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Versorgungsnotstand bei Kontrastmittel

Die Nuklearmedizin steuert auf eine ernste Versorgungskrise beim radioaktiven Medikament Technetium-99 zu, die allein im Mai 50.000 medizinische Untersuchungen gefährden könnte. Hintergrund sind Wartungsarbeiten bei den einzigen drei Kernreaktoren, die den Strahler weltweit produzieren.

Von Björn Schwentker | 05.05.2010
    Die Nuklearmedizin kann nicht ohne: Drei Millionen Patienten pro Jahr bekommen in Deutschland strahlendes Technetium-99 gespritzt. Als Kontrastmittel, damit Spezialkameras aufzeichnen können, ob sie kranke Organe haben. Die Technetium-Dosen sind winzig aber unabdingbar zur Diagnose von Tumoren etwa in der Schilddrüse, von Knochenkrebs oder von Herzfehlern. Doch nun droht ein schmerzhafter Engpass.

    "Wenn es dazu kommt, wie jetzt prognostiziert, im Mai, dann werden wir wahrscheinlich nur noch mit zehn oder 15 Prozent unserer Kapazität arbeiten können, das heißt, dann werden wir nur noch absolute Härtefälle behandeln können, und viele Patienten, die es auch dringend benötigen, müssen wir dann nach Hause schicken."

    Wolfgang Mohnike ist Professor und Arzt für Nuklearmedizin. In seiner Ostberliner Praxis stauen sich die Patienten schon seit Längerem. Denn das Technetium fließt nur noch spärlich. Den Grundstoff für den radioaktiven Strahler, das ebenfalls radioaktive Metall Molybdän-99, produzieren weltweit nur fünf große Kernreaktoren. Die zwei größten davon stehen seit einiger Zeit wegen Altersschäden still.

    Im Mai schalten die Betreiber auch die drei verbliebenen ab - sie müssen dringend gewartet werden. Dann gibt es kein Molybdän-99 mehr und damit auch kein Technetium-99, das aus dem Molybdän erst durch radioaktiven Zerfall entsteht. Die wertvollen Stoffe zerstrahlen innerhalb weniger Tage - sie lassen sich darum nicht lagern. Liefern die Reaktoren keinen Nachschub mehr, wird es für die Patienten heikel. Mohnike:
    "Die Biologie unseres Körpers und die Biologie des Tumors richtet sich ja nicht danach, ob ein Reaktor abgeschaltet wurde, oder ob kein Reaktor abgeschaltet wurde. Sondern das geht ganz klar weiter. Und die Zeit, die wir verlieren, die hat der Patient verloren. Tumorpatienten haben keine Zeit."

    Ohne Diagnose keine Tumortherapie. Geschwüre und Krebs können unerkannt wuchern. Alternative Untersuchungsmöglichkeiten gibt es kaum. "Das Arbeitspferd der Nuklearmedizin" wird Technetium-99 darum auch genannt. Dass seit Jahren versäumt wird, die Produktion zu sichern, empfinden die Ärzte als Skandal, sagt Manfred Gaillard, Geschäftsführer im Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner.

    "Ich denke, das ist ein Dauerproblem, denn alle Reaktoren nähern sich der 50-Jahresgrenze. Die werden zwar immer wieder technisch nachgerüstet, aber nichtsdestotrotz bleibt das Problem der Störanfälligkeit. Das heißt, wir müssten dringend neue Reaktoren bauen, beziehungsweise vorhandene Reaktoren nachrüsten."

    Zum Beispiel der Forschungsreaktor FRM-II in Garching bei München. Würde man den Reaktor jetzt nachrüsten, könnte er Ende 2013 so viel radioaktive Stoffe produzieren, dass daraus Technetium-99 für halb Europa werden könnte. Seit über einem Jahr ist der Vorschlag auf dem Tisch. Ärzte, pharmazeutische Industrie und Politik geben sich begeistert. Doch sie bekommen das Geld nicht zusammen. 5,4 Millionen Euro sind nötig. Der Freistaat Bayern hat schon 1,2 Millionen zugesagt, die Industrie zwei. Der Bund nichts. Gaillard:

    "Es sind noch 2,2 Millionen, die fehlen und über diesen geringen Betrag streiten sich jetzt fünf Bundesministerien. Das ist stand der Dinge. Und das ist ein ausgesprochen unbefriedigender Stand."

    Über das Geld, heißt es im Bundesgesundheitsministerium, werde weiterhin verhandelt, auch mit der Industrie und der Europäischen Kommission. Das hören die Ärzte nun schon seit Ende 2008, ihnen dauert das alles viel zu lange. Sie müssen nicht nur ihre Patienten versorgen, sondern auch selbst wirtschaftlich überleben. Besonders kleinere Praxen auf dem Land müssen bei ernsthaften Engpässen ihre Praxen zwischenzeitlich schließen. Inzwischen sind die Nuklearmediziner bereit zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie überlegen, das Geld für den Ausbau in Garching selbst aufzubringen.

    "Das wäre erstmalig, dass letztlich Ärzte die Versorgung () nicht nur von ihrem ärztlichen Können her, sondern auch von der Produktion der Arzneimittel selber in Angriff nehmen müssten. Das wäre etwas radikal Neues."

    Alles ist den Medizinern jetzt lieber, als weiter zu zögern. Ist der Engpass im Mai durchgestanden, folgt im Juli der nächste. Es wird nicht der letzte sein.