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Versprechen auf ein Konsum-Paradies

Auf dem 5. SED-Parteitag 1958 verhieß Walter Ulbricht den Delegierten das sozialistische Konsumparadies - nebst dem Planziel, die Bundesrepublik zu überholen. Die Partei propagierte dazu das Programm "Tausend kleine Dinge", denn genau daran mangelte es in DDR-Läden besonders: Büchsenöffner, Nähgarn oder Rasierklingen.

Von Marcus Heumann | 10.07.2008
    Vom 10. bis zum 16. Juli 1958 tagte in Ost-Berlin der fünfte Parteitag der SED. Zwei Jahre, nachdem der Aufstand in Ungarn auch zu umfangreichen politischen Säuberungen im SED-Politbüro geführt hatte, wähnte sich deren Erster Sekretär Walter Ulbricht wieder fest im Sattel - und versprach den DDR-Bürgern für die nahe Zukunft eine Erhöhung des Lebensstandards, der sogar das Niveau der Bundesrepublik überflügeln sollte.

    Ulbricht: " Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist innerhalb weniger Jahre so zu entwickeln, dass die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber der Herrschaft der imperialistischen Kräfte im Bonner Staat eindeutig bewiesen wird und infolge dessen der Pro-Kopf-Verbrauch unserer werktätigen Bevölkerung mit allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern den Pro-Kopf-Verbrauch der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland erreicht und übertrifft. "

    Viele Genossen in der Ost-Berliner Seelenbinderhalle dürften ihren Ohren nicht getraut haben, als ihnen dort am 10. Juli 1958 auf dem 5. SED-Parteitag ihr erster Sekretär Walter Ulbricht das sozialistische Konsumparadies verhieß - nebst dem Planziel, die Bundesrepublik, seinerzeit in voller Wirtschaftswunderblüte - bis 1961 ökonomisch einzuholen - und sogar zu überholen.

    In der Tat brachten die späten 50er Jahre der DDR eine ökonomische Konsolidierung, die Flüchtlingszahlen gingen zurück. Im ersten Halbjahr 1958 war die Industrieproduktion um beachtliche zwölf Prozent gestiegen, und im Mai verschwanden endlich - zehn Jahre später als im Westen - die Lebensmittelkarten und damit die Rationierung von Fleisch, Fett und Zucker, verbunden allerdings mit Preiserhöhungen für ehemals bewirtschaftete Waren.

    Seit 1956 wurde zudem versucht, durch das volkseigene Versandhaus Leipzig die Versorgung der Bevölkerung besonders in ländlichen Gebieten zu verbessern, 1957 war der erste "Trabant" vom Band gerollt, und 1958 propagierte die Partei das Programm "Tausend kleine Dinge", denn genau an solchen Kleinigkeiten mangelte es in DDR-Läden besonders: Büchsenöffner, Nähgarn oder Rasierklingen waren schließlich keine Erzeugnisse, mit denen die stalinistisch organisierte Schwerindustrie eindrucksvolle Planziffern nach oben melden konnte.

    " Tausend kleine Dinge fehlen manchmal dir und mir
    Tausend kleine Dinge sind bald da, die schaffen wir "

    Im inzwischen von jeder innerparteilichen Opposition gesäuberten Politbüro führten die aktuellen Produktionsziffern zu völlig irrealen Träumereien vom unmittelbar bevorstehenden Sieg des Sozialismus. Weiter gebastelt wurde auf dem 5. Parteitag auch an der Vision des "neuen sozialistischen Menschen", der sich fortan an die von Ulbricht persönlich verkündeten "10 Gebote der sozialistischen Moral" halten sollte:

    " 1. Du sollst dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialistischen Länder einsetzen.

    2. Du sollst dein Vaterland lieben und stets bereit sein, deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen.

    3. Du sollst helfen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen.

    4. Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen. "

    Die Verankerung dieser 10 Gebote im Bewusstsein der Bevölkerung scheiterte indes - vielmehr ergänzte der Volksmund Ulbrichts Verhaltenskodex bald um ein 11. Gebot. Und das lautete: Du sollst Dich nicht erwischen lassen.

    Ebenso rasch wurden die ehrgeizigen Planziffern von 1958 zur Makulatur. Den größten ökonomischen Schaden aber richtete einmal mehr das SED-Politbüro selbst an: mit der Ende 1959 begonnenen Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, die zu einer Massenflucht von enteigneten Bauern und schweren Versorgungsengpässen, ja letztlich zum Bau der Mauer im August 1961 führen sollte - der ökonomische Kollaps der DDR wäre andernfalls absehbar gewesen.

    Ein bescheidenes Wirtschaftswunder erlebte das Land erst in der zweiten Hälfte der 60er Jahre - bis dahin aber galten die weisen Worte des obersten Diätassistenten der DDR - Walter Ulbricht:

    " Nach den Erkenntnissen der Wissenschaft soll man nicht zuviel Butter essen, weil das die Arteriosklerose fördert. Das ist auch der Grund, warum ich nicht soviel esse, weil ich nicht nur die Adenauer-Regierung, sondern noch einige andere Regierungen ist Westdeutschland überleben möchte! "