Freitag, 29. März 2024

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Völkerschlacht bei Leipzig
Vier Tage im Oktober

Die Völkerschlacht von Leipzig war eine der größten militärischen Auseinandersetzungen der deutschen Geschichte und hat Europa für immer geprägt. Die Geschehnisse jähren sich dieses Jahr zum 200. Mal. Mit Nachstellungen und Ausstellungen wird im Leipziger Land der Schlacht gedacht.

Von Paul Stänner | 16.10.2013
    Ein Gemälde zeigt Kampfgeschehen bei der Völkerschlacht von Leipzig.
    "Der Angriff des Brandenburgischen Husaren-Regiments von Zie Befreiungskriege 1813-15". Farblithografie aus dem Jahr 1899 von R. Knötel. (picture alliance / akg-images)
    "Ich mag das eigentlich immer, diese Orte aufzusuchen, wo wirklich Geschichte stattfand, wo man ganz authentisch noch nachvollziehen kann, wie ging’s unseren Altvorderen damals, als sie so ein Riesenfeld vor sich sahen und im Vorfeld vielleicht noch gar keiner ahnte, was sich hier in den nächsten Stunden zutragen wird."

    Wir stehen auf einem weiten Feld bei Liebertwolkwitz, einem kleinen Ort in der Nähe von Leipzig. Rainer Krumrey ist Stadtkonservator in Leipzig und mit den Gegebenheiten bestens vertraut. Auf dem freien, flachen Acker sind wir als Flaneure fast markante Erhebungen, weit hinten am Horizont ist die A 38 zu sehen, rechts von uns eine Umgehungsstraße. Ansonsten nur abgemähte Felder und ein tief hängender Himmel wie im Oktober 1813. Seinerzeit hatte es tagelang geregnet, der Boden ist wohl noch schwerer gewesen als heute.

    "Man trifft hier am 14. Oktober aufeinander, man muss sich vorstellen, es sind nahezu 400.000 Soldaten am Anfang, am Ende der Schlacht werden es 500.000 sein, die Gegenseite weiß von Napoleons Absichten überhaupt nichts. Man ist sehr unsicher, man weiß nicht, wo seine Truppen stehen und so entschließt man sich am 14. Oktober so ein kleines Aufklärungsgefecht herbeizuführen, um mal zu schauen, wie reagiert die französische Seite, wie reagiert Napoleon darauf, wird er zurückweichen, wie wird sich der Schlachtverlauf entwickeln und aus diesem kleinen Aufklärungsgefecht beginnend am 14. Oktober in den Morgenstunden, entwickelt sich dann eine immer größer werdende Schlacht, letztendlich mit über 14.000 Reitern,die sich hier zuträgt am 14., zwei Tage vor Ausbruch der eigentlichen Völkerschlacht."

    Napoleon ist klar, dass er sich nur an der Macht halten kann, wenn er als Sieger hervorgeht und durch Eroberungen glänzen kann. Er braucht den Krieg. Mit seinem Versuch, auch Russland zu unterwerfen, um Frankreich endgültig zur Weltmacht aufsteigen zu lassen, hat er seine Möglichkeiten überfordert.

    Musik: De la Révolution à lÈmpire
    Komponist: Paisiello, Marche Du Premier Consul
    Orchestre De la Société des Concerts du conservatoire
    Dirigent: Georges Tzipine
    EMI Studio 1988 CDM 76 98 30 2


    Nach seiner Niederlage in Moskau macht Napoleon im Dezember 1812 Station in Dresden und nimmt den sächsischen König erneut als Bündnispartner in die Pflicht. Ebenfalls im Dezember verabredet der preußische General York in der Konvention von Tauroggen eigenmächtig mit Russland, dass er seine Truppen nicht auf Napoleons Seite gegen Russland kämpfen lassen wird. Dieser Verrat an den Anweisungen seines Königs Friedrich Wilhelm III. wird als Fanal verstanden - Napoleon kann nicht mehr widerspruchslos über seine Vertragspartner herrschen. Der russische Zar Alexander I. verfolgt die napoleonischen Truppen, die aus seinem Land fliehen. Österreich stellt sich an Russlands Seite. Mit den Schweden schließt der Zar ebenfalls ein Abkommen, das sie in den Kampf gegen Napoleon einbezieht.

