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Vielfalt des Schleims

Mikrobiologie. - Auf der Tagung "Welt der Mikroben", die zur Zeit in Paris stattfindet, geht es um alles, was klein ist. Viren, Pilze und natürlich Bakterien. Bakterien galten lange Zeit als typische Einzelgänger. Sie bestehen aus einzelnen Zellen, die durch das Wasser schwimmen oder an Oberflächen haften. Erst in den letzten Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass viele Bakterien es schleimig mögen. Sie leben in einer glibberigen Substanz, die sie selbst produzieren. Die Wissenschaftler sprechen vom Biofilm. Schleimige Substanzen auf Pflanzenoberflächen ; in Rohren, in Kläranlagen oder im Mund. Und wie diese Biofilme genau aussehen, darüber gab es bei der Tagung "Welt der Mikroben" neue Informationen.

30.07.2002
    Von Michael Lange Vom Eiffel-Turm aus fast 300 Metern Höhe ist Paris ein riesiges, fast eintöniges Häusermeer, durchzogen von breiten Strassen und engen Gassen. Ein schöner Blick - nicht mehr. Wer sich aber in das Gewimmel der Strassen stürzt, der erlebt die Vielfalt der französischen Metropole. Das gleiche erleben die Mikrobiologen zur Zeit mit den Biofilmen. Lange Zeit waren Biofilme für sie nur ein amorpher Schleim. Aber heute kann man genauer hinschauen - nicht nur mit dem Mikroskop. Einer, der das tut, ist Roberto Kolter, Mikrobiologie-Professor an der Harvard Medical School in Boston.

    Diese Biofilme sind eine Ansammlung von vielen Tausenden Zellen. Gemeinsam bilden sie eine richtige Struktur, die man unter dem Mikroskop sehen kann. An den verschiedenen Orten im Biofilm existieren ganz unterschiedliche Lebensbedingungen. Folglich verhalten sich die Bakterien ganz unterschiedlich. Solche Bakterien, die weit von der Nahrungsquelle entfernt sind oder direkt an der Luft leben, neigen zum Beispiel dazu, Sporen zu bilden.

    Roberto Kolter hat Biofilme von Bacillus subtilis untersucht. Diese Bakterien bilden Sporen. Das sind Kapseln, in denen das Erbgut der Bakterien große Hitze, Kälte oder eine Hungersnot überstehen kann. Kolter hat entdeckt, dass solche Bakterien, die am Rand des idealen Lebensraumes "Biofilm" leben, für die Sporenbildung zuständig sind. Sie haben direkt Kontakt zur bakterienfeindlichen Außenwelt. Das Fazit dieser Entdeckung: Es gibt so etwas wie eine Aufgabenteilung im Biofilm. Kolter:

    In den letzten 15 bis 20 Jahren hat sich immer mehr gezeigt, dass der Blick der Wissenschaft sich zu sehr auf die einzelne Bakterie konzentriert hat. Viele Bakterien können zwar alleine leben, aber sie bilden je nach Umwelt auch komplexe Gebilde, die fast eine Art Organismus ergeben. Ein Biofilm als Organismus aus vielen Zellen, wie Sie und ich.

    Andere Ergebnisse zeigen, dass das, was Roberto Kolter für Bacillus Subtilis entdeckt hat, nicht unbedingt für andere Biofilme gilt. Jeder Biofilm ist anders. Kolter:

    Die Vielfalt der Bakterienwelt ist enorm. Man würde doch nie sagen: ein Tier und eine Pflanze sind das gleiche. Wir haben aber noch größere Unterschiede zwischen den verschiedenen Biofilmen gefunden. Eine Katze und ein Baum sind einander viel ähnlicher als zwei Biofilme es sein können.

    Die Methoden, mit denen wir Pflanzen und Tiere erforschen, können uns in Zukunft ebenso viele Informationen über Biofilme liefern, glaubt Roberto Kolter. Er selbst setzt vor allem auf die Genetik. An der Harvard Medical School hat er mit Mutationen von Bakterien schon die unterschiedlichsten Biofilme erzeugt. Jetzt arbeitet er daran, die Bedeutung der einzelnen Gene für die Entstehung und die Organisation von Biofilmen kennen zu lernen. Kolter:

    Einige Gene sorgen dafür, dass die Bakterien die Biofilm-Grundsubstanz bilden; andere geben den benachbarten Bakterien das Signal, sich zum Biofilm zusammenzutun. Alle diese Erbanlagen tragen dazu bei, dass ein Biofilm überhaupt gebildet werden kann und als Organismus funktioniert.

    Aus der Biofilmforschung als Randgebiet der Mikrobiologie ist ein stark wachsender Zweig der Forschung geworden. Und das ist auch notwendig, um die vielfältige Welt im Schleim kennen zu lernen und zu verstehen.