeschlossen sein. Wie Bundeswehrsoldaten in Afghanistan in Kundus die Lage einschätzen, hat Frank Capellan eingefangen.

    "Wir machen auf jeden Fall Fortschritte. Das kann man auch als Resümee für die sechs Monate sagen, die wir jetzt hier waren. Aber ich denke, dass es dieses Jahr noch nicht zum Abzug kommen sollte." - "Man hört ja immer wieder, da sei was gedacht, dass in Deutschland auch mal was stattfindet und so weiter, und dem versuchen wir hier, dem mehr oder minder Ursprung allen Übels den Garaus zu machen." - "Ich kann schon verstehen, dass oft hinterfragt wird, was wir hier wirklich machen, weil man natürlich oft hört, dass es Verwundete oder vielleicht sogar auch Tote gibt, und ich denke, wenn sich jeder damit im Einzelnen mal wirklich beschäftigen würde, würde er sehen, dass wir hier einen wirklich guten Job machen und dass es auch sehr wichtig ist, dass wir das machen." - "Die Menschen sind kriegsmüde, sie sind froh, dass wir da sind, sie sind froh, dass da, wo wir sind, keine Taliban mehr sind. Hier kommt etwas, was ich mal als Normalität bezeichnen würde."

    Breker: Die Meinung von Bundeswehrsoldaten aus Kundus. - Der Bundestag stimmte heute über das neue Mandat für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ab. Nach dem Willen der Regierung soll der Einsatz um ein Jahr bis Februar 2012 verlängert werden. Er wurde das auch. Erstmals wird aber auch ein Zeitrahmen für den Abzug der Kampftruppen genannt. Wenn es die Lage erlaube, soll er Ende des Jahres beginnen. Die SPD - das war von vornherein klar - würde in großen Teilen zustimmen, und so kam es dann auch.

    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Citha Maaß. Sie ist die Afghanistan-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Frau Citha Maaß.

    Citha Maaß: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Die afghanische Regierung, sie will ja die Übernahme der Sicherheitsverantwortung. Kann sie das überhaupt leisten, kann sie das im nächsten Jahr leisten, im übernächsten, kann sie das 2014 leisten?

    Maaß: Ich möchte noch mal auf das Wollen zurückkommen. An einem kleinen Beispiel möchte ich erläutern, dass die afghanische Regierung dann will, wenn es zu ihren Konditionen abläuft. Zum Beispiel war die Provinz Balch im deutschen Verantwortungsbereich als Kandidat für die Übergabe im Gespräch. Der Gouverneur ist aber ein Gegenspieler zu Präsident Karsai. Deswegen erscheint im Augenblick die Provinz Balch nicht oben auf der Übergabeliste.

    Aber jetzt zu Ihrer Frage: Kann die afghanische Regierung das? - Da sind große Zweifel anzumelden. Das ist allerdings auch zu einem erheblichen Teil der internationalen Aufbauhilfe zuzuschreiben. Man hat zu wenig Gewicht auf den Aufbau der Verwaltung gelegt. Alles, was zu dem Bereich Regierungsführung gehört, ist noch sehr stark unterentwickelt. Das hatte nicht die oberste Priorität in den letzten neun Jahren, und das wird sich jetzt in diesem Jahr und in den nächsten Jahren in diesem Übergabeprozess negativ auswirken.

    Breker: Sie haben es angesprochen: die Regierungsführung, Frau Maaß. Diese Woche gab es ja die konstituierende Sitzung des afghanischen Parlaments, eines Parlaments, bei dessen Wahl es offenbar ordentlich Betrügereien gab. Welche Legitimation hat eigentlich diese sogenannte Volksvertretung?

    Maaß: Die Volksvertretung hat eine sehr geringe Legitimation. Man muss dann aber ein Jahr zurückgehen und fragen, welche Legitimation hat Präsident Karsai. Denn seine Wiederwahl ist ja auch aufgrund von massiv gefälschten Wahlen hervorgegangen. In beiden Fällen hat die internationale Staatengemeinschaft die Wahlen finanziert. Sie hat technische Unterstützung geleistet. Sie hat auch einem Wahlgesetz gerade bei den Parlamentswahlen zugestimmt, das der afghanischen Regierung weitgehende Autorität eingeräumt hat, aber das eben keine politischen Parteien im Parlament zugelassen sind. Also da ist auch die internationale Gemeinschaft mitverantwortlich, dass sowohl der Präsident als auch das Parlament eine sehr geringe Legitimität haben.

    Breker: Wäre denn überhaupt eine Demokratie nach westlichem Verständnis, nach westlichem Muster ein Modell, das in Afghanistan eine Chance hat?

    Maaß: Wir haben das von den internationalen Politikern 2001 als weitreichendes Ziel für den militärischen Einsatz in Afghanistan gesagt bekommen. Inzwischen ist klar, dass eine Demokratie nach westlichem Vorbild nicht mehr eingerichtet werden kann. Man sollte die Afghanen fragen, wie sie selbst sich an der politischen Macht beteiligen wollen, wie sie sich selbst artikulieren wollen. Inzwischen ist man durchaus der Meinung, dass man Parteien braucht, auch wenn sie sich in der Vergangenheit diskreditiert haben. Es dürfte dann aber eine andere Form der politischen Meinungsbildung als in den westlichen Staaten sein. Nur auch diese Möglichkeit ist den Afghanen derzeit nicht gegeben.

