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Versuche mit Hirnstimulator
Stromstöße für das Gedächtnis

Wenn das Stichwort Gehirndoping fällt, geht es in der Regel um Medikamente. Doch US-Forscher fanden einen anderen Ansatz: Auch mit gezielten Stromimpulsen konnten sie die Lernleistung von Probanten verbessern. Doch können diese Erkenntnisse auch in Therapien für Patienten umgesetzt werden?

Von Lucian Haas | 01.03.2018
    Computer Illustration eines menschlichen Gehirns.
    Kann man Patienten mit Gedächtnisverlust einen Teil ihrer Merkfähigkeit zurückgeben? An dieser Frage forschen Wissenschaftler an der University of Philadelphia (imago / Roger Harris)
    Damit das Gehirn sich etwas merken kann, muss es in einem besonderen angeregten Zustand sein. Das haben Studien gezeigt, in denen bei Probanden während des Lernens Hirnströme aufgezeichnet wurden. Fehlten typische Hirnstrommuster, blieb der Lernstoff nachweislich schlechter hängen.
    Auf Basis dieser Erkenntnis kam der Psychologe Michael Kahana von der University of Philadelphia auf eine Idee: Sollte es nicht möglich sein, das Gehirn bei Bedarf in genau diesen lernträchtigen Zustand zu versetzen, und zwar mit kurzen, hochfrequenten Stromimpulsen im passenden Moment?
    Das Gehirn behutsam lenken
    "Wir fragten uns zunächst: Können wir einen Moment vorhersagen, wenn das Gehirn beginnt, beim Lernen vom Weg abzukommen, um es dann behutsam wieder dorthin zurückzulenken. Wenn das gelänge, könnte ein solcher Eingriff die Hirnfunktion tatsächlich unterstützen."
    Michael Kahana und sein Team machten Versuche mit 25 Probanden. Deren Gehirn war zur klinischen Untersuchung einer möglichen Epilepsie bereits in verschiedenen Regionen mit Elektroden versehen. Das nutzten die Forscher, um die Hirnstrommuster aufzuzeichnen, während die Probanden Wortreihen lernen mussten, die später wieder abgefragt wurden. Eine spezielle Software auf Basis künstlicher Intelligenz wertete die Daten aus. Das Programm lernte eigenständig, die für jeden Probanden typischen Hirnstrommuster zu erkennen, die mit einem erfolgreichen Behalten oder dem absehbaren Vergessen von Worten während des Lernprozesses verbunden waren.
    "So erzeugten wir ein statistisches Modell, um aus den Mustern der gemessenen Hirnströme eine Prognose abzuleiten, ob die Gedächtnisbildung im Moment erfolgreich verläuft oder nicht. Das gleiche Modell haben wir dann später genutzt, um bei einer weiteren Lernrunde das Gehirn zu stimulieren. Damit konnten wir genau bestimmen, wann der Stimulator das Gehirn der Probanden reizen sollte, um es wie erhofft von einem aktuell erkennbar schlechten in ein gutes Aktivitätsstadium zu versetzen."
    Stomstöße verbessern die Lernleistung
    Als Stimulator dienten zwei Elektroden, die im linken seitlichen Schläfenlappen des Hirn steckten, direkt hinter dem Ohr. Aus früheren Studien war Michael Kahana bekannt, dass dieser Bereich gut mit weiteren Hirnteilen vernetzt ist, die für das Erinnerungsvermögen von Bedeutung sind. Der lokale Stromstoß sollte sie alle gewissermaßen in Hab-Acht-Stellung versetzen. Das Experiment war auch erfolgreich. Mit gezielten Stromimpulsen zu der vom Modell prognostizierten Zeit konnten die Forscher die Lernleistung ihrer Probanden verbessern. Und zwar im Durchschnitt um 15 Prozent im Vergleich zur gleichen
    "15 Prozent Verbesserung ist schon beachtlich, wenn man bedenkt, dass Lernen ja ein kumulativer Vorgang ist. Wenn man bei jeder Wiederholung 15 Prozent schneller lernt, so ist man in kurzer Zeit deutlich besser, als wenn das Gehirn nur auf seinem niedrigeren Ausgangslevel arbeiten würde."
    Bis zur Therapie noch ein weiter Weg
    Michael Kahana plant allerdings nicht, das Verfahren als Gehirntuning für Elite-Schüler einzusetzen. Bisher sei das alles noch reine Grundlagenforschung, sagt er. Mögliche Anwendungsfälle sieht der Forscher, wenn überhaupt, eher als Therapie im Krankheitsfall. Zum Beispiel bei Patienten mit Gedächtnisverlust infolge einer Demenz. Bis im Alltag passende Hirnschrittmacher zum Erhalt der der Merkfähigkeit eingesetzt werden könnten, sei es noch ein sehr weiter Weg.
    "Um diese Erkenntnisse in Therapien für Patienten umzusetzen, müsste man erst einmal ein komplett implantierbares System entwickeln. Es säße wie ein Schrittmacher im Körper und müsste die nötige Stimulation des Gehirns in einer sehr intelligenten Weise kontrollieren können. Diese Technik zu entwickeln, wird uns noch viel abverlangen. Und solange wir das nicht geschafft haben, wird es auch nicht möglich sein, mit klinischen Studien zu beginnen – zum Beispiel bei Patienten mit Alzheimer oder Patienten mit Gedächtnisverlust als Folge eines Schädel-Hirn-Traumas."