Freitag, 19. April 2024

Archiv


Viele Welten statt einer

Physik. - Gibt es nur eine einzige Welt oder existieren in Wirklichkeit unendlich viele Universen, manche von ihnen bevölkert mit unseren Doppelgängern? Immer mehr Physiker vermuten, dass unser Kosmos nicht der einzige ist. Mit der Frage nach der Einzigartigkeit befassen sich andererseits auch Philosophen. Um den Dialog zwischen den Disziplinen zu fördern, hat das Einstein-Forum Physiker wie Philosophen nach Potsdam geladen, um Theorien vom Multiversum zu diskutieren.

Von Frank Grotelüschen | 09.07.2008
    "Wenn man davon ausgeht, dass unser Universum aus einem ganz kleinen Bereich entstanden ist, dann liegt die Vorstellung nahe, dass es vielleicht auch jenseits davon was geben muss."

    Hermann Nicolai ist Physiker, und zwar in Potsdam, am Albert-Einstein-Institut. Und wer derart offiziell auf den Spuren Einsteins wandelt, der hat von Berufs wegen den Ehrgeiz, den Kosmos als Ganzes zu verstehen. Und dafür ist man auch schon mal bereit, seine Gedanken auf höchst ungewöhnliche Bahnen zu lenken.

    "Es gibt da diverse Denkmöglichkeiten. Entweder die Möglichkeit, dass unser Universum eines von sehr vielen ist, und dass es sich mit Universen genauso verhält wie mit Blasen in einem Kochtopf mit kochendem Wasser: Die kommen und gehen in vielen, vielen Gestalten. Oder aber es könnte auch sein: Vielleicht ist es doch so, dass unser Universum einmalig ist."

    Dass neben unserem Universum noch andere Universen existieren - diese Vorstellung ist nicht neu. Doch während sie früher als Gedankenspielerei mancher Philosophen galt, liebäugeln nun auch immer mehr Physiker mit dem Multiversum. So heißt im Fachjargon eine Welt, die nicht nur aus einem Kosmos besteht, sondern aus vielen voneinander getrennten Universen, vielleicht sogar unendlich vielen.

    Das Umdenken hat seine Gründe. So basteln Physiker schon seit langem an der so genannten Stringtheorie. Diese Theorie geht davon aus, dass sämtliche Materie aus winzigen Strings besteht, das sind unmessbar kleine, vibrierende Schleifen aus purer Energie. Eigentlich hatte man mit den Strings den Schlüssel zur Weltformel gesucht - eine Formel, die auf einen Schlag erklärt, warum der Kosmos so ist, wie er ist. Doch statt eine einzige Formel zu finden, stießen die Theoretiker gleich auf 10 hoch 500 - eine Bandwurm-Zahl mit nicht weniger als 500 Stellen.

    "Da kann man jetzt zwei Schlüsse draus ziehen: Einige Kollegen vertreten die Auffassung, dass diese anderen Welten, die mit der Stringtheorie mathematisch verträglich sind, auch tatsächlich real existieren. Andere Kollegen sind der Auffassung, dass man zunächst mal feststellen muss, ob die Theorie überhaupt richtig ist. Das hat einfach damit zu tun, dass wir die Theorie noch nicht richtig verstehen. Und wenn man diese Theorie dann mal richtig versteht, wird sich diese Vielfachheit von verschiedenen Universen auch wieder erheblich reduzieren."

    Mit der Idee des Multiversums flirten aber nicht nur Stringtheoretiker, sondern auch manche Kosmologen. Sie gehen nämlich davon aus, dass es in der allerersten Frühphase der Welt eine kurze, aber unvorstellbar rasante Ausdehnung des Raumes gegeben haben muss, die so genannte Inflation. Und es ist denkbar, vielleicht sogar plausibel, dass diese Inflation als eine Art Brutstätte für mehrere Universen gedient hat, sagt Christof Wetterich, Physiker an der Universität Heidelberg.

    "Ich denke, vor der inflationären Phase des Universums, wenn es da überhaupt den Begriff von Raum und Zeit gegeben hat, hat es Regionen mit verschiedenen Eigenschaften gegeben. Die haben sich sicher entwickelt, und eine kleine Region ist zu unserem Universum geworden."

    Aus den anderen Regionen dürften dann andere Universen geworden sein - so die Hypothese. Der US-Kosmologe Alex Vilenkin geht sogar noch weiter. Er glaubt, dass die Inflation noch gar nicht abgeschlossen ist, sondern ewig weitergeht - mit der Konsequenz, dass ständig und überall neue Welten geboren werden, unendlich viele Welten, in denen vielleicht sogar Doppelgänger von uns Menschen existieren. Der Haken an der Sache: Man wird diese fremden Welten niemals beobachten können, auch nicht mit noch so scharfen Teleskopen, sagt Hermann Nicolai. Denn:

    "Nach den heute bekannten Gesetzen der Physik ist da keine Kommunikation möglich. Ich kann mir keine Möglichkeit vorstellen, wie man das wirklich unzweideutig nachweisen könnte."

    Und genau deshalb dürften es die meisten Physiker halten wie Hermann Nicolai und Christof Wetterich: Was interessiert mich eine Theorie, die man weder beweisen noch widerlegen kann?

    "Meine eigene Haltung ist: Da diese möglichen Welten alle außerhalb unseres Horizontes sind, von uns also nie beobachtet werden können, kann man dazu einfach auch fragen: So what?"