Freitag, 29. März 2024

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Versorgung der Syrienflüchtlinge
"Immer einer Willkür ausgesetzt"

Die Unicef-Wasserhilfe ist bei ihrer Arbeit in Syrien regelmäßig auf Verhandlungen mit den Konfliktparteien angewiesen, sagte Andreas Knapp, Leiter der UNICEF-Wasserprogramme, im Dlf. Das sei oft ein langsamer, zäher Prozess, teils frustrierend, weil es nicht immer zu einer Lösung komme.

Andreas Knapp im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 16.08.2017
    Knappes Gut: Soldaten gießen Wasser in Eimer in Rakka, Syrien.
    Knappes Gut: Wasser in Rakka, Syrien. (imago / Le Pictorium)
    Ann-Kathrin Büüsker: Zehntausende Menschen sind in den vergangenen Wochen und Monaten aus der syrischen Stadt Rakka und den Orten um die Stadt herum geflohen, um sich vor den dortigen Kämpfen in Sicherheit zu bringen. Noch wird Rakka von Daesh, dem selbst ernannten Islamischen Staat, gehalten, doch ein Militärbündnis aus Kurden und Arabern belagert die Stadt – um sie zu befreien, so die offizielle Sprachregelung. Die Menschen, die fliehen, sammeln sich zum Teil in provisorischen Lagern in den umliegenden Provinzen, und zum Teil wird es dort gerade bis zu 50 Grad heiß. Die Versorgung der Menschen ist schwierig. Wie schwierig, darüber möchte ich jetzt mit Andreas Knapp sprechen, er ist Leiter der UNICEF-Wasserprogramme in Syrien und kommt gerade aus der Region zurück. Guten Morgen, Herr Knapp!
    Andreas Knapp: Guten Morgen!
    "Wasser, Nahrung, notwendigste medizinische Versorgung"
    Büüsker: Herr Knapp, wie müssen wir uns das Leben der Menschen in den Flüchtlingslagern vorstellen?
    Knapp: Wie Sie schon in der Einleitung gesagt haben, das sind wirklich ganz verschärfte Lebensbedingungen, vorwiegend durch die Temperaturen, derzeit im Sommer. Es erreicht bis zu 50 Grad, und es mangelt den Leuten wirklich am Nötigsten, also sie kommen mehr oder weniger mit nichts an, und es geht uns darum, dass die wichtigsten Grundbedürfnisse gedeckt werden wie Wasser, Nahrung und die notwendigste medizinische Versorgung.
    Improvisierte Wasserleitungen, teilweise Brunnenbohrungen
    Büüsker: Wie dürfen wir uns das vorstellen, wie bringen Sie das Wasser zu den Menschen?
    Knapp: In dem Fall, weil oft diese Zeltlager auch dann ganz spontan entstehen müssen, weil das natürlich sehr dynamisch ist, dann ist oft die erste Reaktion die, dass wir das versuchen über Tankfahrzeuge, Wasser zu bringen. Also wir nennen das water trucking, und das ist die Notmaßnahme, und dann parallel dazu versuchen wir dann schon improvisierte Wasserleitungen und teilweise Brunnen zu bohren, aber das dauert natürlich eine gewisse Zeit. Die erste Maßnahme ist immer über Wassertankfahrzeuge das beizubringen.
    Ziel: "Mobile Klinik in jedem dieser Lager"
    Büüsker: Wie steht es um die Krankenversorgung der Menschen?
    Knapp: Das ist natürlich eine riesengroße Herausforderung. Da geht es darum, dass wir oft versuchen, dann mobile Kliniken irgendwie zu mobilisieren. Es geht oft auch nur, indem mehrere Organisationen wirklich eng zusammenarbeiten und sich koordinieren, damit man sicherstellt, dass zumindest in jedem dieser Lager so eine mobile Klinik dann zur Verfügung steht.
    Basisversorgung für bis zu 25.000 Einwohner
    Büüsker: Wie müssen wir uns diese Lager vorstellen, wie sieht es da aus?
    Knapp: Die sind – und die werden auch koordiniert innerhalb der verschiedenen UN-Organisationen – Zeltlager in größerem Maßstab, wo jede Familie ein Zelt zugewiesen bekommt, und dann gibt es einen gewissen Plan, wo dann mehrere Zelte gemeinsam zum Beispiel den Zugang zu einer Toilettenanlage und zu einem Duschraum haben, und dann geht es auch darum, dass man verschiedene … im Falle von Wasser gibt es auch Plastiktanks, wo diese water trucks, also diese Wassertankfahrzeuge, das Wasser hinliefern und dann die Familien mit den Kanistern dieses Wasser abholen. Das ist die Basisversorgung, und die sind teilweise in einer Größe von 5.000 Einwohnern bis zu 25.000 Einwohnern.
