Donnerstag, 18. April 2024

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Verstimmung zwischen Brüssel und Moskau

Heikel und sehr konträr sind die Pläne, die Bundeskanzlerin Merkel mit dem russischen Präsidenten auf dem Gipfel in Samara erörtern will. Dazu gehört auch der Umgang mit Grund- und Freiheitsrechte. Das Thema könnte bald wieder aktuell werden, denn wieder wollen Oppositionelle mit einem so genannten "Marsch der Nicht-Einverstandenen" in Samara demonstrieren. Ein Bericht von Robert Baag.

15.05.2007
    "Altaj, Dunaj-zwo - hier Brjansk-3 - bei uns versammeln sich 20, 30 Leute - Altersdurchschnitt: 60 bis 65 Jahre... Was sollen wir machen?" - "Dass mir keiner durchkommt, habt ihr verstanden?" - "Zu Befehl! Wir halten sie auf. Wir nehmen sie fest!" ---- "Da hinten kommen Kasparov und noch ein paar andere..." ---"Aufhalten, festnehmen... festnehmen! ...alle, alle, alle!... und ab mit ihnen in die Busse..." Los, los, Abmarsch...!"

    Moskauer Szenen - Mitte April. Russische Oppositionelle von der Vereinigten Bürgerfront des Garri Kasparov schneiden minutenlangen Polizeifunkverkehrs mit. Wenig später werden russische Sicherheitskräfte gezielt gegen Putin-Kritiker vorgehen, kurz darauf diese Demonstrationen ebenso niederprügeln, wie einige Tage später in Petersburg. - Russland und die Grund- und Freiheitsrechte - ein Thema, das in wenigen Tagen in Samara an der Wolga erneut zum Thema werden könnte. Wieder wollen dort Oppositionelle mit einem so genannten "Marsch der Nicht-Einverstandenen" demonstrieren. Aktueller Anlass: Rund 200 Kilometer entfernt, auf einem Sanatoriumsgelände, soll der EU-Russland-Gipfel tagen. Die Putin-Gegner wollen deshalb auf sich aufmerksam machen. Nach zähen Gesprächen genehmigen die Stadtoberen von Samara endlich eine halbstündige Demonstration - übrigens kurz nachdem die EU-Ratspräsidentin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit in Samara angemahnt hat.

    Nervös seien sie, die Behörden, kommentiert Ljudmila Aleksejeva von der Moskauer "Helsinki-Gruppe" - sie ist die Vorsitzende dieser traditionsreichen Dissidentengruppe noch aus Sowjetzeiten:

    "Für den Machtapparat ist es jetzt einfach unbequem, eine Erlaubnis zu versagen - wo doch das Ausland aufmerksam geworden ist. Andererseits: Sie tun alles, damit es nicht zu diesem Marsch kommt."

    Spätestens seit dem Vorgänger-Gipfel im finnischen Helsinki vor über einem halben Jahr, sind Misstöne im Verhältnis zwischen Moskau und Brüssel nicht mehr zu überhören. Zwar wollen beide Seiten ein neues Partnerschaftsabkommen, da das bisherige zum Jahresende ausläuft. Doch die EU möchte, dass Russland verlässliche Energie-Liefersicherheit bietet und die so genannte "Energiecharta" endlich ratifiziert. Russland lehnt dies kategorisch ab. - Russland lässt weiterhin auch keine Fleischexporte aus Polen über seine Grenzen. Und auch hier: Keine Entspannung in Sicht. - Zbigniew Rzonca von der polnischen Botschaft in Moskau:

    "Polen will weiterhin, dass die EU-Kommission uns in den Gesprächen mit Russland repräsentiert, weil dies die Angelegenheit eines Mitgliedslandes der EU betrifft. Die russischen Vorwürfe betreffen nicht nur Fleischprodukte aus Polen sondern aus der ganzen EU. Dieser Vorgang übersteigt die Kompetenzen Polens - und deswegen haben wir das auf die Diskussionsebene EU-Russland gehoben."

    Warschau ist somit nicht bereit, sein Veto aufzuheben und EU-Verhandlungen mit Russland über das neue Abkommen zuzustimmen. Mittlerweile könnte sich Litauen der polnischen Haltung anschließen, das über gedrosselte Öllieferungen aus Russland klagt - und nicht zuletzt auch Estland, das wegen des kürzlich umgesetzten sowjetischen Kriegerdenkmals in Tallin für das offizielle Moskau inzwischen beinahe zum Feindbild "Nummer 1" avanciert ist. - Russlands Außenamts-Sprecher Michail Kamynin:

    "Es wäre wünschenswert, wenn sich die europäischen Zivilgesellschaften, die Führungen der europäischen Länder und der wichtigen europäischen Institutionen an die Lehren aus den Vorgängen um das Tallinner Denkmal erinnerten und diese Vorgänge insgesamt objektiv beurteilen würden - und berücksichtigten, zu welchen negativen Momenten es führen könnte, wenn einige europäische Länder die Schritte der estnischen Regierung wiederholen würden..."

    Noch ein gewaltiger Stein des Anstoßes liegt auf dem Weg zum EU-Russland-Gipfel: Russlands Ärger über US-Pläne, auf europäischem Territorium ein Raketen-Abwehrsystem gegen eine vermeintliche oder tatsächliche Bedrohung aus dem Iran einrichten zu wollen - auch wenn die EU selbst hier nicht mit einer Stimme zu sprechen scheint.
    Der Gipfel von Samara: Ist man sich zutiefst gram und sogar auf Krawall eingestimmt? Türenschlagen eingeschlossen? - Der Politologe und EU-Experte Andrej Zagorskij ist sich schon heute sicher:

    "Das bringt neue Töne! Das Anliegen, das auf russischer Seite bei der Neuverhandlung der Beziehungen, neue Definition der Beziehungen zur EU, ist ganz deutlich: Man will nicht allein ein partnerschaftliches Verhältnis auf gleicher Augenhöhe herstellen, man will auch die Konditionalität wegschaffen, das heißt, die Bedingung, dass die Partnerschaft mit der Europäischen Union nur mit dem Fortschritt der Reformen in Russland weitergehen kann und sich vertiefen kann."