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Vier Bücher zu 200 Jahren Fahrrad
Drahtesel-Literatur

Wirre Ratgeber, technikhistorische Fachsimpeleien und ein Fahrradroman - zum 200. Geburtstag des Zweirads haben die Verlage einige Bücher auf den Markt gebracht. Vier davon im Test.

Von Carolin Courts | 12.06.2017
    Vier Buchcover von Fahrrad-Jubiläumsbüchern
    Neues Buchgenre im Jahr 2017: Fahrrad-Jubiläumsbuch (Klöpfer&Meyer Verlag/Klett-Cotta Verlag/Schwarzkopf&Schwarzkopf Verlag/Piper Verlag)
    Auf den Tag genau vor 200 Jahren, am 12. Juni 1817, hat Karl von Drais der staunenden Öffentlichkeit seine sogenannte "Laufmaschine" vorgestellt. Auch im Literaturbetrieb wird seine Erfindung gefeiert. In diesem Fahrradsommer trumpft die deutsche Buchbranche geradezu mit einem neuen Genre auf: dem Fahrrad-Jubiläumsbuch. Wie lesenswert sind diese Neuerscheinungen? Hier eine Auswahl:
    Erfindung des Fahrrads als Roman
    Johannes Schweikle: Die abenteuerliche Fahrt des Herrn von Drais. Eine Romanbiographie. Verlag Klöpfer und Meyer, 200 Seiten, 20 Euro, ist eine stark tatsachengestützte Gedankenspielerei des Verfassers, Johannes Schweikle. Aus der Perspektive eines Zeitgenossen wird die Geschichte des ersten Fahrrads erzählt. Der Zeitgenosse nennt sich Fritz und schreibt aus der Ich-Perspektive, aber der eigentliche Star ist völlig unmissverständlich der Erfinder des Ur-Fahrrads, also jener badische Forst-Beamte und Allerwelts-Adelige namens Karl von Drais, der seine Umwelt mit der Anmaßung frappiert hat, den Menschen ganz ohne die Hilfe von Pferden um ein Vielfaches schneller zu machen. Das liest sich wunderbar schnurrig, fast möchte man vergessen, dass hier hauptsächlich historisch belegte Wahrheit transportiert wird:
    "Der Fremde an der Tür sah aus wie eine Witzfigur: dicker Kopf mit Pudelaugen, die nicht wussten, wohin sie gucken sollen. Er trug eine Uniform mit goldener Stickerei. Holte eine Skizze aus seiner Mappe und fragte, ob der Herr Hofwagner solch eine Maschine bauen könne. "Das ist ein Reitsitz auf Rädern. Gleichermaßen geeignet für Eilstafetten und weite Reisen. Mit dieser Erfindung kommt der Mensch voran, ohne die Last des eigenen Gewichts tragen zu müssen." Sogar der Geselle war skeptisch. Gleich am Montagmorgen zeigte der Meister ihm die Zeichnung und die Zahlen. Der Geselle schüttelte den Kopf: "Dieses Ding ist zum Kippen verurteilt." – "Freilich", sagte der Meister, "wer dieses Holzpferd reitet, dem ist der Sturz gewiss. Aber willst du lieber Schubkarren bauen? Außerdem hat der Freiherr eine Anzahlung geleistet."
    In diesem Ton erzählt Johannes Schweikle die teilweise vergnügliche, teilweise auch fast tragische Geschichte des Karl von Drais. Am Ende wird es dann sogar ein bisschen rührend.
    Lohnt die Lektüre – und wenn ja, für wen? Durchaus. Die Romanbiographie lässt ein historisches Panorama entstehen, aus dem sowohl der Erfinder selbst als auch sein weltverändernder Einfall plausibel und plastisch herausleuchten. Das richtige Buch für Leser, die eine Vorstellung von dem ein Gefühl für den Mann entwickeln wollen, dem die Welt das Veloziped verdankt.
    Kleinteilige Faktensammlung
    Hans-Erhard Lessing: Das Fahrrad. Eine Kulturgeschichte. Verlag Klett-Cotta, 250 Seiten, 20 Euro, enthält vor allem viele, viele Fakten, durchaus auch schwierige und kleinteilige. "Hans-Erhard Lessing ist Physiker, Technikhistoriker und einer der weltweit führenden Fahrradspezialisten." So steht es in der Klappe im Klappentext zur der "Kulturgeschichte des Fahrrads. Und tatsächlich, alles das vermittelt sich. Manchmal für den Laien etwas zu sehr beflissen. Beispiel 1, Lessing, der Technikhistoriker:
    "Wie man dazu kam, am Vorderrad eines Zweirads Pedalkurbeln anzubringen, ist immer noch die am hitzigsten diskutierte Frage in der Fahrradgeschichtsschreibung und wird die Internationale Fahrradgeschichts-Konferenz (ICHC) noch lange beschäftigen. Die Forschung tappt hier ziemlich im Dunkeln, und es bleibt zu hoffen, dass durch die derzeitige Digitalisierung historischer Zeitungen mehr Nachrichten über Velozipede vor 1866 ans Tageslicht kommen."