    Breker: Wegen der Regierung Karsai?

    Maaß: Wegen der Regierung Karsai und einer Regierung, die von der internationalen Staatengemeinschaft gestützt wurde, und eine Regierung, die für die internationalen Partner jetzt in dem Übergabeprozess ist.

    Breker: Die Probleme, zum Beispiel die Probleme der Korruption, sie bestehen ja weiter, das ist auch weiterhin ein Thema. Nur wird Korruption in Afghanistan nicht anders verstanden? Ist Korruption nicht Teil der Kultur des Alltages?

    Maaß: In keinem Fall Kultur. Es ist leider ein tägliches Übel, was für die Afghanen besonders schmerzhaft ist, weil sie in vielen kleinen Dingen davon betroffen sind. Sie unterscheiden aber zwischen dem, was absolut notwendig hinnehmbar ist, also Bestechungsgelder für kleine Verwaltungsakte, die wir hier auch nicht dulden würden. Das wird aber hingenommen. Entscheidend sind aber die großen Formen der Korruption. Es gibt ein Stadtviertel in Kabul, das, man darf schon sagen, mit Palästen bebaut ist. Über diese Paläste werden auch in der Kabuler Bevölkerung Witze gemacht, traurige Witze. Daran kann man sehen, wie Profite aus der Drogenökonomie, aber auch Abzweigung von internationaler Hilfe in den Bau dieser Paläste investiert wurden, und die dort wohnen, sind von Karsai kooptiert worden und zahlen minimale Gebühren. Das sind Dinge, wo die Bevölkerung ganz klar frustriert ist und sagt, das wollen wir nicht, das haben wir nicht von unserer Regierung erwartet. Wir wollen, dass solche Gelder dann auch uns zugutekommen. Denn in der Stadt Kabul zum Beispiel gibt es eben auch Slum-Viertel und gibt es sehr viele zig Tausende, die eben keine Wohnung haben, sondern zum Teil in Zelten übernachten müssen.

    Breker: Keine Wohnung und in der Regel auch keine Arbeit. - Der Drogenanbau gilt ja als weiteres großes Problem. Aber gibt es denn Alternativen als Lebensgrundlage zu diesem Drogenanbau?

    Maaß: Es geht jetzt weniger darum, ob man jetzt die Mohnpflanze durch ein anderes landwirtschaftliches Produkt ersetzt. Das Entscheidende ist, dass die Drogenökonomie sich über 30 Jahre Krieg und jetzt eben leider auch Wiederaufbau ganz tief in die staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen hineingefressen hat. Man kann sie als Krebsgeschwür bezeichnen. Und es sind eben nicht nur die Aufständischen, die davon profitieren, sondern es sind Mitglieder des Präsidentenclans. Es sind Personen, die Präsident Karsai in hohe Ämter eingesetzt hat. Es sind Gouverneure, es sind Polizeichefs auf allen Ebenen. Es ist also wirklich ein Krebsgeschwür im politischen System Afghanistans.

    Breker: Afghanistan gilt ja, Frau Maaß, als Stammesgesellschaft. Lässt sich das durch eine starke Zentralregierung eigentlich wirklich ändern?

    Maaß: Nein. Man müsste eigentlich den Provinzen mehr Macht einräumen. Wir haben bislang noch ganz wenig Informationen, wie sich die NATO diesen Übergabeprozess vorstellt, aber es ist durchgesickert, dass der Chef dieses Übergabeboards, Dr. Ashraf Ghani offenbar noch an einer noch zentralistischeren Version des politischen Systems arbeitet. Das widerspricht eigentlich den Erfahrungen, die man in Afghanistan selbst gemacht hat, und das widerspricht auch den Forderungen von afghanischen Oppositionspolitikern, die nicht aus der paschtunischen Mehrheitsethnie stammen. Also da kommen, glaube ich, noch enorme Probleme auf uns zu.

    Breker: Frau Maaß, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist das Regime Karsai ein Teil des Problems Afghanistans. Gibt es denn Alternativen?

    Maaß: Präsident Karsai ist definitiv ein Teil des Problems. Es geht jetzt nicht darum, einen Kopf gegen den anderen auszutauschen. Die Strukturen, die wir seit 2001 mit aufgebaut haben, die also auch aus dem Bonner Prozess hervorgegangen sind, sind inzwischen in eine Richtung gedriftet, sind so deformiert, dass also wirklich eine strukturelle Korrektur angebracht wäre. Da könnte man zum Beispiel, gerade jetzt nach diesen sehr gefälschten Parlamentswahlen, einen neuerlichen Versuch machen, so wie es auch die europäische Wahlbeobachtermission Ende 2009 vorgeschlagen hat, ein neues Wahlgesetz auszuarbeiten, dann noch mal zu überprüfen, ob nicht den Provinzen doch mehr Macht gegeben wird, und zwar auch fiskalische Macht. Das ist die Frage, ob man das vielleicht als Reformen in diesen Übergabeprozess doch noch einfüttern kann.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Position von Citha Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Frau Maaß, danke für dieses Gespräch.

    Maaß: Auf Wiederhören.