Freitag, 29. März 2024


VI: Slowenien / Ex-Jugoslawien

Auf dem Balkan war der Krieg besonders brutal, auch weil hier so viele Völker dicht nebeneinander lebten - und noch heute leben. Kroatische Ustascha-Faschisten machten gemeinsame Sache mit den deutschen Nazis und quälten Serben im KZ. Mit den wechselnden Fronten und erst recht mit dem Sieg der Tito-Partisanen gab es Racheakte, neue Morde und Vertreibungen. Vieles davon ist bis heute nur unvollständig aufgearbeitet, auch weil es inzwischen neue Gewalt, Morde und Vertreibungen gegeben hat.

Von Eberhard Nembach | 24.09.2006
    Slowenien hat dabei schon im Zweiten Weltkrieg eine Sonderrolle gespielt. Ganz im Norden des Vorkriegsjugoslawien gelegen, wurde es nach der Besetzung durch die Wehrmacht und ihre Verbündeten aufgeteilt: Slowenien wurde teils deutsch, teils italienisch, teils ungarisch. Vor allem die Deutschen vertrieben Intellektuelle, Geistliche aber auch Bauernfamilien. Als erste in Jugoslawien leisteten die Slowenen bewaffneten Widerstand, schon bald übernahmen dabei die kommunistischen Tito-Partisanen das Kommando, erinnert sich Justin Stanovnik, der damals 16 war und zur so genannten Heimwehr oder Landwehr, den Domobranci gehörte:

    " Als die kommunistische Partei den Widerstand gegen die Besatzer begann, waren wir drei bis vier Monate geradezu begeistert darüber, dass endlich jemand den Widerstand organisierte. Aber bald haben wir gesehen, wohin das führt, welche Ideologie dahinter stand. Und dann begann der kommunistische Terror."

    Es war zunächst ein Krieg im Krieg: Die Domobranci, auch weiße Garde genannt, kämpften gegen die kommunistischen Partisanen. Die Alliierten unterstützten aber Tito und seine Kommunisten. Nach Kriegsende überstellten die Briten tausenden Domobranci, die sie gefangen genommen hatten, an Tito. Die Folge war ein Massaker: In den slowenischen Karstschluchten wurden die ehemaligen Domobranci umgebracht, das wurde Jahrzehnte lang verschwiegen und erst nach der Unabhängigkeit Sloweniens in den neunziger Jahren wurde darüber gesprochen.

    Es gab ein Entschädigungsgesetz. Auch Justin Stanovnik, der heute 78 Jahre alt ist und in Ljubljana Chefredakteur einer Zeitschrift ist, bekam 7000 Euro Entschädigung für die Zeit, die er im kommunistischen Internierungslager verbrachte. Von Versöhnung will Stanovnik nicht sprechen:

    " Eine Versöhnung ist von unseren Gegnern niemals ernsthaft erwogen worden. Denn, wenn es zu einer wirklichen Versöhnung käme, müsste auch geklärt werden: Wer hat was gemacht, und was macht er heute. Und dabei geht es nicht nur um konkrete Taten, sondern auch um die Einstellung zur Zivilisation."

    Aus diesen Worten spricht noch viel aufgestaute Wut auf die Kommunisten und die Postkommunisten, die natürlich wie überall auch wieder Ämter bekleiden. Sloweniens Gesellschaft ist tief gespalten. So gut wie jede Familie zählt sich entweder zu den Nachfahren der Domobranci oder zählt eben kommunistische Partisanen zu ihren Mitgliedern. Während die Domobranci und ihre Familien im Tito-Jugoslawien aber als Verräter geächtet waren, machten die ehemaligen Partisanen Karriere. Janez Stanovnik zum Beispiel, er ist heute 84, manche nennen ihn den "stari oce", den Großvater Sloweniens. Er war der letzte Präsidiumschef der slowenischen Teilrepublik im sozialistischen Jugoslawien. Heute ist Janez Stanovnik Präsident des Veteranenverbands der slowenischen Partisanen. Er gibt zu, dass nach dem Krieg Verbrechen begangen wurden ...

    " Wir stehen auf dem Standpunkt, dass die Hinrichtungen nach dem Zweiten Weltkrieg ungesetzlich waren, und wir verurteilen diese Hinrichtungen, die ohne Gerichtsentscheidung nach dem Kriegsende in Slowenien durchgeführt wurden."

    Stanovnik nennt etwa die rund 1500 ermordeten beziehungsweise vermissten italienischen Soldaten, die, wie er sagt, Racheakten zum Opfer gefallen seien. Es kam zu Verfolgungen und Vertreibungen. Die Frage der Entschädigung von Deutschen, Österreichern und Italienern spielte auch bei den Verhandlungen über den EU-Beitritt Sloweniens eine große Rolle.

    Jahrzehntelang wurden die kommunistischen Partisanen als Helden, die Domobranci als Verräter dargestellt, auch im Geschichtsunterricht. Vor wenigen Jahren sorgte eine Ausstellung unter dem Titel "Die dunkle Seite des Mondes" für Aufregung, die sich mit den von Titos Kommunisten begangenen Verbrechen beschäftigte, erst in diesem Herbst soll ein Teil der Ausstellung in die Sammlung des Museums für Neuere Geschichte in Ljubljana aufgenommen werden. Viele Slowenen wehren sich aber dagegen, auch Janez Stanovnik vom Veteranen-Verband will nicht, dass der Name seines einstigen obersten Partisanen-Kommandanten befleckt wird:

    " Mit dem Namen Tito und mit seiner Person verbinden unsere jugoslawischen Völker den Sieg über den Nazi-Faschismus, und deshalb ist es völlig klar, dass unser Urteil über Tito als Oberkommandierendem der Partisanen und der Armee nur sehr positiv ausfallen kann. Nach meiner Ansicht müssen diejenigen, die im Zweiten Weltkrieg mit den nazifaschistischen Besatzungsmächten kollaboriert haben, einsehen, dass sie auf der falschen Seite waren."

    Es gehe nicht darum, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu verharmlosen oder Nazi-Kollaborateure freizusprechen, sagt die Historikerin Tamara Griesser-Pecar. Aber man dürfe eben auch nicht auf einem Auge blind sein, müsse auch die im Namen des Kommunismus begangenen Verbrechen beim Namen nennen, auch wenn das die slowenische Gesellschaft noch heute spaltet. In ihrem Buch "Das zerrissene Volk" über die Zeit von 1941 bis 1946 schreibt die Historikerin:

    Immerhin, inzwischen gibt es in Slowenien Fernsehdiskussionen, Ausstellungen und Bücher über das schwierige Thema der Vergangenheit. Es werden auch noch immer Massengräber in den Karstschluchten ausgehoben, wo seinerzeit Menschen einfach verschwanden, von denen dann Jahrzehnte lang niemand etwas erfuhr. Das ändert sich jetzt - rund 60 Jahre später.