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Verwüstung in Japan

Geologie. - Die Erdstöße, die Japan um 14:46 Uhr Ortszeit erschüttert haben, waren 1000 Mal größer als die im neuseeländischen Christchurch. Das Beben der Stärke 8,9 mit dem Epizentrum vor der Ostküste Honshus erzeugte außerdem eine bis zu zehn Meter hohe Flutwelle, die in den Küstenregionen verheerende Schäden anrichtete. Die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich berichtet im Gespräch mit Ralf Krauter.

11.03.2011
    Krauter: Frau Röhrlich, das Epizentrum lag im so genannten pazifischen Feuerring vor Japans Ostküste, knapp 400 Kilometer von Tokio. Was ist das dafür eine geologische Konstellation und warum kracht es da so häufig?

    Röhrlich: Dort rammt sich die pazifische Krustenplatte gegen die eurasische Platte, die dagegen drückt, und zwar mit acht bis zehn Zentimeter pro Jahr. Und dabei taucht dann die pazifische Platte zurück ins Erdinnere hinein ab. Man kann sich vorstellen, dass das jetzt nicht ohne Hakeleien abgeht, ist kommt immer wieder dazu, dass das Ganze zum Stocken kommt, Spannungen bauen sich auf. Und wenn die irgendwann mal zu groß sind, reißt es. Und dann gibt es ein Seebeben, weil es draußen auf der See stattfindet. Genau das ist jetzt passiert, wobei die Gegend schon die ganze Zeit unruhig ist. Vor zwei Tagen hat es erst ein Beben der Stärke 7,2 gegeben, was ja auch schon ein starkes Beben ist. Wie wir jetzt wissen, war das nur ein Vorgehen. Es ist jetzt erst richtig losgegangen mit 8,8 oder 8,9. Und das Epizentrum dieses Bebens lag sehr flach. Nur 24 Kilometer. Das ist dann für die Erdbebenexperten immer ein ganz übles Zeichen. Dort habe ich eine besondere Geometrie, denn diese pazifischen Krustenplatte, die taucht sehr flach unter die eurasische Platte, in dem Fall unter Japan, das da liegt, sehr flach ab. Und damit ist es natürlich so, dass die Bebenwellen sich wunderbar direkt an der Oberfläche ausprägen können und die Schäden extrem groß sind. Was jetzt mit den Gebäuden passiert ist, wissen wir noch nicht, aber die ersten Bilder sind natürlich beunruhigend.

    Krauter: Das ist also eine tektonische Knautschzone, sozusagen, wo das seinen Anfang nahm. Es war das stärkste Beben, das in Japan je gemessen worden ist. Ist das damit zu erklären, dass es so hoch, so relativ dicht unter der Oberfläche lag?

    Röhrlich: Die Spannungen müssen immens groß gewesen sein, die sich dort aufgebaut haben. Und dabei spielt dann auch eine Rolle, wie weit der Meeresboden aufreißt. Und in dem Fall sind es mindestens 400 Kilometer gewesen, über den der aufgerissen ist. Und wahrscheinlich, erste Vermutungen sind, dass die beiden Teile, die beiden Platten sich um mindestens fünf Meter gegeneinander versetzt haben. Da sind also immense Kräfte frei geworden, und das führt dann zu dieser Stärke.

    Krauter: Erdbebenvorhersagen, das kann man noch nicht, das wird man vielleicht auch nie können, erwarten Experten. Aber Japan ist ja auch bekannt dafür, dass es ein effektives Frühwarnsystem hat, dass mit dem Registrieren der ersten Erdstöße andere Landesteile alarmiert werden, so dass man dort je nach Entfernung vom Epizentrum doch so zwischen 3 und 40 Sekunden Vorwarnzeit hat, um zum Beispiel Züge anzuhalten oder Industrieanlagen abzuschalten. Auch die Bevölkerung wird vorgewarnt über Handy, Radio, Fernsehen, also mit Hightech. Bei der Einführung war dieses Frühwarnsystem nicht ganz unumstritten. Hören wir dazu kurz den Ingenieuren Kimeru Meguro. Er ist Professor für städtische Katastrophenschutz in Tokio und hat uns in dieser Sendung kürzlich gesagt:

    "Die größte Sorge war, dass Leute die Bedeutung des Frühwarnsystems nicht richtig verstehen, und deshalb nicht richtig wissen, wie sie reagieren sollen, wenn sie diese Warnung bekommen. Möglicherweise geraten sie in Panik. Es besteht die Gefahr, dass dann größere Schäden entstehen, als entstanden wären, wenn diese Information nicht verbreitet worden wären."

