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Versicherungen kritisieren Datengrundlage und Methodenfehler

Die Studie des Bamberger Finanzwissenschaftlers Andreas Oehler prognostiziert Verbrauchern bei ihrer Altersvorsorge milliardenhohe Verluste. Grund seien mangelhafte Finanzprodukte und nicht ausreichende Verbraucheraufklärung. Die Versicherungswirtschaft kritisiert die Art und Weise der Datenerhebung.

Von Christel Blanke | 27.12.2012
    Ein Leipziger Allerlei ist eine übersichtliche Sache verglichen mit dem, was derjenige vorfindet, der seine Altersvorsorge aufstocken will. Allein bei der sogenannten Riester-Rente gibt es rund 5000 verschiedene Angebote. Und die sind in der Regel nicht besonders transparent, kritisiert Herrmann-Josef Tenhagen, Chefredakteur der Zeitschrift Finanztest:

    "Sogar wir bei der Stiftung Warentest, wir haben beim letzten Test 26 Lebensversicherer mahnen müssen, weil die die Unterlagen nicht so zur Verfügung stellen, dass man das vernünftig bewerten kann."

    Von einer Lotterie spricht Andreas Oehler, Finanzwissenschaftler in Bamberg und Verwaltungsratschef der Stiftung Warentest. Im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion hat er untersucht, welcher Schaden den Versicherten entsteht, weil sie nicht verstehen, was sie abschließen. Rund 50 Milliarden Euro gehen ihnen jedes Jahr verloren, hat Oehler ausgerechnet. Es entstehen Schäden, sagt er:

    "Die so gewaltig sind, dass es richtig ein Weckruf sein müsste an die Politik endlich mehr ganzheitlich von den Verbrauchern her zu denken."

    Die größten Verluste entstehen, wenn Anleger oder Versicherte vorzeitig kündigen. Allein bei Lebensversicherungen und privaten Rentenversicherungen kommt Oehler auf eine Summe von 16 Milliarden Euro. Diese Zahl weist der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft zurück. Oehler stütze sich auf gerade einmal 1115 gekündigte Verträge in den letzten zehn Jahren, heißt es in einer Erklärung. Die dabei unterstellte Stornierungsquote sei zu hoch angesetzt. Schon 2011 habe Oehler ein ähnliches Gutachten vorgelegt und damals einräumen müssen, dass die verwendeten Daten nicht repräsentativ seien. Außerdem habe Oehler nicht berücksichtigt, dass die Rückkaufswerte in den ersten fünf Versicherungsjahren seit 2008 gestiegen seien.

    Zum Hauptkritikpunkt Oehlers sagt die Versicherungswirtschaft in ihrer Erklärung allerdings nichts. Mangelhafte Beratung führt seiner Einschätzung nach dazu, dass Kunden Versicherungen kündigen, weil sie nicht wissen, dass sie das viel Geld kosten kann. Verkäufer informieren nicht ausreichend oder gar irreführend, so Oehler. Und weil sie ihre Provision nach Abschluss des Vertrages kassieren, haben sie später kein Interesse mehr am Kunden, klagt Nicole Maisch, verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Deutschlandfunk:

    "Deshalb ist es wichtig, dass wir dieses Beratungsverhältnis zwischen Kunden und Anbieter auf völlig neue Füße stellen. Dazu gehört eine Streckung der Provision über möglichst die gesamte Laufzeit."

    Andreas Oehler empfiehlt ein gesundes Misstrauen bei Produkten zur Altersvorsorge. Der erste Weg sollte nicht zur Bank oder zu einer Versicherung führen, sagt er:

    "Der erste Weg muss sein, dass es genügend unabhängige Berater bei Verbraucherzentralen zum Beispiel gibt, die einem ohne Produkte zu verkaufen oder ohne davon leben zu müssen - Honorarberatung lebt ja von der Länge der Beratung - also ohne davon leben zu müssen, einem einen unabhängigen Ratschlag gibt."

    Den Verbrauchern die Schuld zu geben, hieße das Pferd von hinten aufzuzäumen, so Andreas Oehler. Er sieht neben den Beratern die Politik in der Pflicht. Fehlende Transparenz am Markt lässt sich aus seiner Sicht nur durch politische Regulierung lösen.