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Verwachsen mit Laptop und Mobiltelefon

Felicia Zellers Stücke haben seit vielen Jahren eine feste Adresse auf deutschen Bühnen. Ihr größter Erfolg war 2008 "Kaspar, Häuser, Meer", ein Drama über drei Sozialarbeiterinnen. In ihrem neuen Stück "X Freunde" geht es nun um Mittdreißiger und ihre Arbeitssucht.

Von Hartmut Krug | 13.10.2012
    Holger steht an seiner Kochstelle am Bühnenrand und sprüht vor Lebens- und Kochlust. Der arbeitslose Koch, der mit seiner Cateringfirma nach einem Lebensmittelskandal gescheitert ist, bereitet als Hausmann Sardellen mit schwarzen Linsen zu. Vor dem Publikum und für seine Frau Anne und seinen Freund Peter, der Sekt mitbringt. Dann geht es hinauf in den weißen, leeren Bühnenkasten, der mit seiner blauen Wandmatte und einem kleinen Bodentrampolin nicht zufällig wie ein Sparringsraum wirkt. Ein Song mit dem Refrain "Where to go and what to do" ertönt, auch nicht zufällig, und schon bricht das Sprech- und Sprachgewitter los, mit dem die Autorin Felicia Zeller ihre Figuren durch das Stück rasen lässt.

    Holger: "Mach doch mal 'ne Pause."
    Anne: "Also echt. Holger. Manchmal redest Du mit mir. Das ist hier keine Werbung! Mach doch mal Pause. Ich bin doch kein Schokoriegel. Du kannst in dieser Branche nicht einfach mal Pause. Du kannst nicht Engagement verkaufen, Einsatz mehr, und dann selber nur so ein bisschen."

    Während in ihrem Erfolgsstück "Kaspar, Häuser, Meer" drei Sozialarbeiterinnen ihre Überarbeitung in furiosen Sprachstafetten abarbeiten, kämpfen in "X Freunde" drei Freunde der Generation Beißschiene, wie die Autorin sie nennt, um ihre Lebensentwürfe. Es sind sogenannte Kreative, die sich in einem ständigen Positions- und Lebenskampf erschöpfen. Ein Gefühl der Überforderung bestimmt ihr Leben, oder, wie Peter, wenn auch folgenlos, einsieht: "Der Wahnsinn ist, dass der Wahnsinn für alle schon Normalität ist."

    Felicia Zeller betont in ihrem Vorwort "Alle Charaktere sind von Symptomen der Arbeitssucht durchdrungen". Denn alle denken, unentwegt etwas tun zu müssen, zur Selbstverwirklichung und für die Gesellschaft. So pressen Leistungslogik und Produktivitätsforderung Zellers Figuren ins Hamsterrad der Sprache und Sprüche. Schnell und unfertig die Sätze, abbrechend vor jeder klaren Aussage, obwohl und weil gerade die Kommunikation das Entscheidende in unserer Wissens- und Leistungsgesellschaft sein soll. Die drei aber sind, jeder für sich, völlig überfordert. Peter, der Bildhauer, sucht nach Produktivität und Sinn seiner Profession, Anne kämpft für ihr Berufsmodell und geht völlig in der Arbeit auf, und Holger kämpft um seine Ehe, kocht mit Freuden und leidet in der Ehe.

    Anne: "Gerade Du müsstest doch unter. Ich brauche Deine Unterstützung. Gerade jetzt."
    Holger: "Es ist immer gerade jetzt. Wie ist eigentlich schon gerade jetzt? Und morgen ist alles anders?"
    Anne: "Da ist 'ne Konferenz."
    Holger: "Genau, das meine ich."
    Anne: "Du weißt genau, wie wichtig diese Konferenz. Noch nie habe ich mit so fähigen Mitarbeitern zusammengearbeitet. Alles geht immer alle. Was. Dient der Kommunikation."

    Zellers Sprachfluss ist witzig bis brutal, aber nicht so brillant wie noch in "Kaspar, Häuser, Meer". Weil zu viele Solos hintereinandergestellt sind. Außerdem wirken die Sätze gelegentlich allzu konstruiert, zu absichtsvoll. Sie prallen nicht gegeneinander und gegen die Realität, sondern klingen mit all den bekannten Floskeln aus Verkaufs- und Selbstverwirklichungsmilieus wie Erklärmonster. So führt alles, was die drei Figuren in "X Freunde" im Sinne ihrer Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung und was sie für Leben und Liebe tun, zu einer immanenten Selbstentfremdung. Wenn Anne ihre eigene Agentur Private Aid gründet, so soll diese nicht nur nach ihren Regeln und Vorstellungen funktionieren, sondern auch ihren Teil zur Verbesserung der Welt beitragen. Weshalb sie wie verwachsen mit Laptop und Mobiltelefon ist und ihren Mann eher als störend empfindet. Der deshalb Selbstmord begeht. Worauf Peter seine künstlerische Produktivität wieder findet und Anne den begehrten fetten Auftrag bekommt. So weit, so böse. Leider reicht das Regisseurin Bettina Bruinier nicht. Sie lässt ihre Schauspieler ohne rechtes Gefühl für den Rhythmus der Zellerschen Sprache viel brüllen und toben, und verformt das pfiffige Stück zur platten Klamotte. Holger wird zum Clown mit tonnenhaftem Leibesumfang, Peter ist mit offenem schwarzen Anzug und großer Rahmenbrille das schrille Klischee eines zagenden Möchtegernkünstlers, und die ehrgeizige Anne versteift sich zum Ausrufezeichen. So wurden nur eindreiviertel Spielstunden mit viel Tobespaß trotz der deutlich animierten, spielfreudigen Schauspieler doch arg lang.