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Viel gebraucht und missbraucht

Im Frühjahr 1713 veröffentlichte Carl von Carlowitz sein Buch "Sylvicultura Oeconomica". Der sächsische Oberberghauptmann gilt als Ur-Vater der Nachhaltigkeit. Sein Konzept sorgt bis heute für Kontroversen.

Von Marc Engelhardt | 25.03.2013
    Wer Nachhaltigkeit googelt, erntet ein buntes Allerlei: Shoppen, reisen und predigen ist demnach nachhaltig, ebenso wie Unternehmen, Städte und der Straßenbau. Kaum ein Begriff hat so nachhaltig Eingang in die deutsche Sprache gefunden wie die Nachhaltigkeit - und auf dem Weg so viel von seinem ursprünglichen Sinn verloren, sagt der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer.

    "Es geht nach dem Motto: Wenn dir nichts mehr einfällt, nenn es nachhaltig, und niemand fragt nach, was es eigentlich ist. Das ist eine Gefahr für ein sehr wichtiges Konzept. Wenn man so was inflationiert, ist es nichts mehr wert und lenkt von dem ab, was am Anfang stand."

    Der Anfang liegt 300 Jahre zurück. Im Frühjahr 1713 veröffentlichte der sächsische Oberberghauptmann Carl von Carlowitz sein Buch "Sylvicultura Oeconomica", in dem er eine "continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung" der Wälder forderte. Eine Revolution für die Forstwirtschaft - und darüber hinaus, sagt der Umwelthistoriker Joachim Hamberger, der die "Sylvicultura Oeconomica" gerade neu veröffentlicht hat. Von Carlowitz sei ein Mahner gewesen vergleichbar mit dem kürzlich verstorbenen Menschenrechtler Stéphane Hessel.

    "Empört euch, engagiert euch - beides gehört zusammen. Das sind die beiden Fäden, die bei Carlowitz durch dieses Buch gehen. Das eine ist ein roter Warnfaden: Der Mensch geht nachlässig mit dem Wald um - empört Euch über die Nachlässigkeit. Es geht ein grüner Leitfaden der Nachhaltigkeit durch das Buch: Bäume zu pflanzen, zu säen und so weiter, das heißt, engagiert Euch. Stéphane Hessel, und er spricht auch von den Grenzen des Wachstums, er ist auch der Denis Meadows der frühen Aufklärung."

    Die Voraussetzungen dafür waren denkbar schlecht: als Oberberghauptmann brauchte von Carlowitz Bäume nur als Feuerholz. Erst als das ausblieb und Sachsens Bergwerke und Schmelzhütten mit halber Kraft arbeiten mussten, machte von Carlowitz sich Sorgen über die Zukunft - und formulierte den Leitgedanken, der die nachhaltige Forstwirtschaft bis heute prägt, sagt Carsten Wilke, Präsident des Deutschen Forstvereins.

    "Es ist dieser scheinbar profane, simple Grundsatz, nicht mehr Holz einzuschlagen als nachwächst, die Maxime gewesen, von diesem Kern ausgehend hat sich das erweitert auf viele andere Fragen von Bedürfnissen und Ansprüchen, die Wald zu erfüllen hat: seien es Erholungsleistungen, Schutzleistungen für Natur oder Wasser oder Klima, all das ist weiterentwickelt worden, geht aber auf den Kern zurück. Und wir Förster nehmen für uns in Anspruch, einen Wald jetzt zu nutzen zum Vorteil der Gesellschaft, aber ihn so zu nutzen, dass auch in 100 oder 200 Jahren die Menschen dann mindestens den gleichen Nutzen davon haben können."

    Doch von Carlowitz hat nicht nur Fans: Der Wald sei nicht nur Wirtschaftsgut und dürfe auch nicht so betrachtet werden, bemängeln Naturschützer. Sie geben Wildnis oder Artenschutz Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen auch der Förster, die sich an von Carlowitz Regeln halten. Manchem Unternehmer gehen dagegen selbst freiwillige Nachhaltigkeits-Verpflichtungen zu weit, weil sie den Profit gefährden. Und auch die Politik tut sich trotz des Nachhaltigkeitsbooms Anfang der 1990er-Jahre bis heute schwer mit dem Begriff, weiß Klaus Töpfer, der als Chef des UN-Umweltprogramms zu einem Gipfel für nachhaltige Entwicklung lud.

    "Nachhaltigkeit steht immer noch etwas in der Besorgnis, das würde die wirtschaftliche Entwicklung bremsen. Und wenn Sie die Situation in der Welt sehen, dann ist das ein Hinweis darauf, dass es nicht nur gut um die Nachhaltigkeit steht. Ich habe acht Jahre in Nairobi in Kenia gearbeitet und weiß, dass Armut immer Ressourcen-, Energiearmut ist. Da haben nur zehn Prozent der Menschen Zugang zu Energie, also kommt man wirtschaftlich nicht voran. Auch diese Menschen wollen eine Perspektive für sich und ihre Kinder haben."

    Und das bedeutet für die meisten zunächst Wirtschaftswachstum - bedingungslos. Auch deshalb kommen die Vereinten Nationen bei der Definition globaler Nachhaltigkeitsziele kaum voran. Dreihundert Jahre nach Veröffentlichung der "Sylvicultura Oeconomica" ist von Carlowitz Aufruf zu Empörung und Engagement aktuell wie nie zuvor.


    Die "Sylvicultura Oeconomica" von Carl von Carlowitz ist zu ihrem 300. Geburtstag gerade im Münchner Oekom-Verlag wieder erschienen - ebenso wie der Begleitband "Die Erfindung der Nachhaltigkeit", der die Geschichte der Nachhaltigkeit von 1713 bis heute kritisch beleuchtet.

    Mehr zum Thema:
    Nachhaltigkeit in aller Munde - Zum 300. Geburtstag eines Begriffes "Made in Germany" DKultur-Interview vom 25.03.2013