Freitag, 19. April 2024

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Vielfalt als philosophisches Problem
Vernünftig streiten lernen

Wie wichtig Vielfalt ist, merkt man oft erst, wenn sie fehlt, sagte der Philosoph Thomas Grundmann im Dlf. Wenn aber Positionen und Meinungen dogmatisch gegeneinander prallten, könne es Konflikte geben. Hier könne analytische Philosophie helfen, rational und mit klaren Argumenten aufzutreten.

Thomas Grundmann im Gespräch mit Anja Reinhardt | 18.09.2018
    Gezeichnete Kinder mit bunten Luftballons
    Vielfalt unserer Gesellschaft: Kinder mit unterschiedlichem Aussehen (imago stock&people / Patrick George)
    Anja Reinhardt: Mag sein, dass es Denkern wie Slavoj Žižek zu verdanken ist, dass die Philosophie nicht mehr nur ein universitäres Publikum anspricht, sondern ein doch eine recht breite Zielgruppe. Žižek ist weniger theoretisch als die meisten seiner Kollegen, er vermischt munter Populärkultur und Philosophiegeschichte und er kann ein Publikum unterhalten, was er bei der phil.cologne zum Beispiel schon gezeigt hat. An jedem gut sortierten Zeitungskiosk können Sie heute gleich mehrere Zeitschriften mit philosophischen Themen kaufen, selbst Bücher mit philosophischen Themen oder Philosophiegeschichte können zu Bestsellern werden, wie Wolfram Eilenbergers "Zeit der Zauberer". Dazu trägt sicher bei, dass dabei versucht wird, Probleme aus dem gesellschaftlichen Diskurs philosophisch zu betrachten - und das in einer möglichst unakademischen Sprache. Damit jedenfalls hat die phil.cologne durchaus Erfolg.
    Die Gesellschaft für Analytische Philosophie verfolgt einen etwas anderen Ansatz, nämlich den akademischen. Zum zehnten Mal findet nun der Kongress der GAP statt, dieses Jahr in Köln, wo auch der Präsident der Gesellschaft, Thomas Grundmann, lehrt. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt: "Vielfalt in der Philosophie und darüber hinaus" lautet die Überschrift zum diesjährigen GAP-Kongress in Köln. Und weil es bei ihm um analytische Philosophie geht, also um die Klärung von Begriffen, würde ich Sie an dieser Stelle gerne fragen, welche Vielfalt gemeint ist, oder ob das genau die Frage ist, die zu klären wäre.
    Thomas Grundmann: Ja, es geht um beides. Zum einen wird der Vielfaltsbegriff ja dauernd verwendet, vor allen Dingen unter dem Pseudonym, hätte ich fast gesagt, Diversität. Ich habe bewusst diesen Titel nicht genommen, weil Pluralität ist weiter eigentlich. Aus meiner Sicht umfasst das einerseits Vielfalt, und Vielfalt kann ganz harmonisch sein, so wie es verschiedene Arten nebeneinander gibt oder vielleicht verschiedene Wortbedeutungen, und da gibt es keine Spannung. Diversität enthält für mich oft auch das Potenzial zu Konflikten, wie Diversität von Religionen, von Ideologien, und der Kongress soll im Grunde beide Phänomene thematisieren, und zwar sowohl innerhalb der Philosophie als auch außerhalb der Philosophie. Die Philosophie und vor allen Dingen die analytische Philosophie leider hat sich relativ lange ein bisschen abgekapselt, abgeschlossen, um ihre eigenen Probleme zu traktieren, und oft nicht so stark interagiert mit Problemen der Gesellschaft, der Politik, überhaupt der Öffentlichkeit, und das war eine Herausforderung, der ich nachgehen wollte.
    Klare Argumente der Philosophen
    Reinhardt: Aber wenn wir jetzt über Politik sprechen, dann ist Vielfalt natürlich im Moment ein Begriff, der, wie Sie ja auch schon sagten, doch sehr viele Debatten auslöst und zum Teil sehr heftige Debatten, die durchaus auch von populistischen Strömungen forciert werden, die den Begriff Vielfalt ja immer wieder problematisieren. Was kann die Philosophie dazu beitragen, da vielleicht auch ein bisschen die Emotionalität rauszunehmen?
