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Versöhnliche Geste
Spanien erleichtert die Einbürgerung sephardischer Juden

1492 mussten 50.000 sephardische Juden per Dekret ihre Heimat Spanien verlassen. Ihre Traditionen und Bräuche haben sie über Jahrhunderte weitergepflegt, ihre Verbindung zur spanischen Kultur nie ganz abbrechen lassen. Der spanische Justizminister möchte den Nachkommen Rückkehr und Einbürgerung erleichtern.

Von Julia Macher | 27.02.2014
    Eine versöhnliche Geste für historisches Unrecht sei der Gesetzesentwurf, sagt Uriel Benguigui, Präsident der Israelitischen Gemeinde Barcelona. Seit der spanische Justizminister die Initiative ins Parlament gebracht hat, bestimmt das Thema auch die Gespräche in der mit 5000 Mitgliedern zweitgrößten jüdischen Gemeinde. Ins Sekretariat werden mehrmals täglich Ferngespräche durchgestellt, mit Anfragen aus Kolumbien, Peru und Marokko. Auf den Fluren des Gemeindehauses erzählt man sich Geschichten von israelischen Juden, die seit über 500 Jahren die Schlüssel ihres spanischen Familiensitzes aufbewahren – und jetzt hoffen, ihn jetzt wieder betreten zu können. Auch Uriel Benguigui ist Sepharde.
    "In der Vorstellungswelt der sephardischen Juden gibt es zwei große Zentren, Israel und Spanien. Jerusalem ist das spirituell-religiöse Zentrum, Spanien ist eher der soziale, identitätsstiftende Bezugspunkt."
    Dekret vom 31. März 1492
    Sie sind Nachfahren jener 50.000 Juden, die laut Dekret vom 31. März 1492 ihre Heimat verlassen mussten. Viele von ihnen ließen sich im östlichen Mittelmeerraum nieder, leben heute in der Türkei, Marokko, Griechenland, Bulgarien und Israel. Ihre Traditionen und Bräuche haben sie über Jahrhunderte weitergepflegt, ihre Verbindung zur spanischen Kultur nie ganz abbrechen lassen.
    "Die sephardischen Juden zählten in Spanien zu einer sehr gebildeten Schicht. Sie waren Ärzte, Berater oder Bankiers, ein Beruf, der Christen verboten war. Sie bildeten die Elite der spanischen Gesellschaft jener Zeit, fühlten sich als Spanier. Deswegen behielten sie nach der Vertreibung die Sprache bei, das Ladino wurde von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben. Es war ein sehr wichtiger Bestandteil ihrer Identität: Sie fühlten sich nicht in erster Linie jüdisch, sondern sephardisch."
    "Naturalisierungsverfahren"
    Bereits in den 1920er Jahren hatte es zwischen Spanien und anderen Staaten, etwa Ägypten und Griechenland, bilaterale Abkommen über die Einbürgerung sephardischer Juden gegeben. Seit 1992 ist der Erwerb der spanischen Staatsbürgerschaft nach einem zweijährigen Spanien-Aufenthalt über das sogenannte "Naturalisierungsverfahren" möglich. Das Problem: Das Verfahren ist aufwendig und zeitintensiv – und die spanische Staatsbürgerschaft war in vielen Fällen mit der Abgabe des Passes des Herkunftslandes verbunden. Das war vor allem für US-amerikanische und israelische Juden ein Grund, sich gar nicht erst um eine Rückkehr in das Land ihrer Vorfahren zu bemühen, sagt Rechtsanwalt Paul Murga, der viele solcher Verfahren begleitet hat:
    "Der neue Text ist vielversprechend, aber in vielen Punkten besteht Klärungsbedarf. Ein großes Problem ist beispielsweise, dass das Gesetz eine Tür öffnet und dann gleich wieder zuschlägt. Für das Stellen der Anträge wird lediglich ein Zeitraum von zwei Jahren ab Inkrafttreten gewährt. Und wir brauchen auch eine klare Regelung, wie man in Berufung gehen kann."
    Schwieriger Nachweis wegen verschlungener Familiengeschichten
    Eine sephardische Abstammung nachzuweisen ist angesichts vieler verschlungener Familiengeschichten schwer, sagt Murga – und auch da bleibe der neue Gesetzesentwurf noch ungenau. Neben Zertifikaten durch die jeweiligen Rabinate in den Heimatländern bzw. vom spanischen Zentralverband der Jüdischen Gemeinden könnten auch Ladino-Kenntnisse ein Kriterium sein. Doch in Lateinamerika hat sich das Altspanische schon vor Generationen dem modernen Spanisch angepasst. Auch wie die Regelung für Nachfahren sephardischer Juden aussieht, die zu anderen Religionen konvertiert sind, ist offen: Rechtsanwalt Paul Murga
    "Wenn der Abstammungsnachweis beispielsweise auch über Nachname, Familiensprache oder Traditionen läuft, könnte theoretisch auch der venezolanische Präsident Maduro die Einbürgerung beantragen – er ist ein Katholik, dessen Vorfahren sephardische Juden aus der Karibik sind."
    Wie viele sephardische Juden tatsächlich die spanische Staatsbürgerschaft beantragen werden, wenn das Gesetz vom Parlament verabschiedet wird, wagt niemand vorherzusagen. Das Medien-Interesse ist groß, aber an eine massive Zuwanderungswelle glaubt Murga nicht. Spanien steckt seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise, jeder Vierte ist arbeitslos.
    "Was ich von meinen Klienten weiß, geht es den meisten nicht darum, in Spanien zu leben, sondern darum, einen Pass zu bekommen, mit dem sie durch Europa reisen können: Das ist bei vielen Israelis der Fall."
    Gesetz mit symbolischer Bedeutung
    Als Gesetz mit mehr symbolischer Bedeutung denn mit praktischen Konsequenzen bewerten Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Barcelona und Madrid daher die Initiative – und kritisieren den Justizminister für das Timing: Sein Ministerium ist für die erhebliche Einschränkung des Demonstrationsrechts verantwortlich und auch für das heftig kritisierte Abtreibungsverbot. Da kämen ihm positive Schlagzeilen jetzt nur recht. Kritische Stimmen kommen auch aus Marokko: In Tetuán, Rabat und Fez leben die Nachfahren der Morisken, der vom Islam zum Christentum konvertierten Muslime, die knapp hundert Jahre später aus Spanien vertrieben wurden. Sie reklamieren für sich eine ähnliche Geste historischer Anerkennung – bisher allerdings vergeblich.