    Beispiel 2, Lessing, der Physiker: "Druckbelastete Speichen müssen massiv und dick sein, weil sie das seitliche Ausknicken verhindern müssen. Zugbelastete Speichen brauchen das nicht und können aus Stahl dünn wie Draht sein. Der Elsässer Eugène Meyer erkannte, dass man auch die Felge besonders leicht machen kann, da ihr die Zugspeichen strukturelle Stabilität verleihen. Das Drahtspeichenrad ist fürwahr eine Basisinnovation."
    Da dürfte es den Einen oder die Andere aus der Kurve hauen. Gleichzeitig steckt das Buch aber auch voller überraschender Einsichten und Erklärungen, die das Fahrrad in seiner komplexen, über viele Länder verteilten Entstehungsgeschichte umkränzen. Zum Beispiel erfährt der Leser, wieso es ein Vulkanausbruch in Indonesien war, der der menschlichen Mobilität einen Schub verpasst hat...
    Lohnt die Lektüre – und wenn ja, für wen? Sie lohnt sich für den, der es wirklich ganz genau wissen will. Jemand, der nur einen allgemeinen Überblick sucht oder vor allem unterhalten werden möchte, ist hier eher fehl am Platz falsch. Dutzende Jahreszahlen, etliche Namen, die detaillierte Entwicklung der Maschine, Rückschläge, Durchbrüche – das alles beginnt vor den Augen des Uneingeweihten alsbald zu wirbeln. Wer aber Fahrrad-Aficionado und Freund von echtem Spezialwissen ist, wird "Das Fahrrad – eine Kulturgeschichte" – trotz seines recht spröden Sounds – zu schätzen wissen.
    Wirrer Ratgeber
    Juliane Schumacher: How to survive als Radfahrer. Wie man auf dem Fahrrad in der Stadt überlebt. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, 250 Seiten, 9,99 Euro. Was steht drin? Wenn man das wüsste. Gemeint ist das Buch wahrscheinlich als Ratgeber, was schon aus dem – sinnloserweise – zweisprachigen Titel hervorgeht. Nun ist aber die Verfasserin, geboren 1987 in Berlin und offenkundig auch sehr schwerpunktmäßig dort unterwegs – keine so begnadete Ratgeberin. Nicht auszuschließen, dass sie vor allem deshalb als Autorin verpflichtet worden ist, weil sie einen Fahrrad-affinen Internet-Blog betreibt und der Verlag sich damit neue Käuferkreise erschließen wollte. Dem Blog-skeptischen Publikum indessen wird hier ein Werk an die Hand gegeben, das viel geschwätzige Nabelschau und sehr wenig Neues enthält. Schon der Auftakt ist schwerfällig, Juliane Schumacher lässt den Leser an der Geburt der unerhörten Entscheidung teilhaben, sich ein neues Fahrrad zu kaufen:
    "Knack! – Knack! – Knack! Schöne Grüße vom Tretlager. Ich versuchte, das Geräusch zu ignorieren, das bei jedem Tritt in die Pedalen deutlich zu hören war und radelte bis zur nächsten Kreuzung weiter, wo ich anhalten musste. Als die Ampel auf Grün sprang und ich losfuhr, wollte ich den Gang an meinem Rad wechseln und gab dem Drehschalter einen Schub. Nichts passierte. Wirklich gar nichts."
    Viel interessanter wird es leider nicht. Zwar ist das Bemühen spürbar, das Buch mit nutzwertigen Informationen zu füllen – aber die Verfasserin disqualifiziert sich immer wieder selbst. Als Beleg zwei kurze Beispiele. Das Kapitel drei Punkt acht ist überschrieben mit "Wie man sich auf dem Fahrrad schützen kann – oder auch nicht". Und Kapitel 4.4, "Wie man vom Alltagsradler zum Sportler wird", beginnt allen Ernstes so: Ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht so genau. Ich bin mir sogar recht sicher, dass ich da der völlig falsche Ansprechpartner bin, weil ich, wie gesagt, noch nie ein besonderer Sportfreak war.
