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"Vielleicht war das ein erster Schritt"

Der Moraltheologe der Universität Freiburg, Eberhard Schockenhoff, äußert sich positiv zu dem von Papst Benedikt XVI. gelockerten Kondomverbot. Die Bemerkung habe zwar nicht das Gewicht einer lehramtlichen Stellungnahme. Die Katholische Kirche könne aber nicht hinter das Wort des Papstes zurückfallen.

Eberhard Schockenhoff im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.11.2010
    Friedbert Meurer: Was Papst Benedikt XVI. in einem Interview da zum Gebrauch von Kondomen gesagt hat, das war schon eine Überraschung. Letztes Jahr hat sich der Papst von dem deutschen Journalisten Peter Seewald besuchen lassen, befragen lassen in seiner Sommerresidenz in Italien, Castel Gandolfo, und eine Woche lang stand er dort täglich seinem Fragesteller Rede und Antwort, also Peter Seewald.

    "Es ist völlig klar und unmissverständlich, dass es hier immer auch darum geht, deutlich zu machen, wenn schon gewissermaßen - er hat salopp gesagt - ein Übel da ist, dass es auch dann besser ist, ein kleineres Übel zu wählen - es gibt im Katholischen ja diesen Gebrauch des kleineren Übels -, um schlimmere Folgen zu vermeiden."

    Meurer: Kondome als kleineres Übel. - Aus dieser Bemerkung und vielen anderen entstand ein Interview-Buch mit dem Titel "Licht der Welt"; heute wird dieses Interview-Buch mit Papst Benedikt in Rom vorgestellt. Die Überraschung war im Vorfeld groß. Vor einem Jahr hatte der Papst nämlich im Anflug auf Westafrika zum Thema Kondome noch etwas ganz anderes gesagt.

    "Man kann das Aids-Problem nicht durch die Verteilung von Kondomen regeln. Ihre Benutzung verschlimmert vielmehr das Problem."

    Meurer: Also das klang noch ganz anders vor einem Jahr. - Am Telefon begrüße ich Eberhard Schockenhoff, er ist Professor für Moraltheologie an der Universität Freiburg und übrigens auch Mitglied im Deutschen Ethikrat, der von Bundesregierung und Bundestag benannt wird. Guten Morgen, Herr Schockenhoff!

    Eberhard Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Stellt die Äußerung von Papst Benedikt eine Abkehr dessen dar, was wir bisher als die Sexualmoral der Katholischen Kirche bezeichnen?

    Schockenhoff: Eine private Interview-Äußerung des Papstes hat noch nicht das Gewicht einer lehramtlichen Stellungnahme, aber immerhin ist natürlich mit Blick auf die Person des Papstes die Trennung von privater Meinungsäußerung und lehramtlicher verbindlicher Weisung nicht so einfach durchzuführen. Man wird sagen können, dass die katholische Kirche in ihren lehramtlichen Äußerungen zur Sexualität nicht mehr hinter das zurückfallen kann, was der Papst privat gesagt hat.

    Meurer: Glauben Sie, es war Absicht, dass der Papst die Interview-Form genutzt hat, um da eine neue Botschaft zu transportieren?

    Schockenhoff: Ich denke, er wollte zunächst einmal die Missverständnisse beseitigen, die er durch seine unbedachte Äußerung im Vorfeld des letztjährigen Afrika-Besuches hervorgerufen hat. Das haben Sie ja in der Anmoderation erwähnt. Das wollte er klarstellen. Darüber hinausgehend glaube ich nicht, dass er eine weitergehende Intention verfolgte. Wenn er die Absicht hätte, die katholische Sexualmoral auf eine Grundlage zu stellen, wo ihre positiven Intentionen besser hervortreten, dann müsste er in einer großen Stellungnahme, in einer Enzyklika etwa, über die Gabe der menschlichen Sexualität und ihren Sinn sich äußern. Das wäre wünschenswert. Vielleicht war das ein erster Schritt, aber das wird die Zukunft zeigen.

    Meurer: Ein erster Schritt, der Papst spricht von Einzelfällen. Ist das definitiv etwas Neues? War bisher nach katholischer Lehrmeinung auch in Einzelfällen in jedem Fall die Benutzung von Kondomen verboten?

    Schockenhoff: Das Problem ist, dass viele in Rom die eigene Lehre und ihre Gründe nicht richtig interpretieren und nicht richtig verstehen. Es gab noch nie eine Lehrauffassung der Katholischen Kirche, dass Kondome in sich schlecht wären und in jedem Fall zu verurteilen wären. Was es gibt ist die Festlegung auf das Verbot der künstlichen Empfängnisregelung. Die gilt als in sich schlecht, unter keinen Umständen erlaubt. Das ist in der Sache problematisch, das ist klar, das wird auch in der katholischen Moraltheologie und in vielen Bereichen der katholischen Welt nicht verstanden, dieses Insistieren darauf. Aber man hat eben Kondome immer nur als ein Mittel der Empfängnisregelung gesehen und hat die Verbotsgründe für die Empfängnisregelung sozusagen automatisch auch auf die Kondome übertragen. Und nun ist durch die Aids-Problematik eben auch eine andere Verwendungsmöglichkeit der Kondome sichtbar geworden, dass sie auch dem Schutz vor einer Infektion dienen, und das ist eine ganz andere Bewertungsgrundlage. Hier steht ja nicht die Absicht im Raum, die Entstehung menschlichen Lebens zu verhindern, sondern hier geht es um einen medizinisch notwendigen Schutz vor einer Ansteckung, und das ist etwas grundlegend anderes.

