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Videoüberwachung im Strafvollzug
"Was in NRW möglich ist, geht in Sachsen nicht"

Die SPD-Politikerin Eva Högl hat sich für eine Vereinheitlichung der Regelungen im Strafvollzug der Bundesländer ausgesprochen. Mit Blick auf den Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr sprach sie eine Videoüberwachung an. "In Sachsen ist das offenbar nicht möglich, in Nordrhein-Westfalen schon", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende im DLF.

Eva Högl im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.10.2016
    Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Eva Högl.
    Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Eva Högl. (imago - Metodi Popow)
    Die Bundesländer sollten sich an einen Tisch setzen und den Strafvollzug vereinheitlichen, sagte Högl. "Der liegt auf Länderebene - was wir bedauern."
    Dass der Suizid nicht verhindert wurde, sei ein gravierender Fehler, sagte Högl. Sie hielt sich mit Schuldzuweisungen an sächsische Behörden oder an den Generalbundesanwalt betont zurück. Högl lobte die Einsetzung einer unabhängigen Kommission in Sachsen. "Es ist eine ganze Menge schiefgelaufen. Das muss gründlich unter die Lupe genommen werden."

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Mit Fassungslosigkeit hat die Republik in der vergangenen Woche auf den Fall al-Bakr reagiert. Ein fehlgeschlagener Festnahmeversuch, schließlich waren es drei Landsleute, die den Terrorverdächtigen Syrer überwältigen konnten und festsetzen. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Flüchtling aus Syrien sich in Deutschland radikalisiert hat, und dass er einen großen Sprengstoffanschlag plante. Was genau er vorhatte, was seine Motive waren, wer seine Hintermänner, das wird er nicht mehr verraten können – er hat sich Ende letzter Woche in seiner Zelle das Leben genommen. Seitdem läuft die Diskussion über eine überforderte sächsische Justiz und natürlich die nötigen Konsequenzen. Heute kommen in Dresden der Innen- und Rechtsausschuss zusammen, und morgen geht die Aufarbeitung im Bundestagsinnenausschuss weiter. Wir wollen darüber in den kommenden Minuten sprechen, am Telefon ist Eva Högl, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende für den Bereich Innen und Recht. Guten Morgen!
    Eva Högl: Schönen guten Morgen, Frau Schulz!
    Schulz: Ist Ihnen schon klar geworden, warum in den vergangenen Tagen Sachsen mit diesem gefährlichen, mit diesem hoch zentralen Terroristen allein gelassen wurde?
    Högl: Ich nehme das nicht so wahr, dass Sachsen alleingelassen wurde. Aber es ist jetzt an der Zeit, erst mal ganz konsequent aufzuarbeiten, was dort wie stattgefunden hat und was dort offensichtlich nicht gut gelaufen ist. Zunächst einmal hat die Festnahme des Terrorverdächtigen ja nicht optimal geklappt. Er konnte erst entkommen und musste dann von den Syrern festgesetzt werden. Und dass der Suizid nicht verhindert wurde in der Justizvollzugsanstalt in Leipzig, ist natürlich auch ein gravierender Fehler. Das muss aufgearbeitet werden. Deswegen, Sie haben das eben schon angesprochen, gibt es jetzt diverse Gremien, die tagen. Und was ich besonders gut finde, ist, dass die sächsische Landesregierung sich entschieden hat, eine unabhängige Kommission mit der Aufarbeitung zu beauftragen. Das ist mit Sicherheit der richtige Schritt.
    "Die Zusammenarbeit muss reibungslos stattfinden"
    Schulz: Die Bundesanwaltschaft hatte den Fall ja übernommen. Welche Versäumnisse sehen Sie beim Generalbundesanwalt?
    Högl: Man wird bei der Aufarbeitung dessen, was dort stattgefunden hat, auch schauen müssen, ob die Zusammenarbeit zwischen der Bundesebene und der Landesebene gut geklappt hat. Denn die Festsetzung eines Terrorverdächtigen ist immer auch eine gemeinsame Arbeit. Zunächst einmal kommen Hinweise über das Bundesamt für Verfassungsschutz, wie es in diesem Fall war, oder über andere Nachrichtendienste oder Polizei, häufig der Bundesebene. Das Bundeskriminalamt ist damit dann befasst, wenn der GBA das Ermittlungsverfahren an sich zieht und die Ermittlungen übernimmt. Also auch diese ganzen Schnittstellen in der Zusammenarbeit Landesebene/Bundesebene müssen jetzt aufgearbeitet werden, und, wie gesagt, ich finde es richtig und wichtig, dass es dort eine Zusammenarbeit gibt, aber die muss reibungslos stattfinden.
