Freitag, 19. April 2024

Archiv

Verteidigungspolitik
"Alle EU-Staaten sind durch Russland gefährdet"

Die EU-Staaten wollen bei der Verteidigung enger zusammenarbeiten. Das beschlossen sie auf einem Gipfeltreffen in Brüssel. Der polnischen Regierungspartei PiS gehen die Beschlüsse nicht weit genug. Der Parlamentsabgeordnete Szymon Szynkowski sagte im DLF, die EU-Staaten müssten noch mehr Geld für ihre Verteidigungspolitik ausgeben.

Szymon Szynkowski im Gespräch mit Jasper Barenberg | 16.12.2016
    Wladimir Putin beim Gipfeltreffen in Brüssel im Januar 2014
    Wladimir Putin beim Gipfeltreffen in Brüssel (dpa / picture-alliance / Olivier Hoslet)
    Auch Deutschland investiere zu wenig in Sicherheit und Verteidigung, betonte Szynkowski. Als Ideal nannte er die NATO-Selbstverpflichtung, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für diesen Zweck zu nutzen. In Polen sei das der Fall. Der PiS-Abgeordnete warnte, die hybride Kriegsführung Russlands bedrohe alle europäischen Staaten. "Die EU muss zusammen ihre Verteidigungsstärke auf ein höheres Niveau heben."
    Er ergänzte, alleine könne die Europäische Union keine effektive Verteidigungsstruktur aufbauen. Mit der NATO sei das aber möglich. Zur Debatte über eine mögliche gemeinsame EU-Armee sagte Szynkowski, derzeit sei ein solches Vorhaben unrealistisch. Möglicherweise aber komme es zukünftig infrage.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist Szymon Szynkowski, Abgeordneter der regierenden PiS-Partei in Polen und Vorsitzender der deutsch-polnischen Gruppe im Sejm in Warschau. Schönen guten Morgen, Herr Szynkowski.
    Szymon Szynkowski: Guten Morgen!
    Barenberg: Herr Szynkowski, wie wichtig ist es, dass auch die Europäische Union in Fragen von Sicherheit und Verteidigung noch viel enger als bisher zusammenarbeitet?
    Szynkowski: Na ja. Während der jetzigen geopolitischen Instabilität in Europa ist enge Zusammenarbeit nicht nur wichtig, sondern sogar unbedingt, würde ich sagen. Wir sehen jetzt aggressive Russland-Politik im Osten, Instabilität von Staatsstruktur und Terrorismus im Süden, und deswegen war und ist auch Polen konsequent für starke und effektive Verteidigungspolitik.
    "Wir müssen die Bürgergesellschaft in Russland unterstützen"
    Barenberg: Gehen Ihnen die Schritte, die bisher angedacht sind und beschlossen wurden, weit genug?
    Szynkowski: Wir denken, nicht genug. Deswegen unterstützen wir auch die europäische Globalstrategie. Für uns sind die Prinzipien des internationalen Rechts wichtig. Das zeigt auch der Fall Ukraine. Wir müssen für Hybridkrieg auch als EU gemeinsam immun sein. Wir brauchen auch noch engere Zusammenarbeit zwischen EU und NATO. Und was ich auch unterstreichen möchte, brauchen wir nicht nur Südpolitik - darauf hat sich die EU schon oft konzentriert -, sondern auch eine starke Ostpartnerschaft. Das ist besonders für Polen auch wichtig.
    Barenberg: Sie sprechen vor allem an, wenn die EU im Moment aktiv wird, dann ist es derzeit beispielsweise im Kampf gegen Schlepper auf dem Mittelmeer, oder im Kampf gegen Piraten. Sie würden sich wünschen, dass es mehr Interesse auch für die Entwicklung im Osten Europas gibt. Wie sollte das aussehen?
    Szynkowski: Wir sehen, dass Russland jetzt ständig internationales Recht verletzt. Deswegen sehen wir auch besonders als Ost-EU-Staat, dass wir gemeinsam als EU, alle Staaten sind eigentlich durch Russland gefährdet. Das muss man so ehrlich sagen. Deswegen wünschen wir uns, dass einige Prinzipien in den Relationen zwischen Russland und EU garantiert werden. Das ist natürlich die völlige Implementation des Minsk-Abkommens als erste Bedingung für überhaupt irgendwelchen Wechsel im Dialog zwischen Russland und EU. Das ist natürlich Kooperation zwischen EU und Ostpartnerschaft. Das ist gar keine Frage, das muss verstärkt werden. Wir müssen auch stärkere Immunität gegen die Gefahr von russischem Hybridkrieg, Propaganda und Energieerpressung verstärken. Wir müssen auch selektives Engagement in den Relationen mit Russland haben. Das sind die strategischen Hauptpunkte, die diesen Dialog betreffen, wie Ukraine, Syrien, Terrorismus. Und als letzte, aber auch wichtige Sache: Wir müssen auch die Bürgergesellschaft in Russland unterstützen.