    "Kriegsgott" Napoleon
    Der preußische König Friedrich Wilhelm III., der ein ewig unentschlossener und zögerlicher Monarch ist, wird durch die Stimmung in seinem Land genötigt, sich den Verbündeten anzuschließen. 1813 beginnt mit einigen Schlachten, die kein endgültiges Ergebnis bringen. Ein Waffenstillstand, der Mitte August ausläuft, wird von beiden Lagern genutzt, ihre Armeen auf den bestmöglichen Stand zu bringen. Die Verbündeten können drei große Heere aufstellen, die sich aus östlicher Richtung nähern. Der Kriegsgott, wie der preußische Militärreformer August Neidhardt von Gneisenau Napoleon nannte, versucht wie so oft, die Heere getrennt und dann jeweils mit einer Übermacht zu schlagen, was ihm diesmal aber nicht gelingt.

    Im Oktober 1813 treffen nach und nach die Heere in der Umgebung von Leipzig ein. 600.000 Soldaten marschieren auf die Stadt zu.

    "Hier in diesem weiten Feld, damals genau so weit und nicht bebaut wie heute, wie gemacht dafür, dass dann auch zwei Tage später hier auf dem südlichen Schlachtfeld auch die eigentliche Hauptschlacht ausgetragen wird. Ein Ort also von doppelter historischer Bedeutung im Grunde genommen."

    Am Sonnabend, den 16. Oktober stehen sich ab 8 Uhr morgens die Truppen gegenüber. In vielen Einzelgefechten und Schlachten wird der Kampf in den kommenden Tagen rund um Leipzig geschlagen werden. Eine besonders unglückliche Figur macht der sächsische König, der fest zu Napoleon hält, als sein Land verwüstet wird und auch dann noch, als am 18. Oktober die sächsischen Truppen zur Koalition überlaufen. Seine Rechnung ist nicht aufgegangen. Eine private Spekulation hatte auch Kronprinz Karl Johann Bernadotte aufgemacht: Er war einst Marschall unter Napoleon gewesen, hatte sich mit ihm überworfen und war dann vom schwedischen Königshaus als Kronprinz adoptiert worden. Er spekulierte auf den schwedischen Thron, und dazu wäre ein wenig Ruhm auf dem Schlachtfeld sicherlich hilfreich gewesen. Andererseits machte sich Bernadotte auch Hoffnungen auf die Nachfolge Napoleons, weshalb er die französischen Truppen nicht allzu sehr bedrängen wollte. Er zog es vor, etwas abseits im Gelände zu manövrieren, bis er ultimativ aufgefordert wurde, in die Schlacht einzugreifen.

    Im Bann der großen Geschichte
    Während der Sonntag fast ohne Gefechte verläuft, wird am Montag, dem 18. Oktober, die Entscheidung erstritten. Die Übermacht der Alliierten ist erdrückend, gegen 19 Uhr befiehlt Napoleon ungefähr dort, wo heute das Völkerschlachtdenkmal steht, den Rückzug. Am kommenden Tag wird Leipzig erobert, gegen 13 Uhr reiten die verbündeten Herrscher in die Stadt ein. Den sächsischen König, der immer noch auf Napoleons Lohnliste steht, würdigen sie keines Blickes.

    Zum 200. Jahrestag der großen Schlacht wurde nun noch einmal groß aufgerüstet. Es gilt zum einen, sich heute der Völkerschlacht von 1813 zu erinnern, zum anderen aber auch das erste große Gedenken kritisch zu würdigen, das 1913 mit der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals stattfand. Das Denkmal selbst, das Museum Grassi, das Stadtmuseum, das Panometer - überall in der Region wird das europäische Großereignis in diesen Tagen thematisiert. Kleinere Gedenkvereine in und um Leipzig organisieren eigene Veranstaltungen als Reenactment, einer groß angelegten Nachstellung der Schlacht, zu der Tausende Darsteller erwartet werden. Leipzig steht im Bann der großen Geschichte.

    "In wenigen Sekunden erreichen wir den äußeren Rundgang in 57 Metern Höhe."

    Im Inneren des Völkerschlachtdenkmals werden die letzten Arbeiten verrichtet. Glaswände werden montiert, Licht wird installiert. Der Aufzug arbeitet schon länger und ist erprobt. Historiker Steffen Poser ist der Leiter des Völkerschlachtdenkmals. Wir stehen auf dem äußeren Rundgang und blicken hinaus.

    "Na ja gut, für das platte Leipziger Land sind 91 Meter, die das Bauwerk sich über das Straßenniveau erhebt, schon eine ganze Menge, das heißt, man hat von der Aussichtsplattform tatsächlich Blick bis zum Horizont, es ist natürlich schon ein Ausdruck einer gewissen geballten Kraft, die da so in Anspannung auf dem Hügel hockt, die man so damit ausdrücken wollte - also es hat wenig Schlankes-Elegantes an sich."

