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Verseuchter Boden, giftiges Wasser

Das Bhopalunglück gilt als einer der schlimmsten Chemiekatastrophen der Geschichte. Vor fast 30 Jahren traten in der nordindischen Stadt mehrere Tonnen giftige Stoffe der US-Pestizidfabrik Union Carbide in die Atmosphäre. Tausende Menschen starben damals. Geblieben sind die Opfer und Desinteresse von Politikern und Verantwortlichen.

Von Leila Knüppel und Nicole Scherschun | 02.02.2013
    Um Hazira Bee hat sich eine Menschentraube gebildet. Männer mit ernsten Gesichtern, Frauen in bunten Saris. Die 57-jährige Aktivistin erzählt den Anwohnern in einem Viertel im Norden Bhopals, was die meisten schon lange vermuten: Das Wasser, das sie täglich trinken, ist verseucht mit Blei, anderen Schwermetallen und toxischen Stoffen.

    Aus der alten, stillgelegten Pestizidfabrik Union Carbide direkt nebenan dringen immer noch gesundheitsgefährdende Chemikalien ins Grundwasser. Jahrelang habe das Unternehmen auf dem Gelände seinen Müll verklappt, berichtet Hazira Bee.

    "Das Oberste Gericht hat entschieden, dass die Regierung die betroffenen Gemeinden mit sauberem Trinkwasser versorgen muss. Dafür ließ sie Leitungen aus 30 Kilometern Entfernung legen. Aber nicht für alle Gemeinden."

    Hazira Bee kämpft seit Jahren gemeinsam mit vielen Betroffenen, lokalen und internationalen Aktivisten gegen das US-Unternehmen Union Carbide und dessen Nachfolger Dow Chemical, gegen das Desinteresse der Politiker und der breiten Öffentlichkeit. Und dafür, dass der chemische Müll endgültig entsorgt wird.

    "Dow Chemical soll den gesamten chemischen Abfall zurück in die USA bringen und dort entsorgen. Die indische Regierung muss den Druck auf die Verantwortlichen erhöhen."

    Knapp 30 Jahre ist das Unglück von Bhopal im nordindischen Bundesstaat Madhya Pradesh her, einer der größten Chemieunfälle weltweit. 40 Tonnen des hochgiftigen Gases Methylisocyanat - kurz MIC - drangen damals aus der Union-Carbide-Anlage.

    An einem kalten Sonntagabend kroch der weiße Rauch durch die Straßen und Gassen der anliegenden Viertel, setzte sich in den Augen und Lungen der Bewohner fest. Mehr als 20.000 Menschen starben.

    Hazira Bee wohnt keine 500 Meter von den Fabriktoren entfernt. Mit ihren zwei Söhnen, Schwiegertochter und Enkelkind teilt sie sich zwei spärlich möblierte Räume. In einem Regal stehen Haziras Erinnerungen an ihren Kampf als Aktivistin: Fotos und Plakate. Direkt daneben eine große Schachtel voller Medikamente. Bis heute leiden Hazira und ihre Familie an den Folgen der Katastrophe. Lungenerkrankungen, Augenproblemen und Bluthochdruck - die typischen Krankheitssymptome. Hunderttausende haben ähnliche Probleme. Viele Frauen können außerdem keine Kinder mehr bekommen.

    Heute schlummert die todbringende Fabrik inmitten grüner Bäume. Rostige Leitungen und Tanks ragen aus dem fahlen Gras empor. Ein paar Ziegen grasen daneben, Kinder spielen Kricket.

    Zwar ist es verboten, das Gelände zu betreten. Doch darum kümmert sich kaum jemand. In die meterhohe Fabrikmauer sind längst breite Löcher gebrochen, der Stacheldraht am Fabrikeingang herunter getreten.

    Hier habe er früher gearbeitet erzählt T.R. Chauhan. Als Arbeiter kontrollierte er den Druck, die Temperatur und Fließgeschwindigkeit direkt an den Ventilen der Pestizidfabrik.

    Mit dem Auto fährt er an den südliche Zipfel des Fabrikgeländes. Dort habe Union Carbide einen Hauptteil seines Mülls abgeladen, erzählt der einstige Fabrikarbeiter.

    Zunächst seien die Chemikalien einfach auf den Boden gekippt worden, später habe man sie in einem sogenannten Verdunstungsbecken entsorgt.

    "Ein Verdunstungsbecken ist eine einfache Sache. Sie haben ein Loch gegraben, ein bisschen Plastikplane reingelegt und die chemischen Stoffe da rein gegossen."

    Das Wasser in dem Tümpel ist schwarz. Kinder spielen nebenan.

    Ein schwacher chemischer Geruch schwebt in der Luft. Das gesamte Gelände sei verseucht, sagt Chauhan.

    Rachna Dhingra versucht schon seit Jahren herauszufinden, was dort genau im Boden und im Grundwasser unter dem einstigen Fabrikgelände vor sich hin rottet. Sie ist die Hauptkoordinatorin der "International Campaign for Justice in Bhopal". 1990 schickte die Organisation Bodenproben zur Untersuchung nach Boston.

    "Sie haben Schwermetalle wie Blei und Quecksilber gefunden. Quecksilber schädigt das Gehirn und bei Schwangeren den Fötus. Außerdem haben sie noch Chlorobenzine gefunden, Stoffe wie Aldicarb und Carbaryl, von denen man weiß, dass sie Leber, Lunge, Niere und das Gehirn schädigen."

    Auch zwei Greenpeace-Studien und eine aktuelle Untersuchung des vom indischen Staat beauftragten Instituts für Toxikologie haben bereits viele dieser Stoffe sowohl im Wasser als auch im Boden nachgewiesen. Union Carbide Nachfolger Dow Chemical weigert sich jedoch die Verantwortung zu übernehmen und die Schadstoffe fachgerecht zu entsorgen. Dabei habe das Unternehmen von der möglichen Verseuchung gewusst, betont Dhingra.

    "Wir haben Mitteilungen aus dem Jahr 1982 gefunden, in dem das indische Tochterunternehmen an die Zentrale in den USA schreibt: Die Plane im Verdunstungsbecken sei undicht geworden. Das könne das Grundwasser und den Boden kontaminieren. Sie wussten davon schon zwei Jahre vor dem Chemieunfall und haben nichts getan."

    Auf dem Gelände der alten Union Carbide Fabrik hat sich seit der Katastrophe kaum etwas geändert. Selbst im ehemaligen Chemielabor scheint die Zeit stillzustehen. Braune Apotheker-Flaschen verstauben in den Regalen. Durch die Fenster wuchern Bäume und Sträucher ins Labor.

    Seit Jahren streiten die Aktivisten jetzt schon mit der indischen Regierung über die Entsorgung des Giftmülls. In Indien gibt es dafür keine geeigneten Anlagen. Noch vor ein paar Monaten war auch Deutschland für die Entsorgung im Gespräch. 350 Tonnen hochtoxische Abfälle sollten in Hamburg sicher verbrannt werden - gerade mal fünf Prozent der gesamten Müllmenge. Doch selbst dieser Deal platzte. Zu unsicher, zu kostspielig, zu gefährlich. Bis der Giftmüll von Bhopal endgültig entsorgt wird, können also noch etliche Jahre vergehen.