    Da fragt man sich schon, wer eigentlich das Inhaltsverzeichnis verantwortet hat. Auch die Frage nach einem Lektor drängt sich angesichts von Grammatikfehlern und diversen Längen auf.
    Lohnt die Lektüre – und wenn ja, für wen? Kurz gesagt, sie lohnt sich nicht. Es sei denn, man möchte doch noch einmal lesen, dass es im Sommer auf dem Fahrrad besser ist leichte Kleidung zu tragen und im Winter sich warm anzuziehen. Wobei das ja hiermit auch schon verraten ist.
    Schwärmereien eines Sportjunkies
    Sebastian Herrmann: Gebrauchsanweisung fürs Fahrradfahren. Verlag Piper, 216 Seiten, 15 Euro, ist tatsächlich eher keine Gebrauchsanweisung fürs Fahrradfahren. Zumindest nicht für das ganz normale Fahrradfahren. Sebastian Herrmann ist selbsterklärter "ambitionierter Hobbyrennradler" und fremd-diagnostizierter Sport-Junkie. Mit anderen Worten: Er interessiert sich ausschließlich für Rennräder und sehr überwiegend für Langstreckenfahrten in der Natur. Das Titelbild seines Buches zeigt derweil einen städtischen Bodenbelag mit gelbem Pfeil und gelber Fahrradmarkierung, woraus der naive Betrachter den Fehlschluss ziehen könnte, in dem Buch ginge es um nettes, urbanes Feierabendfahren. Stattdessen geht es sehr viel um Berge und Schmerzen, sehr viel um Sebastian Herrmanns ganz persönliche Erlebnisse auf dem Rennrad und ziemlich viel um das Fahrrad als Prestige- und Lustobjekt. Immerhin: Einen in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung geschulten Schreibstil und eine grundsätzlich sympathische Selbstironie bietet der Verfasser auch…
    "Radfahrer pendeln gerne zwischen Größenwahn und Selbstmitleid. Bei einer langen Fahrt durch Regen und Kälte mit zähen Anstiegen ergeht sich der Radfahrer in Selbstmitleid auf allerhöchstem Niveau – bis er sein Ziel erreicht hat. Dann wechselt sein Empfinden geschmeidig wie ein Gang einer perfekt eingestellten Schaltung in den Größenwahn-Modus. Und wie jeder weiß, braucht ein von seiner eigenen Leistung besoffener Mensch Publikum. '196 Kilometer bin ich gefahren, knapp 2000 Höhenmeter, und es hat fast die ganze Zeit geregnet', gibt der Radler dann zu Hause von sich und hofft auf Applaus. 'Echt', erwidert der radsportgelangweilte Partner und sagt weiter: 'Wir brauchen noch Brot. Und kannst du nachher Getränke holen, wenn du geduscht hast?'"
    Ein paar Informationen aus der Geschichte und zur Fahrradtechnik enthält das Buch ebenfalls, aber eher auf Alibi-Niveau.
    Lohnt die Lektüre – und wenn ja, für wen? Jein. Der unbedarfte City-Radler und maximal mittelfitte Holland-Rad-Fan wird sich kaum mit den hier immer wieder geschilderten Gewalt-Strecken und ihren schmerzhaften Folgen identifizieren können. Aber derjenige, der heimlich schon lange auf den letzten Schubser wartet, um endlich ein Rennrad zu kaufen und darauf in den Sonnenuntergang zu reiten, dürfte sich von dieser "Gebrauchsanweisung" vermutlich schon anzünden lassen. Geschwärmt wird nämlich wirkungsmächtig in diesem Buch. Und das hat es mit den anderen dreien gemeinsam: Sollte noch jemand Zweifel daran gehabt haben, dass das Fahrrad eine der ganz großen Erfindungen der Menschheitsgeschichte war, sollten diese nach gehabter Lektüre definitiv ausgeräumt sein.
    Die Bücher
    Johannes Schweikle: Die abenteuerliche Fahrt des Herrn von Drais. Eine Romanbiografie. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen
    Hans-Erhard Lessing: "Das Fahrrad. Eine Kulturgeschichte." Verlag Klett-Cotta, Stuttgart
    Juliane Schumacher: How to survive als Radfahrer. Wie man auf dem Fahrrad in der Stadt überlebt. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin
    Sebastian Herrmann: Gebrauchsanweisung fürs Fahrradfahren. Piper Verlag, München