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"Viele haben sich da so ein Wunschbild gebastelt"

Er ist in die syrischen Machtverhältnisse eingetaucht, als er 2005 den Mord am libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri untersuchte: der Berliner Leitende Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis. Für ihn ist klar: Syriens Präsident Baschar al-Assad ist kein Getriebener, sondern "eindeutig Teil dieses finsteren Systems".

Detlev Mehlis im Gespräch mit Friedbert Meurer | 16.06.2011
    Friedbert Meurer: Was geht in Syrien vor sich? Die Erhebung in der arabischen Welt hat auch vor Syrien nicht haltgemacht. Aber wie in Libyen denkt das Regime nicht daran, nachzugeben. Im Gegenteil: Das Regime von Präsident Baschar al-Assad bekämpft massiv die Opposition. 12.000 Dissidenten sollen schon getötet worden sein. Einer, der die syrischen Machtverhältnisse untersucht und kennengelernt hat, ist der Berliner Leitende Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis. 2005 war er UNO-Sonderermittler im Mordfall des früheren Ministerpräsidenten des Libanon, Rafiq Hariri. Für Mehlis stand fest: Die Drahtzieher des Mordes sitzen in Damaskus. Für uns ist er jetzt in Berlin am Telefon. Guten Morgen, Herr Mehlis!

    Detlev Mehlis: Guten Morgen!

    Meurer: Warum waren Sie damals eigentlich so sicher, dass Präsident Assad selbst hinter dem Mord am libanesischen Reformpräsidenten Hariri stand?

    Mehlis: Nun, das ergab sich eindeutig aus unseren Ermittlungen, die wir geführt haben. Ich muss immer sagen, nicht ich persönlich; ich habe das geleitet, aber wir waren ja Ermittler aus vielen Ländern. Wir kamen – und so haben wir das auch in unseren Berichten niedergelegt – zu der Überzeugung, dass Angehörige des syrischen Regimes mit in diesen Anschlag auf den libanesischen Premierminister involviert waren, und aufgrund der Struktur des syrischen Regimes ist es letztlich undenkbar – und das ist übrigens auch von Zeugen bestätigt worden -, dass so etwas zumindest ohne Kenntnis des Präsidenten geschehen konnte.

    Meurer: Der Präsident Assad wurde ja immer als jemand dargestellt, der in London ausgebildet wurde als Augenarzt. Hatten Sie den Eindruck, er war da der Getriebene von seiner eigenen Clique?

    Mehlis: Nein, in keiner Weise. Man hat sich, viele haben sich da so ein Wunschbild gebastelt, wahrscheinlich auch, um die Kontakte zum Regime dann zu pflegen, aufrecht zu halten, Syrien zu unterstützen. Für diese Annahme eines quasi ferngesteuerten Assad, das ist Quatsch. Man muss nur einmal ein bisschen was von dem lesen und hören, was der ehemalige Vizepräsident Kaddam, der ja nun der Beste ist, der hier uns Einblicke in das System vermitteln kann, 20 Jahre Vizepräsident war, was der zum System und zur Rolle Baschars gesagt hat. Also dass Baschar hier letztlich außerhalb steht, ferngesteuert ist, unter Druck von irgendwelchen finsteren Mächten steht, das ist Quatsch. Er ist eindeutig Teil dieses finsteren Systems.

    Meurer: Diese Deutung hat ja noch mal neue Nahrung bekommen. Im Fokus steht der jüngere Bruder von Baschar, nämlich Maher al-Assad. Er sei der Brutalere. Es gibt im Internet ein Videoclip, das ihn angeblich zeigt, wie er selbst persönlich mit dem Gewehr auf unbewaffnete Demonstranten schießt. Man kann da allerdings niemanden so deutlich erkennen. Kennen Sie diesen Bruder?

    Mehlis: Nein. Wir haben ihn nicht vernommen. Wir hatten damals darum gebeten, ihn zu vernehmen. Das ist uns aber ebenso wenig gestattet worden, wie den Präsidenten selbst zu vernehmen. Aber wir haben andere Mandatsträger des Regimes im Laufe dieser Ermittlungen vernommen, das heißt, in erster Linie Angehörige des Militärs, in dem ja auch die Geheimdienste dann eng verankert sind.

    Meurer: Wie loyal stehen Geheimdienste und Militär hinter der Familie Assad?