    Krauter: Frau Röhrlich, kann man denn jetzt zu diesem Zeitpunkt schon sagen, ob dieses Frühwarnsystem, was ja dort existiert, funktioniert und was gebracht hat oder nicht?

    Röhrlich: Das wird man wahrscheinlich erst in den nächsten Tagen richtig wissen. Jedenfalls die Stadt Sendai, die da am nächsten dran ist, da waren die Vorwarnzeiten so kurz, dass man ja nur noch mit Notabschaltung reagieren konnte. Man konnte U-Bahnen stoppen, der Hochgeschwindigkeitszug ist zum Stehen gekommen, man konnte Kernkraftwerke herunterfahren. Alles Notmaßnahmen, die gerade noch griffen. Wenn nur ein paar Sekunden [Zeit] ist, denn das Beben war relativ nah an dieser Stadt dran, dann kann ich jetzt nicht erwarten, dass die Leute jetzt noch kapieren, was sie jetzt gerade machen sollen. Aber, man weiß, dass beispielsweise eine Raffinerie brennt. So ganz hat überall das Abschalten nicht geklappt. Trotzdem sieht es so aus, weil auch die Vereinten Nationen die japanische Regierung und auch den japanischen Katastrophenschutz loben, dass alles so schön glatt läuft, als sei es gut gegangen für die Stärke dieses Bebens… Genaues, wie gesagt, werden die nächsten Tage zeigen. Es gibt einige Orte, wo man durch den Tsunami, der erzeugt worden ist, große Probleme bekommen hat. Aber das ist ja wiederum zwar mit dem Erdbeben verbunden, aber eine andere Gefährdungssituation.

    Krauter: Über die Flutwelle sprechen wir gleich noch. Lassen Sie uns noch kurz zurückkommen auf die Kraftwerke. Atomkraftwerke wurden abgeschaltet, zum Teil problemlos, manchmal mit Problemen. Offenbar macht aber ein Meiler immer noch Schwierigkeiten. Was genau ist denn da los?

    Röhrlich: Ja das ist das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi, wo man nicht so genau weiß, was eigentlich los ist. Also ein oder zwei Reaktoren sind betroffen, und dabei hat die normale, haben die normalen Notsysteme nicht geklappt. Zwar hat die Schnellabschaltung geklappt, aber die Kühlung ist nicht angesprungen. Es gab weder eine Stromversorgung aus dem Netz heraus, noch sind die Dieselaggregate angesprungen. Dann gibt es noch ein Not-Kernkühlsystem, das dann übernommen hat. Das heißt, im Moment sieht es so aus, als würde der Dampf, der immer noch im abgeschalteten Reaktor entsteht, auf Turbinen geleitet. Diese Turbinen treiben eine kleine Pumpe an, diese Pumpe holt dann aus einem, ja, aus einem Wasserbecken Wasser, das dann in den Kern hineingepumpt wird, um ihn zu kühlen. Gesteuert wird das Ganze mit einer Batterie. Und diese Batterien haben nur ein paar Stunden Laufzeit, so dass da im Moment wirklich gezittert wird von den Experten, auch wenn man bei der IAEA anruft oder bei den deutschen Experten der GRS, was da passieren kann. Es gibt inzwischen aus Japan beruhigende Nachrichten, dass in Bälde dort wieder mit Strom versorgt werden kann. Das wäre auch notwendig, denn sonst kann man eigentlich nur noch die Betriebsfeuerwehr dorthin schicken, die dann mit dem Feuerwehrschlauch das ganze kühlt. Das wäre in deutschen Kernkraftwerken möglich, ob das jetzt in japanischen Kernkraftwerken möglich ist, das konnte mir auch keiner sagen.

    Krauter: Im schlimmsten Fall droht dann eine Kernschmelze, wenn die Kühlung komplett versagt. Aber noch sieht es nicht so aus, als ob es so weit kommen würde.

