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Versuch eines Überblicks

In Berlin hat der Wissenschaftsrat heute zu einer Pressekonferenz eingeladen: Im Zentrum steht der Umgang mit dem Islam - angesichts von vier Millionen Muslimen in Deutschland kann eine Entscheidung um Einführung eines islamischen Religionsunterricht nicht mehr länger aufgeschoben werden, Deutschland braucht sehr viel mehr akademisch ausgebildete Islamlehrer.

Von Heike Zafar | 01.02.2010
    Es ist Samstag früh, Blockseminar "Islamische Theologie" an der Uni Osnabrück: 15 Zuhörer sitzen im Seminar, die wenigsten davon im Studentenalter, wie die 38-jährige Dilek: Sie kommt jedes zweite Wochenende aus Melle nach Osnabrück, weil sie einen Abschluss als Islamlehrerin machen will:

    "Für meinen Beruf ist das wichtig als Fach in der Schule, dass ich weitergebildet bin in didaktische Methoden und arabisch Kenntnisse und theologischem Hintergrund."

    Dilek hat zunächst in Osnabrück Deutsch und Sport studiert, später in der Türkei ihr Referendariat gemacht. Jetzt arbeitet sie als Grundschullehrerin: In ihrer Klasse sind acht Kinder katholisch, evangelisch oder nicht getauft, 20 Kinder sind Muslime: Ihnen auch Religionsunterricht zu geben, hält Dilek für eine Selbstverständlichkeit, was fehlt, sind ausgebildete Lehrer:

    "Es ist zu wenig wenn ich in unseren Klassen gucke, reicht gar nicht aus."

    Kein Wunder: Der Studiengang für islamische Religionslehrer in Osnabrück ist gerade mal zweieinhalb Jahre alt, es gibt 35 Studenten, auch in Münster und Erlangen, den zwei weiteren Unis mit Islamlehrerausbildung ist die Zahl der Studenten mit insgesamt rund 50 sehr überschaubar: Professor Bülent Ucar aus Osnabrück, sieht klare Versäumnisse der Politik:

    "Da muss definitiv mehr passieren. Im Bereich des Islam hat man jahrzehntelang das Thema nicht zur Kenntnis genommen, erst durch die Ereignisse der letzten Jahre und der Integrationsdefizite hat die Politik mittlerweile verstanden, dass einiges zu tun ist, es ist erfreulich, dass der Wissenschaftsrat sich dazu positioniert und wichtig ist dass diese Institute auf- und ausgebaut werden."

    Konkret heißt das: mehr Geld, mehr Stellen, Gleichberechtigung mit den Lehrstühlen für katholische und evangelische Theologie. Aber es fehlt noch an mehr: Noch immer ist nicht geklärt, wer über die Lehr-Inhalte und die Besetzung der Professuren mitbestimmen soll. Es gibt keine islamische Kirche, die mit den christlichen vergleichbar ist - stattdessen die Muslimischen Verbände, den Koordinierungsrat der Muslime: Die Vertreter stehen für einen streng konservativen Islam, der längst nicht alle Muslime in Deutschland repräsentiert.

    An der Uni Münster wurde Professor Mohammed Sven Kalisch nach Kritik des Koordinierungsrats aus der Islamlehrerausbildung abgezogen, weil er die Existenz Mohammeds in Frage stellt. Es gab Morddrohungen, Kalischs Büro muss mit mit Kameras und Schutztüren gesichert werden. Die Lehrerausbildung sollte schon lange ein anderer übernehmen - aber: das Verfahren zieht sich hin. Die Uni Münster hat dem NRW Wissenschaftsministerium eine Liste mit ausgewählten Kandidaten vorgelegt: Dort will man die Zustimmung des Koordinierungsrats einholen. Die münstersche Unileitung wird dagegen nicht müde, ihre Unabhängigkeit zu betonen, Pressesprecher Norbert Robers:

    "Ein Mitbestimmungrecht haben sie gar nicht, was sie haben ist das Angebot dass sie eine Stellungnahme abgeben können, aber daran ist das Rektorat der Uni nicht gebunden wir nehmen das zur Kenntnis, aber wir entscheiden.""

    Die Studenten in Münster warten derweil darauf, dass der Nachfolger endlich kommt. Circa 15 Studenten sind im Boykott. Trotz allem sieht sich die Uni gut aufgestellt künftig Standort für eins der 15 vom Wissenschaftsrat empfohlenen Islamzentren zu werden.

    Streit um die Islamlehrerausbildung gibt es auch an der Uni Frankfurt: Dort bezahlt die türkische Religionsbehörde Diyanet schon seit einiger Zeit zwei Professuren, die Islamlehrerausbildung will sich die Uni aber nicht von Ankara finanzieren lassen, um zu verhindern, dass die Türkei die Stellen streicht, wenn ihr die Lehre nicht gefällt. Ein Interview dazu lehnt die Unileitung derzeit ab.

    Die Gemengelage zeigt, dass es keine generelle Regelung zur Islamlehrerausbildung gibt und sie nicht so zügig vorankommen dürfte, wie es der Wissenschaftsrat fordert. Professor Ucar aus Osnabrück sieht darum - trotz allem - für die Islamlehrerausbildung optimistisch in die Zukunft:

    "Die demographische Entwicklung, die Verschärfung der sozialen Probleme wird es der Politik nicht mehr möglich machen das Thema auf die lange Bank zu schieben und alle Bundesländer von München bis Flensburg von Düsseldorf bis Berlin haben die Bedeutung erkannt und sind am Ball. Und ich weiß aus verschiedenen Ebenen dass alle Ministerien viele interessiert sind und was tun möchten."