    Vor uns in der flachen Leipziger Ebene wuchern dichte Wälder, die von einer schnurgeraden Straße durchschnitten werden. Was hätte man 1813 von dieser perfekten Warte aus gesehen?

    Das Völkerschlachtdenkmal von 1913, noch heute ein Wallfahrtsort deutscher Nationalisten
    Das Völkerschlachtdenkmal von 1913, noch heute ein Wallfahrtsort deutscher Nationalisten (dpa / picture alliance / Waltraud Grubitzsch)
    Im Inneren des Denkmals
    "Noch mehr Wald, noch viel mehr Wald, wir hätten zur Linken ein kleines Dorf gesehen, was heute Leipziger Stadtteil ist, wir hätten gesehen, dass dieses Dorf sehr stark befestigt ist, dass sich jede Menge Soldaten darin befinden, und wenn wir gefragt hätten, warum ist das so, dann hätten wir diese Straße gesehen, die heute auch existiert, es ist die ausgebaute Straße von Grimma nach Leipzig also sozusagen der direkte Zugang zur Stadt und entsprechend heiß umkämpft war dieser Zugang zur Stadt. Napoleon selbst hat die Verteidigung dieses Dorfes letztendlich erfolgreich am 18. Oktober geleitet und wer jetzt fragt warum, wenn man sich das anschaut, es ist alles voller Bäume, wir sind in der Leipziger Tiefebene, die bekanntermaßen ohnehin ein sumpfiges Gebiet ist, deshalb war man eben auf befestigte Straßen angewiesen, um tatsächlich einigermaßen sicher auch mehrere Tausend Menschen rasch zu bewegen."

    "Wir hoffen, Sie haben die faszinierende Aussicht genossen. In der Ausstellung Forum 1813 am Fuße des Denkmals machen wir Sie gerne mit der Ära Napoleons vertraut."

    Wir gehen in das Innere des Gebäudes. Von einem Umgang blicken wir auf vier monströse Steinfiguren.

    "Ganz exakt stehen wir jetzt in der sogenannten Ruhmeshalle. Das Völkerschlachtdenkmal ist ja so ein Ort, wo man vor einhundert Jahren versuchte, die Frage beantwortet zu bekommen, wer sind wir als deutsche Nation? Und die Ruhmeshalle ist dieser Frage ganz explizit gewidmet. Wir haben hier vier fast zehn Meter hohe Kolossalfiguren sitzen, die typisch deutsche Charaktereigenschaften symbolisieren sollen, wir haben hier die Tapferkeit, die Glaubensstärke, die Zuversicht, die Volkskraft und die Opferfreudigkeit, die Bereitschaft, Opfer für die Nation zu bringen, was natürlich auch zugleich ein Grundanliegen dieses Völkerschlachtdenkmals war, also diese Bereitschaft, in der Nation als Individuum in der Masse aufzugehen, zu fördern."

    Anno 1913 liegt in Paris Napoleon im Invalidendom begraben, in Leipzig wird versucht, dieses Monument einerseits zu kopieren und andererseits nordisch zu übertrumpfen. Deutschland hatte in den Jahrzehnten davor in einer politisch prekären Situation zu den konkurrierenden europäischen Großmächten gestanden. Daher erschien ein Monument, das an den Befreiungskampf gegen Napoleon erinnerte, als ein Nationalbestreben von großem pädagogischem Wert. Es wurde gesammelt, es wurde gespendet, es wurde gebaut.

    Reenactment auf historischem Grund
    "Wir können über das Feld gehen, das müsste ja relativ trocken sein…"

    Am Rande von Leipzig: in der Weinteichsenke bei Markkleeberg. Wieder liegt ein weites Feld vor uns. Michél Kothe ist gelernter Journalist, er berät Museen und führt Touristen durch Leipzig. Am Feldrand steht er als Vorsitzender des Verbandes Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813 e.V.. Der Verband richtet das Reenactment der Völkerschlacht aus.

    "Hier war auch vor 200 Jahren Gefechtsgebiet, hinter uns liegt das alte Dorf Wachau, was am 16. Oktober 1813 im Zentrum der Schlacht stand, deswegen heißt auch die Schlacht im Süden von Leipzig Schlacht bei Wachau innerhalb der Völkerschlacht bei Leipzig und dieses Feld ist eben vollkommen historisch."

    Das zum Jubiläum geplante Schauspiel auf historischem Grund wird das Geschehen der vier Tage von Leipzig, in dem es eine Vielzahl von Gefechten gab, auf einen Ort und eine dreistündige Darstellung reduzieren. Das Szenario muss also die Handlung raffen und die Ereignisse zusammenlegen oder streichen - nur eines ist klar: Der Ausgang steht fest.