    Mehlis: Das ist so Kaffeesatz-Leserei, an der ich mich nicht so gerne beteiligen will, wie ja vieles im Moment, aber es wird, um eine Einschätzung abzugeben, eben so sein wie bei allen anderen Diktaturen. Solange es gut läuft, wird man zum Regime stehen. Wenn es sich deutlich anzeigt, dass das Regime stürzt oder wackelt, wird man versuchen, sich abzusetzen. Sie dürfen natürlich auch nicht vergessen, dass es beim syrischen Regime nicht nur um Macht geht, sondern auch um ganz viel Geld. Das Regime ist also eine Geldbeschaffungsmaschine. Das heißt, alle, die dem Regime nahestehen, die dem Regime angehören, sind nach unseren Verhältnissen unermesslich reich und werden natürlich versuchen, auf die eine oder andere Art diesen Reichtum, der dann eben auch Macht bedeutet, zu retten.

    Meurer: Wo kommt das Geld her?

    Mehlis: Das Geld kommt aus Waffengeschäften, das Geld kommt aus Schmuggelgeschäften, das Geld kommt aus den Staatsunternehmen, Telekom, also das Geld kommt sicher auch zum Teil aus dem Libanon, wo man ja jahrelang den Libanon als Geldquelle benutzt hat. Wir reden da schon von ganz erheblichen Summen im zig-Millionen-Bereich.

    Meurer: Welche Rolle hat das Geld gespielt beim Auftragsmord am libanesischen Präsidenten Hariri?

    Mehlis: Wir haben natürlich auch in dieser Richtung ermittelt, aber das eigentliche Motiv nach unserer Einschätzung war doch eher, dass die syrische Staatsspitze Hariri verdächtigte, gemeinsam mit den Amerikanern und den Franzosen hier ein Unternehmen gestartet zu haben, das Regime zu Fall zu bringen, und das ist nach syrischem Recht Hochverrat und wird im Übrigen mit dem Tode bestraft, interessanterweise nach syrischem Rechtsverständnis auch, wenn es vom Ausland her geplant wird.

    Meurer: Es ging aber um Interessen im Libanon, oder ging es bei dem Mord auch um Syrien?

    Mehlis: Nein! Das Motiv nach unserer Ansicht lag in erster Linie in einer UN-Sicherheitsresolution 1559, in der gefordert wurde, dass alle fremden Truppen den Libanon verlassen - das richtete sich gegen Syrien, ein anderes Land hatte keine Truppen – und eben, dass alle Milizen im Libanon entwaffnet wurden. Das traf die Hisbollah, die die einzige bewaffnete Miliz war. Also Syrien oder die syrische Staatsführung hat das als eindeutigen Versuch angesehen, hier das Regime abzulösen.

    Meurer: Auch wenn Sie eben schon von Kaffeesatz-Leserei gesprochen haben, haben Sie eine Vorstellung, wie das weitergehen könnte in Syrien?

    Mehlis: Nein! Was so etwas bringt, sehen Sie ja im Fall Libyen. Ich kann mich erinnern, viele haben da in den ersten Tagen gesagt, das wird noch eine Woche, zwei Wochen dauern. Jetzt sieht es vielleicht eher nach ein, zwei Jahren aus. Man kann das nicht sagen und man hat natürlich, wie sie als Journalisten ja auch wissen, keine Einblicke. Ganz bewusst gibt das Regime ja keine Einblicke. Man weiß nicht, wie es weitergeht, ob die Opposition stark genug ist. Es fehlt natürlich auch die Unterstützung des Auslandes, da gibt es ja immer noch diesen – ich weiß gar nicht, ob er authentisch ist – dümmlichen Spruch von Henry Kissinger, "Ohne Syrien gibt es keine Lösung des Nahost-Problems". Das ist natürlich Unfug. Syrien ist immer Teil des Nahost-Problems gewesen. Aber das führt doch offensichtlich alles dazu, dass sich der Westen, China, Russland, sehr zurückhalten. Ob die Opposition das aus eigener Kraft schafft, ist ihr zu wünschen. Ob es dazu kommt, muss man abwarten.

    Meurer: Der Berliner Leitende Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis war 2005 und Anfang 2006 UNO-Sonderermittler im Mordfall des früheren Ministerpräsidenten des Libanon, Rafiq Hariri. Herr Mehlis, besten Dank und auf Wiederhören.

    Mehlis: Gerne. Schönen Tag. Tschüß!


    Hintergrund

    Sowohl Syrien als auch der Libanon sind nach Ermittlungen der Vereinten Nationen in den Mord an dem libanesischen Politiker Rafik Hariri verwickelt. Der UNO-Sonderermittler, der Berliner Oberstaatsanwalt Mehlis, übergab einen Bericht im November 2005 in New York Generalsekretär Annan.
    Der UNO-Sonderermittler im Fall Hariri, der Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis, übergibt seinen Untersuchungsbericht an UNO-Generalsekretär Kofi Annan.
    Der UNO-Sonderermittler im Fall Hariri, der Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis, übergibt seinen Untersuchungsbericht an UNO-Generalsekretär Kofi Annan. (AP)