    Schulz: Sie sind da in der Wertung ja noch recht zurückhaltend. Gibt es nicht schon ganz klare Indizien dafür, dass eben diese Zusammenarbeit nicht gut geklappt hat? Der Bundesanwalt oder der Generalbundesanwalt hat erst nach der missglückten Festnahme den Fall an sich gezogen. War das nicht viel zu spät?
    Högl: Zunächst einmal ist es so, dass der Generalbundesanwalt natürlich sorgfältig prüfen muss, ob er einen Fall übernimmt. Und er hat das deshalb erst mal sorgfältig geprüft, weil er geschaut hat, ob es länderübergreifende Aspekte gibt, die eine Übernahme des Falls an den Generalbundesanwalt rechtfertigen. Und dann hat er es so, wenn ich richtig informiert bin, es auch abhängig gemacht von der Menge des Sprengstoffs, der in der Wohnung gefunden wurde. Wir haben ja strenge Kriterien, wann ein Generalbundesanwalt das Verfahren an sich zieht. Das ist aus meiner Sicht jetzt erst mal – aber ich finde, das muss aufgearbeitet werden – nicht zu spät erfolgt, sondern direkt am nächsten Tag, nach der Öffnung der Wohnung und nachdem der Sprengstoff gefunden wurde.
    Schulz: Und dass Sie da jetzt so zurückhaltend sind, Frau Högl, das liegt jetzt nicht zufällig daran, dass die Dienstaufsicht für den Generalbundesanwalt ja beim SPD-Justizminister Heiko Maas liegt?
    Högl: Nein, daran liegt das nicht, denn Sie haben ja vielleicht auch wahrgenommen, dass ich auch zurückhaltend war bei einer schnellen Beurteilung der sächsischen Behörden bei der Festnahme und auch bei dem Geschehen in der Justizvollzugsanstalt. Mein Plädoyer ist, das aufzuarbeiten. Deswegen sage ich noch mal, die unabhängige Kommission ist richtig, und ich würde auch, ohne dass ich jetzt Hinweise aus Berlin an die sächsischen Kollegen gebe, aber auch im sächsischen Landtag wäre sicherlich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss das richtige Gremium, wo das aufgearbeitet wird. Jetzt schnell zu sagen, der oder der war es, das halte ich tatsächlich für falsch. Ich betone noch mal, es ist ein Zusammenspiel von Bund und Ländern, und man kann nicht sofort sagen, daran hat es gelegen. Es ist sicherlich an unterschiedlichen Stellen eine ganze Menge schief gelaufen, sonst würde der Fall, würden wir gar nicht drüber sprechen, wäre der Fall nicht so ausgegangen. Aber das muss jetzt gründlich unter die Lupe genommen werden.
    "Brauchen professionellen Umgang mit gefährlichen Terrorbeschuldigten"
    Schulz: Jetzt waren sich in der vergangenen Woche die Allermeisten ja einig darüber, dass Sachsen ganz offenkundig überfordert war mit diesem Fall. Justizminister Gemkow sagt auch, die sächsische Justiz sei eben nicht besonders erfahren mit solchen Tätern. Man kann ja vielleicht auch dazu sagen, zum Glück. Muss es für solche Fälle spezielle Inhaftierungsmöglichkeiten geben beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe?
    Högl: Nein, da bin ich ganz klar in der Bewertung. Ich lehne absolut ab, jetzt Spezialgesetze – Justizvollzugsanstalten, Gefängnisse wollte ich sagen, Entschuldigung -, Spezialgefängnisse oder auch alle Verfahren direkt in Karlsruhe beim Generalbundesanwalt an neu zu gründenden Staatsschutzsenaten, die wir da bräuchten, zu führen. Sondern das Prinzip, Generalbundesanwalt klagt dort an, wo der Tatort ist, und dort werden die Verhandlungen geführt – man sieht das zum Beispiel auch bei dem Fall Beate Zschäpe und NSU in München, findet vor dem Oberlandesgericht München statt –, das ist ein gutes Prinzip und sollte beibehalten werden. Was wir aber brauchen, und das zeigt der Fall al-Bakr, ist ein Austausch zwischen Landes- und Bundesbehörden insbesondere zum Strafvollzug, nämlich hinsichtlich der Frage, ob die Standards nicht verbessert werden müssen. Also ein wirklich professioneller Umgang mit solchen gefährlichen Terrorbeschuldigten, und dann auch die Frage, muss nicht in allen Gefängnissen, müssen nicht annähernd einheitliche Regelungen gelten? Zum Beispiel die Frage Videoüberwachung bei Suizidgefahr, die kam ja auch sofort auf. In Sachsen ist das offensichtlich nicht möglich, einen Gefangenen per Video zu überwachen, was möglicherweise hier geholfen hätte. In anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen, ist das möglich. Da sollten sich die Bundesländer an einen Tisch setzen und noch mal darüber sprechen, ob sie den Strafvollzug nicht vereinheitlichen können, der leider komplett bei der Landesebene liegt, was wir von der Bundesebenen durchaus bedauern.
    Schulz: Die Innenpolitikerin Eva Högl, Fraktionsvize der SPD im Bundestag und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Ganz herzlichen Dank Ihnen!
    Högl: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.