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Vier Autoren und ein Amoklauf

"Call me God", nennen Sie mich Gott, schrieb der Serienmörder, der vor zehn Jahren in Washington wahllos Menschen erschoss. Auf einmal war er real, der in Kinofilmen und Medien zum Unterhaltungsstar avancierte Killertypus. Vier Autoren haben den Fall nun in einem gemeinsamen Theaterstück verarbeitet.

Von Sven Ricklefs | 17.11.2012
    Panik und Paranoia, Betroffenheit und Neu-Gier, in dieses Karee lässt sich die Reaktion einer Gesellschaft einspannen, aus deren Mitte heraus einer ebenso wahllos wie gezielt auf andere schießt. Dass der Serienkiller der ultimative Gruselheld unserer Tage ist, das zeigen nicht nur unzählige Fernsehserien und Filme, das zeigt auch immer wieder die Realität. Dabei kommt den modernen Medien eine ganz entscheidende Rolle zu: als unseren eigenen verlängerten Sinnesorganen und als Potenzierungsmaschinen für Reaktionen jeglicher Art.

    Das Stück "Call me God" des Autorenquartetts Marius von Mayenburg, Albert Ostermaier, Gian Mario Cervo und Rafael Spregelburd setzt sich mit dem Phänomen Serienkiller aus den verschiedensten Blickwinkeln heraus auseinander. Was das Stück dabei wagt, ist, sich gerade nicht in den Betroffenheitsmodus zu begeben und eben keine Kerze neben den Opfern aufzustellen. Im Gegenteil: im Münchner Marstall werden eher Witzfiguren aus ihrer heilen Mittelstandskitschwelt gerissen, dann spritzt noch einmal Blut an die Scheibe, die gleich schon wieder eifrig sauber gewischt wird, das war.

    "Mein Name ist James Martin, ich bin 55 Jahre alt, aktuell verlasse ich einen Supermarkt, bei dem ich für den Bibelkreis meines Sohnes Schokoriegel, Chips und Limo gekauft habe. Ich habe einen Kofferraum voller Schokoriegel und ein milder Wind geht …"

    Ja, so schnell kann’s gehen. Was zunächst zynisch klingt, löst aber auch die Frage aus, ob nicht auch wir als Gesellschaft, so mit den Opfern umgehen, denen wir zwar brav Kerzen an den Tatort stellen, uns dann aber schnellstmöglich wieder dem Täter zuwenden. Denn der ist natürlich viel interessanter, weil er sich, der heimliche Held, – indem er jegliche moralischen Prinzipien und Verabredungen ignoriert – die totale Freiheit genommen hat und die Herrschaft über Leben und Tod. Womit er sich letztlich in eine Gottähnlichkeit aufschwingt.

    "Call me God" ist aus vier unabhängig geschriebenen Texten entstanden, die einer der Autoren: Marius von Mayenburg zusammen mit der Dramaturgie des Münchner Residenztheaters zusammenmontiert hat. Zugleich ist von Mayenburg auch Regisseur dieser Uraufführung. Dabei scheint nicht mehr wirklich wichtig, welcher Text von welchem Autor stammt, wichtig ist, dass eine Art Kaleidoskop entstanden ist. Zugleich ermöglicht die Montage auch den schnellen Rhythmus dieser Uraufführungsinszenierung, die zwischen Fernsehstudios, Tatorten, CIA-Büros, Verhörzellen und Notaufnahmen hin und her switcht und ihre rasanten vier Darsteller in fast 50 Rollen zeigt. Wird da in einem Augenblick noch die Hinrichtung eines der Täter gezeigt, hält im nächsten schon ein Überlebender sein neues Buch in die Kamera, was da heißt: Im Fokus der Bestie, und im übernächsten Moment wird mal eben per Showeinlage ein Verdächtiger in Polizeigewahrsam verprügelt. Was das Stück nicht darin hindert, auch mal einen Lobgesang auf Amerika schlechthin anzustimmen:

    "Wir haben den Supermarkt erfunden, Radio und Telefon, Wachsmalkreide, den Gabelstapler, Kartoffelchips, Erdnussbutter, Klopapier, den elektrischen Stuhl, wir haben den Grand Canyon, wir haben Las Vegas, wir haben die schönsten Atomkraftwerke und wir haben den gottverdammten Mond, und wir haben keine Angst."

    "Wir haben keine Angst. Wir haben Recht", heißt es am Ende dieser Suada, und natürlich hat auch das Stück "Call me God" Recht, wenn es mit solchen Klischees die Anmaßung einer gerade im Sinkflug befindlichen ehemaligen Supermacht zeigen will. Dass man trotzdem im Laufe der Zeit das Interesse an dem Stück und seinem Sujet zu verlieren beginnt, liegt aber vielleicht gerade daran, dass es sich eben zu oft dieser Klischees bedient, bewusst zwar, aber in der Häufung nutzen sich sexy Agentinnen, tumbe Polizisten, erbarmungswürdige Bürger und coole FBIler irgendwann ab. Und so haben das Stück und ihre Uraufführungsinszenierung zwar durchaus ihre Reize, sind über weite Strecken vielleicht sogar well made, aber eben noch nicht well done.