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"Vielleicht sollte man noch mal eine Diskussion um die Bildung anzetteln"

Manche Schüler glaubten offenbar, es habe nur den Nationalsozialismus, die DDR und das wiedervereinigte Deutschland gegeben, beklagt Klaus Schröder von der Freien Universität Berlin. Dass dazwischen wichtige Jahrzehnte liegen, sei ihnen offenbar nicht bekannt.

Klaus Schroeder im Gespräch mit Ulrike Burgwinkel | 08.11.2013
    Ulrike Burgwinkel Morgen ist der 9. November, ein historisch bedeutsames Datum in Deutschland. Aber das scheint vielen jungen Leuten gar nicht bewusst zu sein. Wir möchten deswegen jetzt in "Campus & Karriere" auf zwei Untersuchungen hinweisen, die Wissenschaftler am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität durchgeführt haben. Mit Konsequenzen! Professor Klaus Schroeder ist Politikwissenschaftler ebendort und hat die Studie geleitet. Guten Tag nach Berlin!

    Klaus Schroeder: Ja, schönen guten Tag!

    Burgwinkel: Herr Schroeder, zunächst noch einmal zu den Ergebnissen! Das Erschreckendste für mich, in aller Kürze: Schüler halten Demokratien und Diktaturen für gleichwertig! Wie kann so etwas passieren, Herr Schroeder?

    Schroeder: Das liegt daran, dass sie die Charakteristika einer Demokratie und einer Diktatur nicht kennen. Sie hören das Wort Demokratie, Diktatur, und wissen eigentlich gar nicht, was sie damit assoziieren, was sie damit verknüpfen können. Insofern sind die konkreten Fragen, die wir gestellt haben – war es überall rechtsstaatlich, in der DDR, im Nationalsozialismus, in der Bundesrepublik? Da sagt dann fast die Hälfte ja. Oder individuelle Selbstverantwortung, ganz viele Dinge, Garantie von Menschenrechten!

    Sie können sich das nicht vorstellen, sie wissen über hier und heute auch wenig, aber da wissen sie die Verhältnisse. Aber vergangene Zeiten, Nationalsozialismus, DDR, kennen sie nur ganz wenige herausragende Sachen. Über den Nationalsozialismus mehr als über die DDR, und über die alte Bundesrepublik wissen sie auch gar nichts. Bei manchen Schülern hatten wir den Eindruck, die haben gedacht, es gab den Nationalsozialismus, die DDR und dann kam das wiedervereinigte Deutschland. Dass dazwischen Jahrzehnte liegen, wo sich auch Demokratie, Sozialstaat und Marktwirtschaft entwickelt haben, in der alten Bundesrepublik, das ist ihnen überhaupt nicht bekannt.

    Burgwinkel: Muss man jetzt alle Schuld den Lehrern geben, weil ja Geschichtsunterricht das Einzige ist eigentlich, wo die Jugendlichen davon was mitbekommen sollten?

    Schroeder: Ja, sicherlich haben in einigen Schulen die Lehrer auch mit Schuld, dass sie die Zeitgeschichte nur wenig behandeln, und sicherlich gibt es auch viele Lehrer, die über Zeitgeschichte auch nicht sehr viel wissen, weil es an den Universitäten wenig unterrichtet wird. Sowohl im Fach Geschichte als auch im Fach Sozialkunde fällt die Zeitgeschichte etwas hinten über. Und dann kommt es eben, dass die Schüler in den Familien nicht viel erfahren, in den Medien auch nicht. Und deshalb sind sie im Grunde genommen, zeithistorisch betrachtet, blind.

    Burgwinkel: Aber da muss man irgendwie Abhilfe schaffen, oder?

    Schroeder: Ja, ich denke schon, dass man in den Schulen viel stärker die Zeitgeschichte behandeln sollte, damit sie ein Gefühl dafür bekommen, wo kommt diese Gesellschaft her, was ist erhaltenswert an dieser Gesellschaft. Dass man Freiheit und Demokratie wertschätzt, das ist es ja, worum es geht. Es geht ja nicht nur um das Vergangene, sondern es geht um das Hier und Heute. Und man kann nur Freiheit und Demokratie und auch Wohlstand, diese Attribute, die ja unser heutiges System kennzeichnen, wertschätzen, wenn man weiß, dass es auch andere Zeiten gab und geben kann.

    Burgwinkel: Ist es denn erforderlich, die Vermittler von Geschichtswissen, also die Multiplikatoren, besser auszubilden?

    Schroeder: Ja, an den Universitäten sollte die Zeitgeschichte einen höheren Stellenwert erhalten. Wir selber haben die Konsequenz aus der ersten Studie, die ja schon im Jahr 2008 niederschmetternde Resultate bezogen auf die DDR brachte, eine Konsequenz gezogen und haben an der Freien Universität einen Masterstudiengang, Politik und deutsche Nachkriegsgeschichte, gegründet, der jetzt im Januar in den siebten Durchgang geht. Hier haben wir ursprünglich versucht, nur Lehrer weiterzubilden. Die Resonanz war nicht überwältigend, wir haben deshalb den Teilnehmerkreis erweitert um Journalisten und politisch Interessierte, und seitdem ist der Studiengang sehr gut, es sind interessante Gespräche, die Teilnehmer erfahren viel. Es sind ja alle, die schon einen akademischen Abschluss haben, und ihnen selber wird noch mal bewusst, wie wenig sie eigentlich über die jüngste Vergangenheit wissen.

    Burgwinkel: Und dann müssen sie, wenn sie das erkannt haben, lernen, das Interesse zu wecken bei den Jugendlichen, was mitunter auch ein bisschen schwierig ist, meiner Erfahrung nach!

    Schroeder: Ja, wir haben deshalb zwei didaktische Module an jedem Wochenende dabei, wo mein Kollege Peter Massing unterrichtet, wie so ein Thema umgesetzt werden kann. Sei es in den Schulen, sei es in den Medien. Also, es brauchbar zu machen in der Vermittlung. Und das funktioniert bestens, das kommt auch gut an bei den Teilnehmern, dass wir diese Kombination von Fachwissen und didaktischem Wissen vermitteln.

    Burgwinkel: Dann wünsche ich Ihnen dabei sehr viel Erfolg, dass die nächsten Studien, die Sie durchführen, bessere Ergebnisse zeitigen!

    Schroeder: Wir hoffen es, aber wir sind nicht sehr optimistisch, denn alle Befragung, ja nicht nur im Fach Zeitgeschichte, Politik, Sozialkunde, auch die Deutschkenntnisse, die Mathekenntnisse … Vielleicht sollte man noch mal eine Diskussion um die Bildung anzetteln, was kann Bildung leisten, was kann Ausbildung in den Schulen leisten, nicht immer im gleichen Trott weitermachen. Ich glaube, so eine Diskussion ist überfällig.

    Burgwinkel: Eine Anregung vom Politologen Klaus Schroeder von der FU Berlin. Das Gespräch mit ihm hatte ich vor der Sendung aufgezeichnet. Und ein Nachtrag: Es sind übrigens noch zwei bis maximal drei Studienplätze frei im Weiterbildungsstudiengang.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.