Donnerstag, 28. März 2024

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Viel Auf und Ab und etliche Pirouetten

Nur selten bleiben Nobelpreispreisträger auch Jahre nach dem Ereignis auf der Höhe ihres Ruhmes, zumal sie zum Zeitpunkt der Preisverleihung meist schon fortgeschrittenen Alters sind. Einer, der auch Jahrzehnte und jetzt selbst lange nach seinem Tod noch von sich reden macht, ist der isländische Schriftsteller Halldor Laxness. Er bekam den Nobelpreis für Literatur vor mehr als fünfzig Jahren, und jetzt liegt eine Biographie von ihm vor. Der Autor Halldor Gudmundsson ist selber Verleger, der bekannteste Laxness-Experte weltweit.

Moderation: Jürgen Liminski | 15.10.2007
    Jürgen Liminski: Herr Gudmundsson, was fasziniert die Menschen an Halldor Laxness, so dass ein so dickes Buch Aussichten auf guten Verkauf hat?

    Halldor Gudmundsson: Das mit dem Verkauf traue ich mich jetzt nicht ganz zu sagen. Aber was mich an ihm fasziniert hat, ist, dass man sowohl in seinem Leben wie auch in seinen Werken eigentlich das ganze 20. Jahrhundert wieder finden kann. Er kommt von dieser sehr armen, isolierten Insel, die damals kaum eine urbane bürgerliche Kultur hatte, und er zog aus in die Welt, um Geschichten zu erzählen, auch mit dem Ehrgeiz, ein weltberühmter Schriftsteller zu werden. Und trieb sich dann in der Welt herum und ist bei allen möglichen großen Geschehnissen der Weltgeschichte zugegen. Er ist beim Bukarin-Prozess in Moskau 1938, er ist in Berlin bei den Olympischen Spielen 1936. Er bereist fast die ganze Welt, und es gelingt ihm, der Welt seine Geschichten zu erzählen. Wahrscheinlich wird er immer noch gelesen, nicht nur auf Island, denn zum Beispiel in den Staaten haben sie ihn in den letzten zehn Jahren sehr viel neu verlegt, weil seine Geschichten auf dieser kleinen Insel spielen, auf dieser Grenze zwischen Natur und Zivilisation. Diese Geschichten haben - der Mensch unter extremen Bedingungen, die ganz kleine Welt als Symbol für die große Welt -, haben immer eine Bedeutung, zu der man zurückfinden kann.

    Liminski: Von Hollywood bis Moskau, vom Kommunismus bis zur katholischen Kirche - liest man in dem Buch - der Spannungsbogen im Leben ihres Helden ist groß, Sie haben es kurz beschrieben. Welche Geistesströmung hat ihn denn am meisten beeinflusst oder ergriffen?

    Gudmundsson: Man muss bedenken bei diesen Sachen, dass die Hauptrolle für ihn spielte immer das Schriftstellerdasein, also das Geschichtenerzählen. Aber er ließ sich sehr stark beeinflussen. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg kommt er nach Europa, und er sucht nach einer großen Wahrheit, einer absoluten Wahrheit, und hat sie dann eine Zeit lang in einem katholischen Kloster gefunden. Er war in Clairvaux in Luxemburg ein Jahr lang, hat sich auch katholisch taufen lassen, und in seinen letzten Jahren sieht man ihn auch wieder ein bisschen in die katholische Kirche gehen, wahrscheinlich hat sie und auch der kulturelle Einfluss für ihn eine große Rolle gespielt, das ganze Leben lang.

    Liminski: Aber zwischendurch war er doch auch Kommunist.

    Gudmundsson: Ja, ja, zwischendurch würde ich ihn auch nicht als einen Gläubigen bezeichnen. Aber wenn man seine sehr reichhaltigen Werke sieht und welchen großen Bogen sie spannen, da sieht man, da sind immer mehrere Strömungen auf einmal. Die Motive sind nie ganz einfach. Selbst in seiner radikalkommunistischen Zeit in den 30er Jahren sind seine literarischen Werke viel komplizierter und viel zusammengesetzter. Das war sicher für ihn wichtig, und dann auch die Lebenseinstellung, die er manchmal mit Taoismus bezeichnete. Als er nach seinen kommunistischen Jahren ein eher skeptischer Humanist wurde, dann zog es ihn auch nach China, und zwar nicht zu den Kommunisten.

    Liminski: Ein abwechslungsreiches Leben, viel Auf und Ab und etliche Pirouetten. Gab es denn auch Konstanten im Leben des Halldor Laxness? Sie berichten zum Beispiel in ihrem Buch von Laxness' lebenslanger Bewunderung für den Schriftsteller Einar Kvaran. Was hatte dieser Schriftsteller, das Laxness so fesseln konnte?

    Gudmundsson: Einar Kvaran hatte für ihn - ein Schriftsteller übrigens, der seinerzeit auf Deutsch übersetzt wurde und jetzt ganz und gar in Vergessenheit geraten ist - der hatte für Laxness die Konstante der Menschlichkeit. Er schrieb seine Bücher von einem tiefen Mitgefühl mit den Menschen. Es hat sehr beeinflusst und ist bei ihm geblieben. Dann ist es ja auch so mit den Schriftstellern: sie würden ja nie zugeben, dass andere gleichaltrige Schriftsteller für sie wichtig waren. Also konnte er einen eher obskuren nennen, da hat er sozusagen keinen Wettstreit.

    Liminski: Mit den Ahnen hat man keinen Wettstreit, auf Goethe kann sich jeder berufen.

    Gudmundsson: Deswegen eher Cervantes und Dostojewski, und dann einer wie Einar Kvaran.

    Liminski: Es gibt eine ganze Reihe von Bezügen zu Deutschland, nicht nur die häufigen Besuche oder die Übersetzungen seiner Werke. Kann man sagen, dass Deutschland nach Island das Land mit der Kultur war, die Laxness am nächsten stand?

    Gudmundsson: Da ist, glaube ich, vieles wahr dran. Er kam schon 1921 zum ersten Mal nach Deutschland, hat das Land sehr oft bereist, hatte Freunde hier. Er hatte natürlich Kontakt zu Brecht, da hatte er auch eine Zeit lang politisch etwas gefunden, aber teilweise sehr die Jugendwerke von Brecht bewundert. Hat ihn 1955 in Ostberlin besucht und hatte ein langes Gespräch, zwei, glaube ich, ziemlich desillusionierte Schriftsteller. Er hatte auch einen guten Bezug zum DDR-Verleger Walter Janka, den er 1955 sogar zu seinem Nobelpreis-Fest eingeladen hatte in Stockholm. Und es war ein Teil seines sich vom Sowjetsozialismus Wegwenden, dass Janka 56 verhaftet wurde. Er hat dagegen auch protestiert, und ich habe auch in den Stasi-Akten gesehen, dass Janka zu seiner Verbindung zu Laxness verhört wurde. Solche Sachen haben auch sowohl politisch wie literarisch eine Rolle gespielt.

    Liminski: Er hat ja nach der Wende nicht mehr lange gelebt. Er hat sie aber sicher noch bewusst miterlebt. Hat er sich danach auch dazu geäußert?

    Halldor Laxness, eine Biographie - so heißt das Buch, über das wir eben mit dem Autor, Halldor Gudmundsson sprachen, das Buch hat 864 Seiten, ist vor einer Woche bei BTB in der Verlagsgruppe Randomhouse erschienen und kostet 49 Euro 95.