    "Es dauert bis zu zwei Wochen, bis das besser eingespielt ist"
    Büüsker: Das klingt nach einer enormen Herausforderung, diese Menschen dann tatsächlich auch zu versorgen. Wie gut klappt das?
    Knapp: Man muss sagen, da gibt es natürlich immer einen gewissen Grad an Improvisation. Das dauert immer eine gewisse Zeit, bis es dann auch wirklich ganz reibungslos funktioniert. Ich würde sagen, die Notversorgung mit Wasser, mit Nahrungsmitteln gibt es natürlich schon Routinevorgänge, aber bis das so richtig eingespielt ist und jeder die Ration bekommt, die ihm zusteht, jeder Familie, würde ich sagen, dauert es so bis zu zwei Wochen, bis das dann besser eingespielt ist. Natürlich ist diese Dynamik eine riesengroße Herausforderung, aber natürlich über Pläne, über gewisse Bereitschaftspläne, die man vorher entwickelt hat, ist man schon gewappnet. Die Lagerhäuser wurden vorher schon vorbereitet, Hilfsgüter wurden schon gesammelt vorher und vor Ort gebracht. Also man versucht schon mit einer gewissen Vorausplanung das irgendwie besser in den Griff zu bekommen.
    "Humanitäre Notwendigkeiten einfordern"
    Büüsker: Wir reden über Syrien, das heißt, wir reden auch über ein Land, das nach wie vor im Krieg ist. Es gibt den Krieg gegen den selbst ernannten Islamischen Staat, aber es gibt auch nach wie vor den Bürgerkrieg selbst in Syrien. Inwieweit müssen Sie sich bei Ihrer Tätigkeit da auch mit den unterschiedlichen Kriegsparteien abstimmen?
    Knapp: Man ist da immer natürlich gezwungen, sich abzustimmen, man ist in gewisser Weise immer auch einer Willkür ausgesetzt, weil es geht ja natürlich auch immer um unsere eigene Sicherheit und wir können nur dann arbeiten, wenn uns eine gewisse Sicherheit und wenn Feuerpausen zugestanden und dann auch eingehalten werden. Darum ist man natürlich schon gezwungen, mit den verschiedenen Kriegsparteien in Verhandlungen zu gehen und auch ständig diese humanitären Notwendigkeiten einzufordern. Das ist natürlich oft ein langsamer, zäher Prozess und teilweise auch sehr frustrierend, weil es nicht immer zu dieser Lösung kommt, die wir uns als humanitäre Organisationen wünschen würden.
    Büüsker: Das heißt, Sie wollen den Menschen helfen, können es dann aber in bestimmten Situation nicht.
    Knapp: Genau so ist es.
    Konvois kommen an den Checkpoints nicht durch
    Büüsker: Haben Sie da ein Beispiel?
    Knapp: Da gibt es oft so belagerte Gebiete in Syrien, die umzingelt sind militärisch und die dadurch auch natürlich eine große humanitäre Notwendigkeit hätten für Hilfe, wo es aber uns nicht möglich ist, die Hilfsgüter hineinzubringen, weil diese Konvois, die voll beladen schon mehr oder weniger organisiert wurden, an den militärischen Checkpoints nicht vorgelassen werden. Da gibt es leider einige Beispiele, die alle dokumentiert sind, und die natürlich schon innerhalb Organisationen wie unserer große Frustrationen auch auslösen.
    "Genaue Dokumentationen der Kriegsverbrechen"
    Büüsker: Mit Blick auf Syrien reden wir ja auch immer wieder über Verantwortlichkeiten, also wer tut was. Gibt es eine Kriegspartei, die ihre Arbeit ganz besonders behindert?
    Knapp: Also da gibt es leider Verfehlungen auf beiden Seiten. Es gibt da natürlich schon genaue Dokumentationen auch von der UN, wo verschiedenste Kriegsverbrechen und verschiedene Gräueltaten auch dokumentiert werden. Es obliegt mir jetzt nicht, da genau zu urteilen, wer macht mehr, wer macht weniger. Die traurige Tatsache ist, dass es Kriegsverbrechen auf beiden Seiten gibt und natürlich die akribisch festgehalten werden und dann letztendlich hoffentlich es international zu einer, wie kann man sagen, zu einer Aufarbeitung dieser Gräueltaten kommen wird und wo dann Gericht darüber gemacht wird, was passiert ist.
    Büüsker: Sagt Andreas Knapp, er ist Leiter der UNICEF-Wasserprogramme in Syrien. Wir haben vor allem über die Lage der Flüchtlinge dort gesprochen. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen im Deutschlandfunk, Herr Knapp!
    Knapp: Danke vielmals!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.