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Verschärfung des Asylrechts
"Jeder hat Anspruch auf eine Einzelfallprüfung"

Der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Tom Koenigs, kritisierte im Deutschlandfunk die geplante Änderung des Asylgesetzes. Er warf der Bundesregierung vor, mit der Einstufung Serbiens, Bosnien-Herzegowinas und Mazedoniens als sichere Herkunftsländer das Asylrecht auszuhöhlen.

Tom Koenigs im Gespräch mit Peter Kapern | 17.09.2014
    Tom Koenigs war als Sonderbeauftragter der UNO in Afghanistan, Guatemala und dem Kosovo.
    Tom Koenigs, menschenrechtspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, lehnt die geplante Asylreform ab. (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    Jeder Asylbewerber müsse gleich behandelt werden und das Recht auf eine Einzelfallentscheidung erhalten. Der Grünen-Politiker und frühere UN-Sonderbeauftragte Koenigs betonte, dies gelte auch für Roma. Deren Zuwanderung nach Deutschland könne man vor allem reduzieren, indem man ihre Situation in den Herkunftsländern konkret verbessere.
    Nicht nur Symbole, sondern konkrete Hilfe
    Es dürfte nicht bei einer reinen Symbol-Politik bleiben, die man versuche, auf Kosten der Flüchtlinge durchzupauken. Die geplanten Reformen bezeichnete Koenigs als "Verschlechterung des deutschen Asylrechts". Dies lehne er ab. Stattdessen forderte er, die Aufnahmemöglichkeit für Flüchtlinge in Deutschland zu erweitern und die Auswahlstellen personell und finanziell aufzustocken.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: 200.000 Flüchtlinge werden dieses Jahr nach Deutschland kommen, so die Schätzungen der Experten. Vor 20 Jahren waren es schon einmal mehr. Gleichwohl ächzen die Länder und Kommunen unter dem Ansturm. Die Aufnahmezentren sind überfüllt, Flüchtlinge müssen in Zelten untergebracht werden, weil es keine anderen Unterkünfte mehr gibt. Die Zahl der Asylverfahren soll reduziert werden, ihre Dauer verkürzt. Das hat sich die Bundesregierung vorgenommen, und deshalb will sie drei Länder des westlichen Balkans, nämlich Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu sicheren Herkunftsländern erklären. Das bedeutet: Wer aus diesen Ländern stammt, kann in Deutschland kein Asyl mehr erhalten. Für dieses Gesetz braucht die Große Koalition aber den Bundesrat, oder genauer gesagt die Zustimmung jener Bundesländer, in denen die Grünen mitregieren. Doch für ihr Ja verlangen die Grünen Zugeständnisse, die die Bundesregierung bislang nicht zu geben bereit ist. –
    Tom Koenigs ist ein Kenner des Balkans und menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, und vor der Sendung habe ich ihn gefragt, ob allein die Zahl der Flüchtlinge dafür verantwortlich ist, dass sich Deutschland derzeit so offensichtlich als überfordert erweist, sie aufzunehmen.
    Tom Koenigs: Ich glaube nicht. Es gab ja in der Zeit der Balkan-Kriege sehr viel höhere Zahlen, und ich glaube, mit einer gewissen verwaltungsmäßigen Erfahrung kann man diesen Herausforderungen durchaus entgegentreten, und es gibt ja auch Ämter, die das machen. Da braucht man nur etwas Goodwill, da braucht man etwas Flexibilität und wahrscheinlich auch mehr finanzielle Unterstützung der Kommunen. Aber das geht!
    Kapern: Wer hat da versagt?
    Koenigs: In manchen Fällen konkrete Behörden vor Ort. Ich finde, es geht überhaupt nicht, dass man eine Einrichtung schließt, eine Aufnahmestelle. Es geht auch nicht, dass man unangekündigt mit Bussen Leute in der Landschaft herumschickt, ohne sich darum zu kümmern, ob sie was zu essen haben. Aber was möglich ist, ist, dass das Technische Hilfswerk Zelte aufstellt, dass sich das Rote Kreuz um Leute kümmert, die plötzlich irgendwo auftauchen. Da gibt es sehr viel Goodwill und auch sehr viel Effizienz. Zum Beispiel hier in Gießen haben wir das gemacht.
    Kapern: Nun will die Bundesregierung, die Große Koalition reagieren auf diese stark steigenden Flüchtlingszahlen durch eine Änderung des Asylrechts. Konkret: Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien sollen zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Sind sie das?
    Mehr Personal, transparentere Verfahren
    Koenigs: Ich glaube, das Mittel der sicheren Herkunftsländer ist eines, das man aus gutem Grund in den vergangenen Jahren nicht angewandt hat, und das ist auch untauglich. Nach dem Asylrecht - und das ist ein Menschenrecht und ein Grundrecht - hat jeder den Anspruch auf eine Einzelfallprüfung. Man kann jetzt dafür sorgen, dass die Verfahren schneller sind, indem man mehr Personal einsetzt, indem man die Verfahren transparenter macht. Das ist richtig, das ist wichtig, auch unter Umständen, dass man in Ländern, wo Leute herkommen, informiert, welche Möglichkeiten des Asyls und auch welche Unmöglichkeiten es gibt. Aber pauschal zu sagen, das ist ein sicheres Land, da gibt es keine Verfolgung, das ist, glaube ich, nicht zeitgemäß.
    Kapern: Aber Innenminister de Maizière hat heute noch mal gesagt, die Roma in diesen Ländern, die werden wohl diskriminiert, aber nicht verfolgt. Also - dann haben sie doch auch keinen Anspruch auf Asyl?