    "Wir wünschen uns eine strategische NATO-Partnerschaft mit Amerika"
    Barenberg: Nun sind ja viele der Aufgaben, die Sie genannt haben, eigentlich klassische Aufgabe der NATO. Was kann die EU, was kann Europa mit seinen Strukturen speziell beitragen dazu?
    Szynkowski: Die Kooperation zwischen EU und NATO ist für uns natürlich wichtig, weil 26 von 28 Mitgliedsstaaten sind Mitglieder in der NATO. Deswegen ist es auch so wichtig, dass die Abwehrstrukturen von NATO und EU mit sich kooperieren. Besonders nach dem Warschauer Gipfel der NATO wünschen wir uns enge Kooperation mit der NATO. Ich glaube nicht, dass die EU alleine eine effektive Verteidigungsstruktur bauen kann, aber zusammen mit der NATO, das ist für mich eigentlich klar, das kann schon effektiv werden.
    Barenberg: Aber eine eigene europäische Armee - darüber gibt es ja auch Gedankenspiele -, die halten Sie für unrealistisch oder auch nicht wünschenswert?
    Szynkowski: Das soll man überlegen natürlich als eines der möglichen Mittel für solch eine effektive Verteidigungsstruktur. Ich finde, heutzutage kann man das vielleicht als unrealistisch ansehen, aber vielleicht sollten wir uns auch die Zukunft anschauen und deswegen ist das eines der eigenen Mittel, die wir analysieren sollten.
    Barenberg: Und gehört zu dieser Zukunft auch, Herr Szynkowski, dass Donald Trump als nächster US-Präsident dafür sorgen wird, dass die NATO-Bündnisverpflichtungen geschwächt werden?
    Szynkowski: Die erste Sache ist, wir als Polen haben einen großen Respekt vor der Wahl von den amerikanischen Bürgern. Deswegen warten wir jetzt auf die neue politische Architektur von dem neuen US-Präsidenten Donald Trump. Dabei sind wir überzeugt, dass die Entscheidungen vom NATO-Gipfel in Warschau erhalten werden, und die NATO war immer für die Amerikaner als Friedens-Stabilitätsstruktur für die ganze Welt und auch natürlich für die EU wichtig, und wir finden, das soll so bleiben und das wird so bleiben.
    Barenberg: Das könnte ja ein Unterschied sein, weil Donald Trump ja angekündigt hat, dass es nicht mehr so bleiben wird.
    Szynkowski: Das war Kampagne und jetzt werden wir Donald Trump als Amerikas Präsident haben. Jetzt hat er schon nach den Wahlen einige Aussprachen ein bisschen geändert und wir wünschen uns natürlich auch eine strategische NATO-Partnerschaft mit Amerika. Wir haben eine Hoffnung, dass es so sein wird.
    "Die EU muss ihre Verteidigungsstärke auf ein höheren Niveau erheben"
    Barenberg: Eine Hoffnung. Aber Gewissheit haben Sie nicht?
    Szynkowski: Natürlich. In der Politik hat man niemals Gewissheit.
    Barenberg: Und ist es auch deswegen, dass Sie sagen, Europa muss letztlich auch jedenfalls irgendwann in ferner Zukunft in der Lage sein, die eigene Verteidigung selbst zu organisieren?
    Szynkowski: Die EU muss zusammen ihre Verteidigungsstärke auf einem höheren Niveau erheben. Wie gesagt, man kann natürlich erwägen, ob eine europäische Armee in Kooperation mit der NATO ein effektives Mittel dafür wäre. Aber auch eine andere Sache ist, dass EU-Staaten vor allem Risiken sowohl vom Süden als auch vom Osten wahrnehmen müssen, und das heißt mehr Geld für Verteidigungspolitik ausgeben. Ich möchte jetzt unterstreichen, dass Polen für seine Armee mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgibt, und das ist eine der größten Dissensaufgaben in der EU. Ich würde mir wünschen, dass auch andere Staaten auf diesem Niveau ihre Ausgaben erhöhen.
    Barenberg: Ist das auch eine direkte Forderung an die Bundesregierung, die ja weit unter dem Wert von zwei Prozent liegt, den alle anstreben?
    Szynkowski: Ja. Ich spreche viel mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag, mit den Parlamentariern, und darüber sprechen wir natürlich auch. Ich versuche, meinen Kollegen zu sagen, in diesen instabilen Zeiten braucht man eine stärkere Verteidigungspolitik. Das heißt, auch mehr Geld für Verteidigungspolitik.
    Barenberg: … sagt der polnische Parlamentarier Szymon Szynkowski im Gespräch mit dem Deutschlandfunk hier heute Morgen live. Vielen Dank!
    Szynkowski: Vielen Dank! - Danke schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.