    Grundmann: Sie kann natürlich vor allen Dingen als analytische Philosophie – Sie haben in der Anmoderation angedeutet, dass es hier um einen Kongress der Gesellschaft für Analytische Philosophie geht. Die versucht natürlich, besonders rational mit klaren Argumenten an Dinge heranzugehen. Und Vielfalt kann etwas sehr Positives sein; ist es ja oft. Das sehen wir dann, wenn die Vielfalt in der Küche ausbleibt – das ist jetzt ein triviales Beispiel -, aber auch, wenn eine gewisse Eindimensionalität in der Kultur, in gesellschaftlichen Debatten da ist. Dann vermissen wir das. Wir vermissen es übrigens auch, wenn die Biodiversität ausstirbt. Artenvielfalt ist was, was wir toll finden. Aber es gibt Konflikte: Wenn Religionen, die irgendwie Exklusivitätsanspruch beinhalten, aufeinanderprallen, wenn dogmatisch in Meinungsstreitigkeiten Positionen gegeneinanderprallen, wenn man, wie man jetzt gerade in den USA sieht, eine hoch ideologisierte öffentliche Debatte hat, dann gibt es Konflikte.
    Rationaler Umgang mit Streitigkeiten
    Die analytische Philosophie hat lange Zeit ein bisschen die Augen verschlossen vor dem Problem der Vielfalt, weil sie an ein Ideal von schlichter Wissenschaftlichkeit geglaubt hat, die gewissermaßen die Welt durchdringt in ihren Grundstrukturen, die sehr einfach und systematisch sind. Im Moment ist gerade die Diskussion darüber, wie man mit Meinungsverschiedenheiten rational umgeht, ein ganz wichtiges Thema, und da sehen Sie sofort, dass das natürlich politisch hoch brisant ist. Man hat oft in der Philosophie Vielfalt konstatiert und gesagt, dann hört die Rationalität auf. Das sind quasi Inseln, die nicht miteinander verbunden werden können. Die analytische Philosophie fragt sich gerade, wie kann man rational mit Dissensen umgehen, mit Meinungsstreitigkeiten. Das könnte ja, wenn wir daraus lernen, auch vernünftige Wege ebnen, um mit politischen oder anderen Dissensen umzugehen.
    Reinhardt: Jetzt ist es aber so, dass dieser Kongress der Gesellschaft für Analytische Philosophie, der gestern begonnen hat, noch bis Mittwoch läuft, doch nicht so beworben wird, wie jetzt die phil.cologne zum Beispiel, die ja auch einen großen Zuschauerstrom hat. Wollen Sie doch eher im akademischen Rahmen bleiben, oder sind Sie schon auch daran interessiert, dass es von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird?
    Grundmann: Diese Konferenz speziell ist eine akademische Konferenz. Da kommen international renommierte Professoren, deutsche Professoren, sehr viele Nachwuchswissenschaftler, die aber im Grunde auch miteinander ins Gespräch kommen wollen. Aber das ist der Zweck, weil es gibt viele Jahrestagungen der Historiker auch aus anderen Wissenschaften, und dies ist praktisch eine Jahrestagung der analytischen Philosophen, die einfach im Kontakt, im Gespräch miteinander bleiben wollen.
    Trotzdem sind Themen da angesprochen, die auch die öffentliche Resonanz und Wahrnehmung betreffen, und hier haben wir tatsächlich punktuell uns auch geöffnet ein wenig, indem auch Journalisten, Medienvertreter eingeladen sind, mit denen wir ins Gespräch kommen wollen. Aber es wäre ein ganz anderer Charakter, wenn man gewissermaßen eine öffentliche, für die nichtakademische Welt geöffnete Konferenz hätte. Dann müssten die Vorträge anders gestrickt sein. Sie sind auch speziell, sie sind schwierig, sie sind voraussetzungsreich, aber dafür muss es natürlich auch Spielraum geben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.