Freitag, 19. April 2024

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Videoüberwachung
"Technik nur ergänzend vorstellbar"

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete von Notz hat die geplante Ausweitung der Videoüberwachung kritisiert. Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen sei fragwürdig, sagte von Notz im Deutschlandfunk. In der Kölner Silvesternacht etwa hätten dadurch keine Straftaten aufgeklärt werden können.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Sarah Zerback | 26.10.2016
    Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Konstantin von Notz, spricht am 24.04.2016 auf dem Landesparteitag von Bündnis 90/ Die Grünen in Neumünster (Schleswig-Holstein).
    Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Konstantin von Notz. (dpa / picture alliance / Carsten Rehder)
    Die Technik sei lediglich ergänzend vorstellbar. Sie allein könne keine Straftaten verhindern. Vielmehr müsse die Polizei besser ausgestattet werden, betonte der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz im DLF. Er verwies auf die Silvesternacht in Köln: Hier hätten durch die Videoüberwachung keine Straftaten aufgeklärt werden können. Von Notz kritisierte, das Bundesinnenministerium gebe einfach Antworten auf komplizierte Sachverhalte. Eine stärkere Differenzierung bei dem Thema sei angebracht.

    Das Interview in voller Länge:
    Sarah Zerback: Pläne für das neue Videoüberwachungs-Verbesserungsgesetz - nicht griffig, heißt aber unterm Strich: Mehr Sicherheit durch mehr Überwachung soll es geben. So zumindest der Plan des Bundesinnenministers. Am Telefon begrüße ich jetzt Konstantin von Notz, den Fraktionsvize der Grünen, und netzpolitischer Sprecher seiner Partei ist er. Guten Tag, Herr von Notz.
    Konstantin von Notz: Guten Tag, Frau Zerback.
    Zerback: Sie als Grüner, sehe ich das jetzt richtig, Sie sind auf jeden Fall dagegen?
    von Notz: Na ja, so pauschal oder einfach würde ich es nicht machen wollen, sondern es geht, wie das in Rechtsstaaten so ist, immer um Verhältnismäßigkeit, und ich glaube, dass das, was hier geplant ist, maximal unverhältnismäßig ist und es zeigt auch, dass das Bundesinnenministerium versucht, einfache Antworten zu geben, wo wir differenzierte brauchen.
    Zerback: Wo würden Sie denn differenzieren? Wo ist das Problem für Sie?
    "Ob es ein Mehr an Sicherheit gibt, das steht infrage"
    von Notz: Man muss erst mal die Frage stellen, was soll das bringen. Jeder von uns, der ein biometrisches Foto in seinem Personalausweis hat, weiß, wie das zustande kommt. Man muss sich eine Armlänge vor eine Kamera setzen, darf sich nicht bewegen, und muss dann auf eine bestimmte Art und Weise gucken, damit dieses biometrische Foto überhaupt funktioniert. Hier soll jetzt der öffentliche Raum flächendeckend mit diesen Systemen ausgestattet werden. Da gibt es ganz krasse technische Fragen, ob das überhaupt geht. Das wird sehr, sehr teuer werden und ob es ein Mehr an Sicherheit gibt, das steht infrage. Wir sehen bei vielen, vielen Kameras, die in der Kölner Silvesternacht vor Ort waren, dass das selbst bei der Aufklärung häufig gar nichts bringt und bei der Verhinderung von Straftaten überhaupt nichts.
    Zerback: Sie stellen jetzt die Wirksamkeit infrage, die Technik. Aber wäre es das nicht wert, das auszuprobieren? Immerhin haben wir ja alle noch die Kölner Silvesternacht zum Beispiel im Kopf, wo sicherlich viele der Betroffenen sich gewünscht hätten, dass da die Videoüberwachung besser funktioniert hätte.
    von Notz: Ja! Da gab es Hunderte von Kameras, die dort vor Ort waren, und am Ende des Tages hat man über diese Videoaufzeichnung nicht aufklären können, was passiert ist. Das ist sehr, sehr ärgerlich.
    Zerback: Deswegen will man da jetzt nachbessern.
    von Notz: Unbestritten, dass das sehr, sehr ärgerlich ist, aber Sie müssen tatsächlich feststellen: Es war Polizei vor Ort. Es sind Polizeibeamte angesprochen worden von Frauen, die in Not waren, und haben die Antwort bekommen, dass man ihnen gerade nicht helfen kann, weil die Polizei personell und auch taktisch da nicht gut aufgestellt war an dem Abend. Deswegen glaube ich, man muss erst mal fragen, was wirklich am Ende des Tages das bringt, und da sagen wir, eine gut ausgerüstete Polizei, eine personell gut ausgestattete Polizei, das hilft zur Sicherheit, und diese Pläne hier des Innenministeriums helfen nicht weiter. Und Sie müssen sich klar machen: Wir alle werden erfasst von diesen Systemen, anlasslos, massenhaft, der öffentliche Raum wird nicht mehr privat sein und jeder kann ja in seinem Herzen mal überlegen, ob er sich das eigentlich wünscht.
    Zerback: Sie haben jetzt gerade die Polizei angesprochen. Darauf möchte ich noch mal eingehen. Das wünschen sich ja sicherlich viele andere, dass die Polizei gestärkt, personell und finanziell besser ausgerüstet wird. Aber auch das kostet viel Geld.
    "Man braucht am Ende den Polizeibeamten vor Ort"
