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Viele offene Fragen

Medizin. - Seit einem Jahr müssen die Städte in den Kampf gegen den Feinstaub ziehen. Im Fokus ist die eher grobe Fraktion mit maximal zehn Mikrometern Durchmesser. Wesentlich schwieriger zu fassen, aber möglicherweise auch risikoreicher ist die ganz feine Abteilung aus Nanopartikeln. Auf der Tagung "Nanomed" diskutierten Toxikologen die neuesten Erkenntnisse.

Von Michael Fuhs | 17.02.2006
    Die Lungen von Bergarbeitern sehen anders aus als die von Menschen, die auf dem Land leben. Denn feinkörniger Kohlestaub setzt sich in dem Organ fest und färbt es schwarz. Bei sehr starkem Befall kann das eine so genannte Lungenfibrose auslösen und das Gewebe zerstören. Dass manche Nanopartikel, also Teilchen, die zwischen einem und 100 Milliardstel Meter groß sind, ähnlich wirken, ist gut vorstellbar. Überrascht ist Ken Donaldson aber darüber, dass sie den Organismus auch noch ganz anders angreifen können. Das zeigt die Erfahrung mit Nanopartikeln aus Dieselabgasen, so der Professor für Toxikologie an der Universität Edinburgh:

    "Interessanterweise haben sie den größten Effekt auf das Herz und die Blutgefäße. Und die größte Gesundheitsgefährdung haben Menschen mit Herz-Kreislauferkrankungen. Das ist interessant. Es ist noch relativ einfach zu verstehen, wie diese Teilchen in der Lunge wirken können. Es ist aber schwieriger zu verstehen, wie diese eingeatmeten Nanoteilchen das Herz-Kreislauf-System beeinflussen können."

    Dass das geschieht hat der Toxikologe mit seinen Kollegen in einer randomisierten Doppel-blind Studie direkt nachgewiesen. Probanden mussten in einem Raum Dieselabgase in einer Konzentration einatmen, wie sie in verkehrsreichen Innenstädten vorkommt. Danach haben die Ärzte Mittel verabreicht, die die Blutgefäße erweitern. Bei denjenigen Probanden, die vorher Dieselabgase eingeatmet haben, war die Fähigkeit zur Regulation der Blutgefäße beeinträchtigt. Donaldson:

    "Wenn die Teilchen das Herz-Kreislauf-System beeinflussen können, dann vielleicht, indem sie in das Blut gelangen. Und wenn sie in das Blut gelangen, dann können sie überall im Körper hin wandern. Deshalb können sie auch einen Effekt auf andere Organe haben wie die Leber, die Milz, oder sogar das Gehirn."

    Dabei haben die Wissenschaftler noch nicht verstanden, wieso diese Teilchen überhaupt so einfach von den Lungenbläschen in das Blut gelangen können. Dass es mit der Größe zusammenhängt, ist offensichtlich. Ein Material, das in großer Form ungefährlich ist, kann zu Feinstaub zerrieben eben neue Eigenschaften haben. Auch in Zellen können Nanopartikel leichter eindringen, als bisher gedacht. Wolfgang Kreyling vom Institut für Inhalationsbiologie am GSF Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit:

    "Normalerweise gibt es Zellen, die nehmen Partikel auf und haben dafür bestimmte Mechanismen. Die haben dazu Rezeptoren auf der Membran sitzen, die dafür sorgen, dass so ein Fremdkörper, der an die Oberfläche angedockt hat, internalisiert wird. Das ist also ein aktiver Prozess. Das gilt für Partikel, die größer sind als 200 Nanometer. Darunter wird es plötzlich merkwürdig. Wenn man zu den ganz kleinen Partikeln geht, zu 20 Nanometer Partikeln, scheinen sie in die Zellen einzudringen durch diffusive Prozesse."

    Das heißt, passiv. Sie stoßen gegen die Membran und schwimmen quasi hindurch. Kreyling:

    "Ob das wirklich so ist, oder ob es doch durch irgend etwas gesteuert ist, das wissen wir nicht."

    Und das ist insgesamt das Problem der Toxikologen. Sie wissen zu wenig über die Mechanismen die wirken, um die Gefahr einschätzen zu können. Auch muss man bedenken, dass der Oberbegriff "Nanopartikel" viel zu ungenau ist. Es gibt strukturell sehr viele verschiedene, die nichts miteinander gemein haben außer der Größe. Manche, wie zum Beispiel die Partikel in Dieselabgasen, sind giftig, andere, wie zum Beispiel Titandioxid in Sonnencreme, sind nach heutigem Erkenntnisstand wohl eher ungefährlich. Zur Zeit diskutieren die Experten darüber, wie geeignete toxikologische Tests dafür aussehen könnten, die auch die unerwarteten Effekte kleiner Teilchen berücksichtigen. Die Forschung dazu muss nach Meinung von Wolfgang Kreyling die Entwicklung neuer Nanomaterialien jedenfalls schon frühzeitig begleiten.