    "Links vor uns dieses Wäldchen, dahinter ist das französische Feldlazarett beispielsweise, auch das wird dargestellt, da hinten werden die Verletzen versorgt, und rechts von uns würden die Verbündeten angreifen, wie es auch damals war, von der Richtung her stimmt das, rechts von uns würden die Verbündeten angreifen, links von uns werden die Franzosen aufgestellt."

    Von einer Tribüne aus werden die Zuschauer die Abfolge der Kavallerieangriffe, Infanterieaufmärsche und Kanonenduelle sehen. Über 6000 Akteure werden auftreten. Das ist selbst schon wieder eine historische Zahl, weil so viele Darsteller und Statisten bei noch keinem Event zusammengekommen sind, nicht einmal bei der Nachinszenierung der Schlacht von Waterloo.

    "Wo wir jetzt gerade hier auf diesem Teil stehen, wird das Zentrum des Gefechtes sein in der Nachstellung und wird es dann gehen um den Übergang über diesen kleinen Graben, der dann letztendlich sozusagen auch die Brückensprengung am 19.Oktober simulieren wird, den Rückzug der Franzosen."

    Gedenkminute für die Gefallenen
    Gemeint ist jene fatale, viel zu früh erfolgte Sprengung der Elsterbrücke im Stadtgebiet von Leipzig, die Kaiser Napoleon auf dem Rückzug vor Verfolgern schützen sollte, aber Tausenden seiner Soldaten die Flucht unmöglich machte. Fast 2000 von ihnen ertranken, als sie in Panik versuchten, die angeschwollene Elster zu durchqueren. Für das Ende des Tages, wenn die Schlacht geschlagen ist, sieht das Szenario eine Gedenkminute für die Gefallenen der historischen Schlacht vor, und dann die große Versöhnungsfeier im Biwaklager.

    Dass auf dem originalen Schlachtfeld, wo Tausende gefallen sind, das blutige Geschehen in einer bunten Maskerade nachgestellt wird, kann durchaus Bedenken auslösen. Andererseits - jedes Museum bemüht sich, Geschichte erlebbar zu machen, um dem Besucher eine sinnliche Erfahrung der Vergangenheit zu ermöglichen. Und das unmittelbare Erleben von Kanonenlärm und Pulverdampf einer Schlachtinszenierung kann durchaus ergreifend wirken, sagt Michél Kothe.

    "Wenn sie in so einer Formation sich bewegen und dann kommt plötzlich eine Reitereinheit, die sie angreift von zwohundert Reitern vielleicht auf sie zu, dann haben Sie schon das mulmige Gefühl von damals, wo einem dann schon sehr bewusst wird, dass diese Schlachten verlustreich waren und weil man man selber im Feuer steht und merkt: Oh, bei der Salve hättest Du jetzt keine Chance gehabt."

    Wenn man will, kann man auch diese Nachstellung zu den vielen künstlerischen Versuchen rechnen, die das Gedenken an die Völkerschlacht wach halten wollen - so wie das Völkerschlachtdenkmal mit seiner vaterländischen Kraftmeierei, so wie die nahezu hundert Gedenksteine rund um Leipzig, die den Details der großen Schlacht und dem Gedenken an einzelne Truppenteile gewidmet sind.

    360-Grad-Panorama: Leipzig als Krisengebiet
    Am südlichen Stadtrand von Leipzig steht ein ausgedienter Gasometer. Der Besucher wird im Inneren um ein deckenhohes Gerüst geführt. Noch kann er nicht sehen, was sich dahinter verbirgt. Im Rundgang um das Gerüst wird ihm in einer künstlerischen Installation die Messe- und Bücherstadt Leipzig vorgeführt, die heile, die unversehrte Stadt. Dann betritt er den Rundbau im Rondell des Gasometers. Er ist umgeben von einer 360-Grad-Ansicht der Stadt als Kriegsgebiet - im Maßstab 1:1.

    "Es ist der 19., es ist eigentlich, wenn man genau hinschaut, die Flucht Napoleons und sie müssen sich vorstellen, ich beschreibe den unheroischsten Augenblick von Napoleon. Er flüchtet wie alle anderen, er haut einfach ab."