    von Notz: Das ist richtig, aber das ist in der Verhältnismäßigkeit, in der Frage Abwägung Kosten-Nutzen etwas vielversprechender als diese Technikgläubigkeit. Wissen Sie, das Bundesinnenministerium setzt seit Jahren auf diese Technik. Man sagt immer, wir müssen nur mehr speichern, immer mehr rastern und wir müssen immer mehr Zugang zu immer mehr Daten bekommen, und dann wird das schon klappen. In der Wirklichkeit sieht es doch anders aus. Man braucht am Ende den Polizeibeamten vor Ort, der Sicherheit gewährleistet, und dass die Maschinen die Sicherheit herstellen, das ist nach unserer Auffassung ein ziemlich teurer Irrglaube.
    Zerback: Und im Zusammenspiel könnten Sie sich das auch nicht vorstellen, weil man kann ja das eine tun, ohne das andere zu lassen?
    von Notz: Nein! Ich sage ja nicht, dass grundsätzlich keine Videokameras irgendwo sein dürfen. Nur ich sage, wie das Bundesverfassungsgericht und auch die Datenschutzbeauftragten, es muss verhältnismäßig sein. Und das heißt, man muss sich genau angucken, wo was geleistet werden kann.
    Zerback: Unter welchen Bedingungen sollte das denn funktionieren? Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Unter welchen Bedingungen können Sie sich denn eine gut gemachte Videoüberwachung vorstellen, die dann ihren Zweck erfüllt?
    "Das wird vor keinem höheren Gericht in Europa Bestand haben"
    von Notz: Ich glaube, dass der Ansatz zu sagen, wir erfassen jeden, der ein Gebäude betritt oder der einen öffentlichen Platz betritt, dass das schon grundrechtlich nicht geht. Ich glaube, dass man an bestimmten Gefahrenpunkten oder Problempunkten Kameras aufstellen kann. Dann muss man genau rechtsstaatlich dafür sorgen, wie lange die Speicherfristen sind, wann Leute auch wieder gelöscht werden müssen und so weiter. In dem Rahmen ist diese Technik ergänzend vorstellbar. Aber dieser Vorstoß des Bundesinnenministeriums zielt ja darauf zu sagen, wir wollen den öffentlichen Raum am besten komplett mit diesen Systemen bedecken und damit eine Kompletterfassung machen. Neben all den rechtlichen Problemen - und das wird vor keinem Gericht in Europa, vor keinem höheren Gericht in Europa Bestand haben - gibt es einfach diese Kosten-Nutzen-Frage. An dieser Frage kommt das Bundesinnenministerium nicht vorbei und ich sage voraus, dass das nicht das bringen wird, was der Innenminister jetzt uns allen verspricht.
    Zerback: Aber nach all den Ereignissen, die wir in diesem Jahr hier in Deutschland schon verkraften mussten, nicht nur die Kölner Silvesternacht, auch Ansbach, auch Würzburg - das wird ja auch explizit in diesem Vorstoß des Bundesinnenministers jetzt genannt -, müssen wir uns nicht die Frage stellen, ob da Terrorabwehr vor Datenschutz gehen muss?
    von Notz: Ich glaube, das ist eine etwas zu einfach formulierte Frage. Ich glaube, dass man sich die Frage stellen muss, was wir eigentlich gegen die Terroristen verteidigen. Natürlich Leib, Leben und Gesundheit, aber auch unsere Freiheit, unsere Rechtsstaatlichkeit, und unser Grundgesetz hat uns das die letzten Jahrzehnte hier auf, wie ich finde, weltweit vorbildliche Art und Weise gewährleistet. Deswegen erwarte ich von einem Bundesinnenminister, dass er gerade wenn es darum geht, Terror zu bekämpfen, auch diese Rechtsstaatlichkeit als einen ganz wichtigen Punkt sieht und den auch benennt in der Debatte. Immer nur scharfe Gesetze vorzulegen, die nachher in Karlsruhe oder vorm EuGH scheitern, das hilft uns nicht weiter. Es bringt null mehr Sicherheit und das sind Placebo-Diskussionen. Insofern: Eine stärkere Differenziertheit ist wirklich angezeigt.
    Zerback: Was sagen Sie denn ganz konkret den Pendlern, den Bahnfahrern zum Beispiel, die sich jetzt darauf freuen, dass es mehr Videokameras geben könnte? Das ist ja auch eine gefühlte Sicherheit. Was sagen Sie denjenigen, die sich dadurch sicher fühlen könnten?
    "Der einhellige Applaus ist dem Innenminister nicht sicher"
    von Notz: Ich glaube, dass wir nicht über gefühlte Sicherheit reden, wenn Sie Anschläge nehmen, die in Europa funktioniert haben. In Brüssel am Flughafen, was haben denn die Videokameras dort an Sicherheit gebracht? Ich glaube, die Politik ist in der Verantwortung, tatsächliche Sicherheit herzustellen. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht und die darf auch niemand versprechen. Die ist einfach nicht herstellbar. Aber wir sind in der Pflicht, effektive Maßnahmen voranzubringen, und wer da sagt, ich setze auf Technik und die Technik wird es richten und wenn ein Anschlag passiert, guckt mal, dann finde ich aber raus, wer da wo war, das ist eine zu kurz gegriffene Antwort. Wir brauchen komplexere Antworten und das hat auch was mit der Ausstattung der Personalstärke der Polizei zu tun. Ich glaube, wenn Sie mit den Leuten sprechen, dass sie auf Schritt und Tritt in ihrem Arbeitsleben, in ihrem Privatleben von Videokameras erfasst werden, dann haben die da in der Regel auch eine sehr differenzierte Meinung zu. Insofern glaube ich, dass der einhellige Applaus mit diesem Programm dem Innenminister nicht sicher ist.
    Zerback: Danke für Ihre Meinung. - Konstantin von Notz, Fraktionsvize der Grünen. Besten Dank für das Gespräch heute im Deutschlandfunk.
    von Notz: Sehr gerne, einen schönen Tag.
    Zerback: Wünsche ich Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.