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Verschärfung des Asylgesetzes
Pro Asyl: Neues Gesetz schützt nicht vor Straftaten

Es sei eine verschwindend kleine Minderheit von Flüchtlingen, die durch Übergriffe auffällig geworden seien, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl", im DLF. Das schärfere Asylgesetz könne die Ursache für Straftaten nicht verhindern.

Günter Burkhardt im Gespräch mit Jochen Spengler | 27.01.2016
    Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl.
    Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Jochen Spengler: Am Telefon ist jetzt Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl", die sich seit über 25 Jahren für die Rechte von Flüchtlingen einsetzt. Guten Abend, Herr Burkhardt.
    Günter Burkhardt: Guten Abend.
    Spengler: Herr Burkhardt, dass die vielen unbescholtenen Hilfesuchenden in Deutschland nicht mit ausländischen Straftätern in einen Topf geworfen werden, das müsste doch eigentlich auch in Ihrem Interesse liegen.
    Burkhardt: Ja, das geht in diesen Tagen unter. Es haben sich Flüchtlinge distanziert von diesen Übergriffen, von den Angriffen, von den wirklich widerlichen Vorfällen, um es mal so deutlich zu formulieren. Es ist eine verschwindend kleine Minderheit, die hier auffällig geworden ist. Erst mal muss ein Täter gefasst sein, völlig egal, ob er deutscher Herkunft ist oder eine ausländische Staatsangehörigkeit hat. Es muss in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein, dass es einen Gerichtsprozess gibt, dass die Beweise vorgelegt werden. Mich hat sehr überrascht, wie schnell in Deutschland die Unschuldsvermutung zur Disposition gestellt wurde, nach dem Motto, wir schieben doch einfach mal die Leute ab, bevor überhaupt sie verurteilt sind. Und das Gesetz, auf das Sie zu sprechen kommen, tut so, als wenn es an der Ursache etwas ändern würde. Es ändert doch aber nichts daran, wenn ich nicht entsprechend als Staat bei der Exekutive reagiere. Es ist reflexartig, wie in Deutschland, wenn es zu einem Behördenversagen kommt, sofort die Politik nach dem Gesetzgeber ruft, und der Gesetzgeber macht schärfere Gesetze, als wenn das so etwas verhindern würde.
    Spengler: Aber was ist an diesem Gesetz falsch?
    Burkhardt: Wenn Straftaten geschehen, müssen sie vor Gericht geahndet werden. Dann ist die Frage natürlich zu stellen, was geschieht mit der Person, wenn sie ihre Strafe verbüßt hat. Da gilt auch in Deutschland, auch bei Straftaten, die man ablehnt, die man in keinster Weise billigen kann, dass die europäische Menschenrechtskonvention eine Abschiebung verbietet, wenn in dem Herkunftsstaat Gefahren für Leib und Leben drohen, dem Betroffenen etwa eine unmenschliche Behandlung droht. Das ist nicht sympathisch vielleicht im Einzelfall, das sind aber die Grundlagen, auf denen unsere Gesellschaft beruht, auf Grund- und Menschenrechten, und die gelten auch dann, wenn ein Mensch hier eine Straftat begangen hat, die man missbilligt.
    "Es sind ja keinesfalls alles Asylsuchende gewesen"
    Spengler: Aber das Gesetz widerspricht doch diesem Grundsatz gar nicht. Das Gericht müssten Sie mir zeigen, das zum Beispiel einen Straftäter nach Syrien abschieben würde.
    Burkhardt: Das Gesetz ist erst mal so angelegt, dass, wenn ein Straftäter - und hier müssen wir betonen: Es sind ja keinesfalls alles Asylsuchende gewesen, die sich hier in Deutschland aufhalten, sondern es gibt in der Gruppe den Verdacht, dass einige Asylsuchende sind. Und wenn ein Asylverfahren läuft, dann kann nach diesem Gesetz schneller, einfacher abgeschoben werden, indem man abwägt, was ist die Gefahr für die Sicherheit dieses Landes, für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, steht das im Verhältnis zur Abschiebung des Straftäters.
    Spengler: Insofern ist der Rechtsstaat doch gewahrt.
    Burkhardt: Der ist aber dann nicht gewahrt, wenn hier erwogen wird, eine Abschiebung auch dann vorzunehmen, zu ermöglichen, die Hürden zu senken, wenn eine Gefahr besteht, dass der Betroffene ein Flüchtling sein könnte, und Flüchtling heißt jetzt nicht, der kommt her und sagt, ich brauche Schutz, sondern Flüchtling heißt, er ist verfolgt, hat gravierende Gefahren zu fürchten, wenn er abgeschoben wird, und dann kann man, selbst wenn jemand eine Straftat begeht, jedenfalls nicht einfach so den Menschen abschieben.
    Spengler: Aber warum sollte einer hier den Schutz unseres Staates vor Verfolgung überhaupt erhalten, wenn vor diesem Asylbewerber der Staat zugleich die hier lebenden Bürger schützen muss?
    Burkhardt: Das ist genau die schwierige Frage: Wie weit darf man gehen, um die Menschen, die hier sind, zu schützen? Noch einmal: Ein Gesetz schützt nicht. Wenn einer wiederholt Straftaten begeht, Terrorismusgefahr droht, dann kann man ihn sehr wohl ausweisen, den Schutz entziehen. Aber es muss abgewogen werden und zugleich muss man wissen: Wenn Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland drohen, dann muss das berücksichtigt werden.
    Spengler: Ich habe den Eindruck, das wird auch in dem neuen Gesetz berücksichtigt, Herr Burkhardt. Es geht nur darum, dass man leichter abschiebt, indem man die Straftat-Schwelle senkt. Das heißt, wenn jemand zu mehr als einem Jahr Haft verurteilt wird, das reicht dann aus, um abzuschieben.
    Burkhardt: Ich glaube, dass diese Diskussion im Moment in Deutschland vorschnell mit dem Flüchtlingsetikett geführt wird, dass man sehen muss, wer waren denn die Täter. Da ist auch sehr die Frage zu stellen, sind dies Schutzsuchende, die Schutz genießen müssen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Das wäre überhaupt einmal erst festzustellen. Hier wird mit diesem Gesetz eine Gruppe in den Brennpunkt der Öffentlichkeit gestellt, die ohnehin mit Vorurteilen überschüttet wird, wo Stimmung geschürt wird, wo Ablehnung besteht und wo dann das Verhalten einzelner Personen, was nicht zu billigen ist, der ganzen Gruppe zugeschoben wird. Das ist das Problem, was wir mit diesem Gesetz haben.
    "Dieses Gesetz hat einige Fallstricke"
    Spengler: Herr Burkhardt, verstößt dieses Gesetz, was im Bundeskabinett durchgewunken wurde, verstößt es gegen die Genfer Flüchtlingskonvention?
    Burkhardt: Das ist eine Frage, die kann man nicht so ganz einfach beantworten. Da muss man tief in das Gesetz einsteigen. Es muss aus unserer Sicht in jedem Einzelfall abgewogen werden und es ist schwierig, und von daher hat dieses Gesetz einige Fallstricke, wo Juristen der Auffassung sind, das berührt sehr wohl die Genfer Flüchtlingskonvention, und es ist fraglich, ob das so einfach geht, wie es die Bundesregierung möchte.
    Spengler: ... sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von "Pro Asyl".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.