    Koenigs: Wenn es um Roma geht - und in manchen Fällen geht es um Roma -, dann soll man konkret etwas für die Roma machen. Dann soll man in diesen Ländern - das sind ja Beitrittsländer - dafür sorgen, dass die Verhältnisse so sind, dass die Menschen dort leben können, dass die Menschen dort integriert werden, dass die Menschen dort nicht Verfolgung befürchten müssen.
    Kapern: Aber genau dafür, Herr Koenigs, hat die Europäische Union doch schon gigantische Millionensummen zur Verfügung gestellt.
    Koenigs: Die von den Ländern nicht in einer vernünftigen Weise abgerufen werden. Da muss man sich kümmern, da muss man die Programme besser umsetzen. Das ist eine Aufgabe der Gemeinschaft, einschließlich der Beitrittsländer, und nicht eine Aufgabe des deutschen Asylrechts.
    Kapern: In Ihren Augen wäre die Verteilung des Labels als sicheres Herkunftsland für diese drei Länder eine substanzielle Verschlechterung des deutschen Asylrechts?
    Koenigs: Das wäre eine Verschlechterung. Das wäre eine Aussage, wir wollen euch nicht, und das kann man nur ablehnen. Man muss dabei bleiben, Einzelfallprüfung. Wenn sehr viele Roma kommen, muss man sehen, dass man in den Herkunftsländern etwas für die Roma macht. Aber man muss hier jeden gleich behandeln und ein vernünftiges Verfahren anbieten, meinetwegen ein beschleunigtes Verfahren in dem Sinne, dass man mehr Beamte hier einsetzt. Die Aufnahmestellen sind sehr strapaziert im Augenblick. Da kann man etwas dran tun. Aber das Asylrecht nun noch weiter auszuhöhlen, das kann man nur ablehnen.
    Kapern: Aber warum ist Ihre Partei dann bereit, genau darüber zu verhandeln?
    Koenigs: Wir sind nicht bereit, darüber zu verhandeln, sondern wir haben eine sehr klare Position. Wir sagen, wenn es darum geht, für die Flüchtlinge und für die Roma etwas zu machen, dann sind wir bereit, über alles zu reden. Das muss aber etwas Substanzielles sein und das darf sich nicht im symbolischen Bereich abspielen. Reine Symbole zu setzen, um irgendwie die Rechte zu bedienen, dafür sind wir nicht bereit.
    Kapern: Da geht es ja insbesondere um eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern und um die Möglichkeit, einen schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, also es den Asylbewerbern zu ermöglichen, schneller zu arbeiten hier in Deutschland. Ist es das wirklich wert, dieser substanziellen Verschlechterung des deutschen Asylrechts dann doch zuzustimmen?
    Koenigs: Das was jetzt in dem Gespräch ist, ist nichts Substanzielles. Das sind marginale Verbesserungen, die man ohnehin machen sollte, auf jeden Fall machen sollte, die aber nicht dafür stehen, die prinzipielle Position der Einzelfallprüfung aufzugeben oder zu schwächen. Das halte ich nicht für den richtigen Weg. Wenn es substanzielle Verbesserungen im Verfahren gibt, in der Frage der Behandlung der Roma, und in der Frage der Behandlungen allgemein, dann, finde ich, sollte man darüber reden. Aber darüber ist bisher noch überhaupt nicht geredet worden. Da ist auch vonseiten der CDU nichts angeboten worden und man versucht, glaube ich, Symbole auf Kosten der Flüchtlinge durchzupauken, um dann nach rechts zu sagen, na ja, wir haben ja was getan. Das ändert nichts an der wirklichen Situation.
    Kapern: Herr Koenigs, Sie haben das gerade so pauschal gesagt, dann muss es substanzielle Verbesserungen beim Verfahren und in der Situation geben. Was konkret meinen Sie?
    Koenigs: Ich glaube, dass die Stellen, die sich mit dem Aufnahmeverfahren befassen, auf jeder Ebene nicht personell hinreichend ausgestattet sind und auch finanziell nicht hinreichend ausgestattet sind, um jedem gerecht zu werden. Ich glaube außerdem, dass das Asylbewerber-Leistungsgesetz ein Fehler ist. Man sollte die so behandeln, wie andere arme Leute in unserem Land auch, andere Hilfsbedürftige, andere, die nicht gesund sind, und sollte die Möglichkeit erweitern, dass Flüchtlinge hier eine menschenwürdige Aufnahme finden. Das kann man organisieren, das muss man organisieren, denn die meisten von denen, die jetzt zum Beispiel aus Syrien oder aus Irak kommen, oder aus Afghanistan, werden ja aufgenommen.
    Kapern: Das heißt aber, das gehört doch alles, was Sie gerade angedeutet haben, noch gar nicht zum Forderungskatalog der Grünen. Auf der Grundlage müssten Sie doch eigentlich Ihre Partei jetzt aufrufen, am Freitag auf jeden Fall nicht für diese Gesetzesänderung zu stimmen?
    Koenigs: Wir haben in Hessen sehr genau gesagt, dass wir eine Verbesserung wollen, dass wir auch bereit sind, über substanzielle Verbesserungen zu reden, dass wir aber nicht bereit sind, symbolische Akte zu vollziehen, die letzten Endes an der Situation der Flüchtlinge entweder nur marginal, oder überhaupt nichts ändern.
    Kapern: ..., sagt Tom Koenigs, der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.