    Meurer: Die Aids-Krankheit haben wir seit jetzt fast 30 Jahren. War es bisher - Sie sagen, es begann damit, dass Kondome als Empfängnis-Verhütungsmittel abgelehnt wurden -, war das bis zuletzt, bis zur Äußerung des Papstes auch als Prävention gegen Aids verboten nach katholischer Lehrmeinung?

    Schockenhoff: Dazu gab es keine offizielle Lehräußerung. Das war diskutiert. Viele Moraltheologen haben immer darauf hingewiesen, dass das ein ganz anderer Zusammenhang ist und dass man Kondome zum Zwecke der Verhinderung einer Aids-Ansteckung anders bewerten müsse. Selbst dann, wenn man das Verbot der künstlichen Empfängnisregelung für begründet hält, treffen diese Gründe für den anderen Fall nicht zu. Aber wie gesagt, das haben in Rom viele anders gesehen, aber es hat nie den Rang einer amtlichen definitiven Stellungnahme gehabt.

    Meurer: Wird die katholische Kirche Kondome jetzt erlauben in der Ehe, wenn einer der beiden Aids-infiziert ist?

    Schockenhoff: Das wäre an sich ja sozusagen erst recht zu erwarten, denn dabei geht es ja um etwas, dass man sich schützt in der Ehe, und auch nach katholischer Auffassung ist der Mensch ein sexuelles Wesen und der körperliche Vollzug der ehelichen Liebe in der sexuellen Begegnung gehört zum Wesen der Ehe. Deshalb ist das eigentlich nur naheliegend und es spricht für die Realitätsnähe des Papstes, dass er dies nun im Blick auf ein ganz anderes Problem, nämlich den flüchtig anonymen sexuellen Verkehr im Rahmen von Prostitution gesehen hat. Aber innerhalb der Ehe ist das ja ein moralisch ganz anders zu bewertendes Feld. Sexualität in der Ehe ist moralisch in höchstem Maße achtenswert. Da gibt es überhaupt keinen Grund, hier einem Paar, wo ein Partner sich vor einer Infektion schützen möchte, den Gebrauch von Kondomen zu verbieten.

    Meurer: Was sagt der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff darüber: Sind Kondome auch erlaubt, wenn es um Empfängnisverhütung geht?

    Schockenhoff: Ja, ich habe das ja gerade erläutert, dass es keinen Grund gibt, sie in dem einen Fall zum Zwecke der Prophylaxe zu einer Aids-Infektion zu erlauben und im anderen Fall nicht.

    Meurer: Warum tut sich die katholische Kirche so schwer damit, auch diesen weiteren Schritt noch zu gehen, nämlich Empfängnisverhütung zu akzeptieren?

    Schockenhoff: Die katholische Sexuallehre beruht auf zwei Grundprinzipien. Das ist einmal der Zusammenhang von Liebe und Sexualität. Das andere ist die grundsätzliche Weitergabe des Lebens, die gebunden ist an die Sexualität. Beides wird nun aber in dem Kontext einer Bewertung jedes einzelnen Aktes gestellt. Das ist das neuscholastische Erbe, das rührt also aus der Geschichte der Tradition her, dass man jeden einzelnen Akt moralisch bewertet und danach bewertet, ob er in der Lage ist, diese beiden Leitprinzipien der Sexualität, ihre Grundbestimmungen auch tatsächlich positiv zu realisieren. Deshalb gilt der willentliche Ausschluss einer möglichen Empfängnis als ein schweres Übel, das man unter keinen Umständen inkauf nehmen darf, und hier greift nun auch die Lehre von dem geringeren Übel nicht, das in der Anmoderation Herr Seewald erwähnt hat.

    Meurer: Und warum halten Sie persönlich das nicht für ein Übel?

    Schockenhoff: Ich bin der Auffassung, dass eine abstrakte Bewertung einer einzelnen Handlung eben tatsächlich nur abstrakt ist, dass eine Handlung immer auch Ausdruck einer Haltung ist, die eingebettet ist in eine bestimmte Lebensform und erst von dieser Lebensform her und als Ausdruck der Haltung eine Bestimmung eines konkreten Verhaltens möglich ist.

    Meurer: Eberhard Schockenhoff, Moraltheologe von der Universität Freiburg, zur jüngsten Äußerung von Papst Benedikt zum Gebrauch von Kondomen. Heute wird sein neues Buch "Licht der Welt" in Rom vorgestellt. Danke schön, Herr Schockenhoff, auf Wiederhören!

    Schockenhoff: Bitte schön, Herr Meurer. Auf Wiederhören!