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Verzichtet auf Buchpreis
Imagewerbung mit Habermas

Der Philosoph Jürgen Habermas wird den "Sheikh Zayed Book Award" in Abu Dhabi nicht annehmen. Damit habe er eine Trivialisierung seines gesamten Lebenswerkes verhindert, kommentiert Kersten Knipp.

Ein Kommentar von Kersten Knipp | 03.05.2021
Der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas
Der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas lehnt den mit 225.000 Euro dotierten Buchpreis aus Abu Dhabi ab (picture-alliance/dpa/Arne Dedert)
Über Jahrzehnte hat der Philosoph Jürgen Habermas eine Theorie der kommunikativen Interaktion entworfen, eine Philosophie der demokratischen Verständigung unter nicht-trivialen Bedingungen.
Vor dem Absturz ins Triviale hat Habermas seine Texte gerade noch rechtzeitig bewahrt. Denn eine Trivialisierung seines gesamten Lebenswerkes hätte es bedeutet, hätte er die Verleihung des mit 225.000 Euro dotierten Sheikh Zayed Book Awards nicht zurückgewiesen.
Es ist ja richtig: Die Bücher von Habermas stoßen in Teilen der arabischen Welt auf reges Interesse. Sie werden rezipiert als Anregung zur Entwicklung eines neuen, liberalen Diskurses in der Region. Von dem sind aber nahezu alle Staaten in der Region weit entfernt.
Der Philosoph Jürgen Habermas gestikuliert mit seinen Händen.
Jürgen Habermas und die Rettung der Moderne
Seit gut 60 Jahren reflektiert Jürgen Habermas über die Moderne und ihre Gefährdungen. In seinem neuen Werk "Geschichte der Philosophie" untersucht er die Potenziale der Philosophie, um einer strauchelnden, aufgeklärten, modernen Gesellschaft Zuversicht geben zu können.
Und die entschiedene Opposition, die den Demonstranten des Aufstandsjahres 2011 nahezu überall entgegenschlug, ist Hinweis genug, dass die Regierungen der Region an liberalen und politisch mündigen Gesellschaften ein eher rhetorisches Interesse haben. Es ist weltläufig, das zeigt auch der Jürgen Habermas angetragene Preis, die Philosophie der liberalen Kommunikation auf Buchmessen in der Region auszustellen. Es ist aber etwas anderes, eine solche Philosophie auch politisch umsetzen zu wollen.

Kann Kultur die Gesellschaft und die Politik im Nahen Osten beeinflussen?

Das hat Habermas, mit der Region nicht sonderlich vertraut, nun verstanden. Er dürfte zu Recht davon ausgehen, dass die Rezeption seiner Bücher auch künftig auf politische Vorbehalte treffen und einen bestenfalls überschaubaren Beitrag zur Liberalisierung der politischen Kultur leisten wird. Dies gilt umso mehr, als das Buch im Nahen Osten weiterhin ein Medium mit begrenzter Reichweite ist. Nüchtern und auf den ersten Blick glanzlos, kommt es gegen die funkelnden digitalen Medien wie auch das Fernsehen nicht an. Zwar wäre wohl auch Habermas im Fernsehen erschienen. Aber bei dem Auftritt, darf man annehmen, wäre es realpolitisch geblieben.
Dabei gibt es gute Gründe für kulturelle Prestigeobjekte aus oder mit dem Westen in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Gründe sind allerdings auf eine optimistische Annahme angewiesen: nämlich darauf, dass Kultur eine Gesellschaft beeinflussen, dass eine literarische oder künstlerische Moderne auch politisch etwas bewirken kann. Der Louvre Abu Dhabi, die Abu Dhabi International Book Fair, das Abu Dhabi Festival sind Einrichtungen, deren Glanz nicht ohne Einfluss auf die Besucher bleiben dürfte. Kultur, so die Hoffnung, ist auch Arbeit am Weltbild. Von den schönen Bildern kultureller Großveranstaltungen könnten auch weitere, schwer kalkulierbare Impulse ausgehen.

Keine Horte der Freiheit

Soweit die Hoffnung. Die schönen Bilder tragen aber auch dazu bei, die politischen Realitäten vor Ort vergessen zu machen. Gewiss pflegen die Vereinigten Arabischen Emirate eine ganz andere Kultur als etwa die Nachbarstaaten Saudi-Arabien und Iran. Horte der Freiheit sind die Vereinigten Arabischen Emirate aber trotzdem nicht, politische Opponenten, Homosexuelle und Arbeitsmigranten wissen das sehr genau. Und eben dies macht die kulturellen Hochglanzveranstaltungen immer auch fragwürdig: Im Zweifel verschaffen sie einem Staat schöne Bilder, der nichts anderes will als eben dieses: schöne Bilder, jenseits der politischen Realität.
Jürgen Habermas ist nur bedingt ein Mann, der auf schnelle Effekte setzt. Der Ernst seines Lebenswerks wäre als Image einem Staat zugute gekommen, der diesen Ernst nicht kennt. Dieser Staat hätte den Preisträger zur Imagewerbung missbrauchen können, hätte ihn sich seinen Interessen dienstbar gemacht. Habermas hat rechtzeitig begriffen, was man mit ihm vorhat. Mit der Absage hat er sein Werk davor bewahrt, entführt zu werden.