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Versponnener Querdenker

Bis heute gehört Lyonel Feininger - neben Paul Klee und Emil Nolde - zu den populärsten Vertretern der Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das künstlerische Werk, das der Amerika-Deutsche und Bauhaus-Meister hinterließ, hat der Kunst der Klassischen Moderne eine unverwechselbare Facette hinzugefügt. Heute vor 50 Jahren ist Lyonel Feininger gestorben.

Von Rainer B. Schossig | 13.01.2006
    Eigentlich hätte er Musiker werden sollen, doch Lyonel Feininger, der begnadete Licht- und Kathedralenmaler, begann als Comic-Zeichner. 1871 als Kind musikalischer Eltern in New York City geboren, erhielt der junge Lyonel zunächst Geigenunterricht vom Vater. Als 16-Jähriger wurde er nach Deutschland geschickt, um Musik zu studieren. Stattdessen schrieb er sich an der Leipziger Gewerbeschule ein und erlernte die Kunst des Zeichnens. Er studierte an der Kaiserlichen Kunstakademie zu Berlin, besuchte Lüttich, malte in Paris, skizzierte in Königsberg. Feininger wurde ein kommerzieller Kritzler, erfand torkelnde Figuren und Traumlandschaften. Die Berliner die "Lustigen Blätter" und der "Ulk" rissen ihm seine Cartoons aus den Händen. Um 1900 gehörte er zu den bekanntesten Karikaturisten Deutschlands.

    1906 nahm ihn die "Chicago Tribune" unter Vertrag. Die Amerikaner hatten nach neuen Talenten im Heimatland der Bildergeschichten von Wilhelm Busch gesucht, und sie fanden ihren Landsmann Feininger. Mit den Comicstrip-Serien "Kin-der Kids" und "Wee Willie Winkis World" schrieb er Comic-Geschichte: Drollige, genial typisierte Figuren, turbulente Abenteuer, in abgefahrenen quietsch-bunten Farben. Der Erste Weltkrieg verhagelte ihm das Geschäft, doch der umtriebige Amerikaner ging zu Herwarth Waldens "Sturm" und manövrierte sich damit in die Avantgarde der Modernen Kunst. Und 1919 schmückt Feiningers Holzschnitt "Die Kathedrale" den Titel des ersten "Bauhaus Manifests": ein fantastisches Gebäude, mit fast unbeholfener Hand roh geschnitten, splittrige Facetten, ein dreizackiger Turm aufragend ins Dunkel, das durch drei weithin glitzernde Sterne erhellt wird. Eine Hommage an Architektur, Handwerk und Kunst, wie sie auch Bauhaus-Gründer Walter Gropius beschwört:

    "Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers. Gnade des Himmels lässt in seltenen Lichtmomenten, die jenseits seines Wollens stehen, unbewusst Kunst aus dem Werk seiner Hand erblühen. Die Grundlage des Werkmäßigen ist unerlässlich für jeden Künstler. Dort ist der Urquell des schöpferischen Gestaltens."

    Der erste Bildbeitrag des Bauhausmeisters Feininger dazu ist ein großer Clown in Rot. Internationale Künstler geben sich am Weimarer Bauhaus die Klinke in die Hand; später in Dessau wird die Schule zur modernen, interdisziplinären Gestaltungs-Maschine. Mit seiner Doppelbegabung verbindet Feininger in seinen Kursen Malerei und Musik. Er komponiert seine erste Fuge.

    Doch bald schon sehnt sich der versponnene Querdenker nach Abwechslung. Er will malen, aber ganz anders: Räume aus Licht und Farbe erschaffen. Die schlichten Dorfkirchen rund um Weimar – in Gelmeroda und Umpferstedt – werden auf Feiningers Gemälden zu überirdischen Kristall-Landschaften. Dann geht er nach Halle. In einem gotischen Turmzimmer in der Moritzburg, hoch über den Dächern der Stadt, mit Blick auf den Dom, die Marienkirche und den Roten Turm, arbeitet Feininger – abgeschieden vom Bauhaustrubel – monatelang an seinen berühmten "Hallebildern":

    "It’s fine in my tower! Mein Turm, der mir immer vorschwebte. Hier kann ich so etwas wie ein Klosterbruder sein!"

    ...schrieb er 1929 in einem Brief an seine Frau Julia. Seine früheren skurril-surrealen Figuren verschwanden nun. Immer öfter zog er sich nun aufs Land zurück. Hier entstanden seine "Natur-Notizen". Die Ostsee faszinierte Feininger schon früh, er liebte ihre weit gedehnten Strände und vielgestaltigen Inseln – von Fehmarn über Rügen bis Usedom. Immer wieder malte und zeichnete er die verschlafenen Fischerdörfer, die fein ziselierten Seebrücken und nicht zuletzt all die heiter dümpelnden Schiffchen auf den baltischen Wellen. Das hinterpommersche Deep wurde sein maritimes Refugium:

    "Ich sitze wohl stundenlang am Strande, ohne ein Wort schreiben zu können. Dieser Gedanke, und wie ist das Meer, vor einem ausgebreitet, mit dem unermesslichen lichten hohen Himmel darüber. Impulse zur Bildgestaltung – die meine Sprache letzten Endes sind. Nie werden Worte diesen Prozess bloßlegen können. Übergroßes Glück wie übergroßes Unglück kann man nicht in Worten sprechen. Meine Schweigsamkeit ist produktiver als meine Worte. Aber sie ist eine schwere Bürde oft…"

    …schreibt er 1932 melancholisch. Sein Werk öffnet sich ganz der Natur, der freien Landschaft, jenseits der Großstadt. Als die Nazis das Bauhaus auflösen, antwortet Feininger mit einer Fülle freier, farbig-prismatischer Werke. Wenige Jahre später muss er Hitlerdeutschland verlassen; er kehrt nach Amerika zurück, wo er wie viele seiner Kollegen am Black Mountain College eine neue Generation von Künstlern ausbildet.

    Die Ostseemotive aber verschwinden nie mehr aus seinem Alterswerk; deutsche Reminiszenzen prägen auch seine amerikanischen Bilder. Und manchmal wuseln sogar wieder kleine Comic-Gespenster durch seine späten Blätter, treiben Schabernack, rotten sich geheimnisvoll zusammen – so als wollte Lyonel Feininger den Kunsthistorikern noch einmal Rätsel aufgeben. Er starb im Alter von 85 Jahren am 13. Januar 1956 in New York.