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Viel Wind um die Wende

Schleppender Ausbau, fehlende Leitungen, ein mit heißer Nadel gestricktes Ausstiegskonzept - nach einem Jahr Energiewende in Deutschland hagelt es Kritik von allen Seiten. In Stuttgart, in der Zentrale des Energiekonzerns EnBW treffen sich heute Vertreter des Kuratoriums der Stiftung Offshore-Windenergie; unter anderem Anlagenbetreiber, Hersteller von Komponenten sowie Mitarbeiter des TÜV und des Bundesumweltministeriums. Auch sie wollen eine Zwischenbilanz in Sachen Energiewende ziehen, natürlich mit speziellem Blick auf den vor den Küsten erzeugten Windstrom und seine Chancen auf dem Energiemarkt.

Von Michael Brandt | 14.06.2012
    Ein Jahr nach Verkündung der Energiewende gibt es in Sachen Offshore-Windenergie einerseits gute Nachrichten. Die EnBW-Tochter EEE hat etwa im Mai 2011 den ersten kommerziellen Windpark Baltic 1 in der Ostsee in Betrieb genommen, und die Anlage funktioniert sogar besser als erwartet, so EEE Geschäftsführer und Mitglied der Stiftung Offshore Stefan Thiele.

    "Da sind unsere Ergebnisse sehr positiv. Die liegen besser als Plan, sowohl was den Stromertrag angeht als auch, was die Verfügbarkeit der Anlage angeht. Da sind wir hochzufrieden."

    Die größere Nachfolgeanlage Baltic 2 ist bereits projektiert, und hier würden, so Thiele viele Stadtwerke mit ins Boot geholt, und das Interesse sei auch hier erfreulich groß. Die Baltic-Anlagen liegen in der Ostsee, und hier sei auch die Leitungsanbindung, die durch den Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz gemacht wird, problemlos. Anders sieht es allerdings bei zwei weiteren Anlagen aus, die in der Nordsee projektiert sind. Hier ist TenneT für die Leitungsanbindung auf See zuständig, und hier hakt es bekanntlich, so Jörg Kuhbier, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Windenergie:

    "TenneT hat zwei wichtige Probleme aufgezeigt. Einmal die Haftungsfrage, dass wir zu einem ausgewogenen Verhältnis kommen müssen zwischen den Anlagenbetreibern, den Übertragungsnetzbetreibern und dem Stromkunden und dass entstehende Risiken, für die keiner etwas kann, ausgewogen verteilt werden. Nur dann wird es TenneT gelingen, auch für weitere Anlagen Finanziers zu finden."

    Zum einen geht es um die Haftungsfrage, zum anderen schlicht ums Geld, denn TenneT ist Stand heute nicht finanzkräftig genug, um die Investitionen zu stemmen, die nötig sind, um alle geplanten Anlagen ans Netz zu bringen. Kuhbier fordert daher Unterstützung vom Staat, möglicherweise durch die Investitionsbank KfW. Zwar sei der Anschluss der für die kommenden beiden Jahre geplanten Anlagen gewährleistet. Aber die Planungen für die Offshore-Windkraft bis 2025 sind ehrgeizig.

    "Wir wollen 10 000 MW bis zum Jahr 2020 und bis zum Jahr 2025 noch weitere 15 000 MW, und dafür müssen jetzt die entscheidenden Weichen gestellt werden. Und daher muss noch in diesem Jahr eine entsprechende Bewertung der Bundesregierung hergestellt werden."

    Das ist die eine Forderung an die Politik. Die zweite und wichtigste Forderung ist Verlässlichkeit bei der Windkraftförderung - durchaus im Unterschied zur Linie der Regierung bei der Solarförderung. Die Investitionen in die Offshore-Windkraft seien so langfristig, so Thorsten Herdan, der stellvertretende Präsident der Stiftung Offshore, dass mangelnde Planungssicherheit nicht nur den Ausbau der Offshore-Windkraft, sondern auch die Energiewende verzögern würde.

    "Bei der Offshore Windenergie handelt es sich um ein Investitionsprojekt, das über mehrere Jahrzehnte Planung bedarf. Das heißt, wir brauchen eine Verlässlichkeit über mehrere Jahrzehnte und nicht nur über einzelne Legislaturperioden. Von daher sind wir darauf angewiesen, dass die Bundesregierung hier koordiniert vorgeht und nicht nach Strömungen sich ausrichtet. Dann wird das Ganze auch vernünftig fliegen können."

    Derzeit, so Herdan, der gleichzeitig Geschäftsführer beim Verband Maschinenbau VDMA ist, seien deutsche Unternehmen die Technologieführer beim Thema Offshore-Windkraft und auch um diese Position zu halten, sei Verlässlichkeit der Politik bei der Förderung notwendig. Was die Energiewende als Ganzes angeht, fordert er eine Koordinierungsstelle Energiewende im Kanzleramt, denn bislang lasse, in der Sprache der Industrie, das Projektmanagement der Energiewende in der Bundesregierung zu wünschen übrig. Der Druck komme übrigens nicht nur aus Deutschland, sondern auch von den internationalen Märkten, wo das Thema Energiewende mit großem Interesse verfolgt werde, was sich allein daran ablesen lasse, dass Energiewende auch im englischen Sprachraum Energiewende genannt wird, so Herdan.

    "'Energiewende' ist wie 'Sauerkraut' und 'Kindergarten' mittlerweile im englischen Gebrauch. Daher kommt der Druck."