    Yadegar Asisi, ein agiler Endfünfziger, studierte Architektur und Malerei und hat sich seit der Mitte der 90er-Jahre spezialisiert auf große Panoramen, unter anderem über Rom im Jahr 312 oder die Berliner Mauer. Für das Leipzig-Panorama wurden Szenen zwischen den Schlachten nachgestellt: Napoleon ist gegen 11 Uhr aus Leipzig geflohen, in wenigen Stunden, gegen 13 Uhr, werden Zar Alexander, Kaiser Franz I. und der preußische König Friedrich Wilhelm III, auf dem Marktplatz eintreffen. Die einzelnen Szenen wurden für das Panorama mit Requisiten und Kostümen inszeniert, fotografiert und dann elektronisch in das Großbild eingearbeitet: Offiziere in prächtigen Uniformen versuchen vom Kirchturm aus, sich ein Bild von der Situation zu verschaffen, die Gassen sind verstopft von Fliehenden, Leichen werden in Gruben geworfen, die Ladefläche eines Karrens ist getränkt vom Blut der Verwundeten, die hier operiert wurden.

    "Aber das Wichtigste für mich ist eben, die Bürger zu zeigen, diese Menschen, die flüchten, einfach nur noch weg, weg weg weg! Ich will nicht mehr hier sein und dann die Frage stellen, was hab ich eigentlich hier gewollt, wer hat mich eigentlich dazu getrieben, hier zu sein."

    Das historische Ereignis nachspüren
    Der Zuschauer auf dem Gerüst im Panometer blickt in den zerschossenen Dachstuhl eines Leipziger Hauses. Dort sitzt ein Mann mit Stift und Zeichenblock und skizziert das Geschehen, das unten auf der Straße abläuft. Der Zeichner heißt Christian Gottfried Heinrich Geißler und ist eine historische Figur. Yadegar Asisi selbst hat sich in dieser Rolle fotografieren lassen, gleichsam als Gruß über die Jahrhunderte an einen Berufskollegen.

    "Das ist der Geißler, aber in diesem Fall bin ich`s. Ich finde den Geißler schon eine tolle Figur ja, das ist wirklich der Dokumentarist der Zeit und es gibt eben einen Augenzeugenbericht, dass Geißler sich Matratzen umgebunden hat und in den Fenstern gesessen hat und gezeichnet hat, mit den Matratzen sich geschützt hat, dass die Kugeln ihn nicht treffen. Und da hab ich gesagt, diese Szene stellen wir nach und dann hab ich einen ausgebrannten Dachstuhl genommen und gesagt, da steh ich dann drinne und hab mir dann 'n paar Matratzen umgebunden und das Bild, das ich zeichne, die Situation hab ich wirklich gezeichnet, wenn man in den Thomaskirchhof guckt. Wenn man also mit Fernglas rangeht, wird die Zeichnung, die darauf ist, die Zeichnung sein, die er hätte gemacht haben müssen, wenn er an der Stelle gestanden hätte."

    Auch dies kann man verstehen als ein Reenactment, als eine Art, dem historischen Ereignis nachzuspüren, so wie auf dem Feld bei Liebertwolkwitz oder beim Reenactment in der Weinteichsenke.

    Musik: De la Révolution à lÈmpire
    Komponist: Paisiello, Marche Du Premier Consul
    Orchestre De la Société des Concerts du conservatoire
    Dirigent: Georges Tzipine
    EMI Studio 1988 CDM 76 98 30 2


    Jahrzehnte der politischen Restauration
    Napoleon rettete sich nach Frankreich, musste abdanken und nach Elba gehen. Er schaffte ein Comeback, erlitt aber 1814 bei Waterloo seine finale Niederlage. Auf dem Wiener Kongress vom September 1814 bis Juni 1815 wurde Europa neu aufgeteilt. Der unglückliche Sachsenkönig verliert die Hälfte seines Landes, Kronprinz Bernadotte wird am Ende schwedischer König. Den Monarchen in Europa ist klar, so etwas wie die Französische Revolution und wie Napoleon darf nie wieder passieren: Bürgerrechte, der Code civil und was an napoleonischen Reformen fortschrittlich war, wird abgeschafft. Europa versinkt für Jahrzehnte in der politischen Restauration.

    Das große Erinnern hat künstlerische und emotionale Momente - aber provoziert es auch Lerneffekte? Und welche könnten das sein? Die genauen Zahlen der Opfer der Schlacht, der anschließenden Typhusepidemie, von Hunger und Entbehrung lassen sich kaum ermitteln, Schätzungen sprechen von 92.000 Toten und Verwundeten. Vielleicht mehr, kaum weniger. Erst als man anfing, von Weltkriegen statt von Völkerschlachten zu sprechen, wurde dieses Grauen noch übertroffen.