    Röhrlich: Wollen wir hoffen, dass nicht so weit kommt.

    Krauter: Lassen Sie uns über die Flutwelle sprechen, die rollt jetzt über dem Pazifik weiter, nachdem sie eben in Japan an den Küsten verheerende Schäden verursacht hat. Die Flutwelle scheint schon vor der Sendung ein bisschen an Schwung verloren zu haben, nachdem sie in Japan verlassen hat. Auf den Philippinen kamen sie so gegen 15:00 Uhr an, war dort maximal 70 Zentimeter hoch. Weiß man denn derzeit schon, ob es noch Regionen gibt, die noch mit richtig hohen Wellen zu rechnen haben?

    Röhrlich: Also Kalifornien beispielsweise rechnet mit zwei Metern. Es ist jetzt so, dass abgesehen von Japan, wo die ja mit richtiger Wucht aufgelaufen ist, es in den anderen Regionen nicht unbedingt damit zu rechnen ist, dass solch katastrophalen Wellen einlaufen. Zum einen schwächt sich diese Tsunamiwelle ab, wenn sie über den gesamten Pazifik hinweg läuft. Aber das heißt nicht, dass sie sich nicht lokal noch einmal irgendwo aufbäumen kann, sozusagen, wenn sie beispielsweise in einen engen Kanal irgendwo eindringen kann. Wie hoch Tsunamiwellen im Endeffekt sind, wenn sie auf das Land treffen, das hängt sehr stark von der Geometrie des Meeresbodens ab. Es ist auch damit zu rechnen, dass Schäden entstehen, denn selbst wenn eine zwei Meter hohe Welle zwar jetzt nicht so verheerend wie die zehn Meter, die die Städte direkt vor Ort getroffen haben, dann können trotzdem noch genügend Sachschäden entstehen. Es werden auch in verschiedenen Gebieten die Menschen evakuiert, um sie in Sicherheit zu bringen. Nur, ob dann wirklich auch diese zwei Meter oder wie viel auch immer vorhergesagt wird, wirklich erreicht werden, ist immer noch die Frage. In Hawaii hatte man mit zwei Metern gerechnet, bislang waren dann 90 cm. Es ist also ein bisschen offen, was dann passiert, aber das Schlimmste dürfte von dieser Tsunamiwelle vorbei sein, und das hat Japan leider getroffen.

    Krauter: Mit Sachschäden ist also noch zu rechnen, mit menschlichen Opfern hoffentlich nicht mehr in allzu großer Zahl. Stichwort tsunamisicheres Bauen. Geht das überhaupt? Erdbebensicher bauen, das kann man, unter anderem in Japan auch, ganz gut. Kann man sich für solche Flutwellen überhaupt schützen, kann man Gebäude schützen?

    Röhrlich: Ja, und zwar gibt es da ganz interessante Beobachtungen nach diesem Tsunami, der 2004 Indonesien getroffen hat. Und zwar ist dort aufgefallen, dass Häuser, die ganz besonders starke Mauern hatten, zu der Richtung, wo das Wasser geflossen ist, aber die Quermauern zu dem Wasser, zum Wasseraufprall, wenn die schwach waren, dass diese Häuser sehr gut stehen geblieben sind. Die Häuser haben diesen Wellen keinen Widerstand entgegengesetzt, die Struktur blieb erhalten, die Wände waren dann weg, aber die konnte man im Zweifel leichter wieder aufbauen. Jetzt versuchen Forscher beispielsweise aus Vancouver, an der Uni, daraus ein Konzept für tsunamisicheres Bauen zu gewinnen. Das zwar das Haus unter Umständen wieder aufgebaut werden muss, aber nicht komplett von Null, sondern man reparieren kann.

    Krauter: Letzte, kurze Frage: Es ist ja mit erweiterten Nachbeben zu rechnen, die sehr schwer sein können. Wie lange wird das so weitergehen, dass man in Japan sich Sorgen machen muss, dass einem Trümmer auf den Kopf fallen?

    Röhrlich: Das kann noch Wochen dauern, ehe die möglichen Nachbeben nachlassen. Bei so einem starken Beben vielleicht sogar Monate.