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Versöhnung mit dem Schweinesystem

Nach zwanzig Jahren Haft wird der RAF-Terrorist Jörg entlassen und trifft seine Freunde wieder. Anders als Jörg haben sie, früher Sympathisanten der Revolution, längst ihren Platz im bürgerlichen Leben gefunden. In seinem Roman "Das Wochenende" greift Bernhard Schlink die aktuelle Diskussion über die Begnadigung von RAF-Terroristen auf - ein intelligenter, unterhaltsamer Roman.

Von Martin Ebel | 29.05.2008
    Die Dramen von Jean-Paul Sartre waren, als sie herauskamen, Theaterknüller. Heute sind sie großenteils vergessen. Beides liegt an ihrem Genre: Es sind Thesenstücke, im Schlagabtausch der Argumente scharf und rassig, in der literarischen Ausstattung eher mager. Dasselbe Schicksal könnte den Romanen von Bernhard Schlink blühen - ohne dass die beiden Autoren durch den Vergleich auf eine gemeinsame Höhe gebracht werden sollten.

    Schlinks Romane behandeln Fragen zur Aktualität deutscher Vergangenheit, spielen sie in dramatisch zugespitzter Form durch, arbeiten jeweils in These und Gegenthese den Kern des Problems heraus; die Figuren, die die Arbeit übernehmen müssen, sind dabei kaum ausgeführt. Es sind vor allem ihre Konturen, die wahrnehmbar und im Gedächtnis bleiben. Sie ähneln den mit dicken Strichen hingeworfenen Gestalten des Malers A. R. Penck.

    "Das Wochenende" behandelt nicht die Gegenwart der ganz schlimmen deutschen Vergangenheit, also der NS-Geschichte, sondern die der etwas jüngeren und nicht ganz so schlimmen Vergangenheit des Terrorismus der RAF. Sie ist jüngst in der Begnadigungsdebatte noch einmal hell aufloderte. Bundespräsident Köhler hatte Brigitte Mohnhaupt freigelassen, Christian Klar, dessen Fall anders lag, aber nicht begnadigt.

    Bei Schlink kommt dagegen der Terrorist Jörg, eine Figur, die Klar ein bisschen ähnelt, frei. Sein erstes Wochenende verbringt er mit alten Freunden auf einem Landsitz in Brandenburg. Das hat sich seine Schwester Christiane so ausgedacht, der zusammen mit ihrer Freundin Margarete das schlossähnliche Anwesen gehört. Aber der Plan geht schief: Statt sich zu erholen und allmählich ins Leben zurückzufinden, gerät Jörg ständig in Streit über ihn, über das, was er getan hat, vor allem aber: um ihn.

    Denn alle haben etwas mit ihm vor. Christiane, die schon Mutterstelle an ihm vertreten hat, will ihn "das Leben lehren", ein Leben, das Auftritte in Talkshows einschließt, und ihm nachträglich doch eine Art Heldenstatus verleihen soll. Der Anwalt Andreas will Jörgs öffentliche Auftritte juristisch absichern, was für ihn nichts anderes bedeutet als: sie zu kontrollieren.

    Der junge Marko ist ein Vertreter einer neuen Generation von Systemgegnern. Sein Vokabular ähnelt verdächtig dem der alten Terroristen - mit allen Mitteln gegen das "Schweinesystem". Er will Jörg zur Galionsfigur der Revolution machen, einer Revolution, die heute genauso wenig Menschen wollen und brauchen wie damals, schon gar nicht braucht jemand den "Schulterschluss mit den moslemischen Brüdern", von dem Marko schwafelt.

    Ulrich, Herrscher über mehrere Dentallabors, hat immerhin einen Job für den Entlassenen; die Lehrerin Ilse träumt von einem Leben als Schriftstellerin und versucht sich schon mal an Skizzen über den verschwundenen Terroristenkollegen Jan. Die zur Bischöfin einer kleinen Diözese aufgestiegene ehemalige Genossin Karin sucht stets das versöhnende Wort und schafft es sogar, alle am Sonntagvormittag zu einer Andacht zu versammeln. Auch eine so außerordentliche Versammlung wie dieses Sympathisanten-Klassentreffen braucht offenbar Rituale.

    Als sei das nicht schon genug für ein Wochenende und ein Thesendrama, platzt noch Jörgs Sohn Ferdinand herein, der seinem Schillerschen Feuerkopf-Vorname alle Ehre macht. Er hat von seinem Vater die Unduldsamkeit und die Selbstgerechtigkeit geerbt und wendet sie hochaggressiv gegen ihn: Jörg und seine Mördergesellen seien auch nicht besser als die Nazi-Väter, die sie bekämpften, so seine steile These, die an Götz Alys Aufsehen erregendes neues Buch über die 68er und die 33er erinnert.

    In einem kürzlich erschienenen Aufsatz über den Umgang mit Schuld hat Schlink zwischen dem Verstehen und dem Erklären unterschieden. Wer (Un)taten erklärt, ordnet sie ein, indem er allgemeine Muster auf einen Einzelfall anwendet. Wer sie dagegen zu verstehen sucht, versetzt sich in die Situation des Täters. Wer erklärt, gewinnt Erkenntnisse, wer sich um Verständnis bemüht, erreicht möglicherweise eine Vergebung oder Versöhnung. Wer verstehen will, setzt sich gleich mit dem zu Verstehenden, er "stellt Gesellschaft her", wie Schlink formuliert.

    In diesem Aufsatz liegt vielleicht der Schlüssel zum merkwürdigen Setting dieses Wochenendes, das mit einer Eimerkette und dem gemeinsamen Leeren des vollgelaufenen Kellers versöhnlich und gemeinschaftsselig endet. Hier liegt ganz gewiss der Schlüssel zu Schlinks Neigung zur Literatur. Wo die juristischen Erklärungsmuster enden, fängt die literarische Einfühlung erst an; oft gelangt sie dann auch viel weiter.

    Aber in Schlinks Büchern zeigt sich eben auch unübersehbar der Jurist: Es wird stets messerscharf argumentiert, und da ist er großartig. Wenn aber gefühlt wird oder gar über Gefühle geredet, da muss sich der Leser manches Mal regelrecht winden.

    Immerhin endet das Wochenende trotz zweier neuer Paare nicht als bürgerliches Rührstück, sondern ohne wirkliche Versöhnung: weder zwischen Vater und Sohn, noch zwischen den ewigen Revolutionären und denen, die es stattdessen in der Gesellschaft zu etwas gebracht haben. Auch deren Träume, so lautet eine der vielen kleinen Neben-Weisheiten dieses Buches, haben sich nicht erfüllt. Denn wenn man das kriegt, was man will, ist es nicht mehr dasselbe wie das, was es war, als man es gewollt hat.

    Insofern legt man Schlinks schmalen Roman, eigentlich eher eine Novelle, trotz aller Schwächen durchaus mit dem Gefühl aus der Hand, intelligent unterhalten worden zu sein.

    Bernhard Schlink: Das Wochenende
    Diogenes, Zürich 2008, 224 Seiten, 18,90 Euro