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Violetta hat Husten

Andreas Homoki, Noch-Intendant der Komischen Oper Berlin, hat an der Semperoper in Dresden Giuseppe Verdis "La Traviata". Mit Dresdens Generalmusikdirektor Fabio Luisi hatte Homoki schon vor fünf Jahren zusammengearbeitet, damals war es Luisis Premiere am Dresdner Haus mit Puccinis "Turandot".

Von Georg-Friedrich Kühn | 03.10.2009
    Eine Skandalnudel, Typ Amy Winehouse, ist diese Violetta. "Vom Weg abgekommen", wie sie im Stück-Titel genannt wird, scheint sie nicht, sondern ganz bei sich. Mit kniekurzem giftgrünen, schwarz-rot gemusterten Kleidchen, halb schulterfrei und dem schwarzen Nest-Dutt als Langhaar-Teil stakst sie über die Bühne.

    In die Usancen der Partygesellschaft wird Neuling Alfredo gleich zu Beginn eingeweiht. Er muss ein Häufchen Koks in die Nase schniefen. Und alle krümmen sich schier vor Lachen darüber, wie er sich anstellt.

    Das Liebesspiel, das vom ersten Show-Kuss des frischen Paars gekrönt wird, ist so kurz wie die Fummel der Rock-Lady. Die Folgen sind gleichwohl sichtbar. Fürs Ausnüchterungs-Landleben kleidet sich die junge Frau in Jeans-Röckchen mit Karojacke und Internats-Kniestrümpfen.

    Der Vater Alfredos, der seinen Sohn von ihr loseisen will, ist ein arg biederer Typ wie der Onkel von der Käse-Reklame. Sogar die ganze Rest-Familie hat er im Gepäck, um den Sohn heimzuholen.

    Der reißt seiner einstigen Geliebten, als er nach geraumer Zeit zu ihr zurückkehrt, das Haar-Teil vom Kopf und ihren nun modisch schwarz-gelben Fummel vom Leib. Da erst wird kenntlich, dass sie eine Moribunde ist. Krebskrank oder so was, schleppt sie sich nur mühsam über die Bühne. Der Tod kommt schnell und plötzlich wie ihre Liebe.

    Andreas Homokis Inszenierung von Verdis "La Traviata" an der Dresdner Staatsoper gehört gewiss zu seinen stärkeren. Schnörkellos führt er die Titelfigur. Für die Chöre allerdings stützt er sich auf sein altes Rein-raus-Rezept ohne Individualisierung.

    Dabei sind die Bewunderer der Violetta sehr unterschiedlich kostümiert. Bei Gideon Daves und Frauke Schernau ist von Base-Cap-Jungs bis zu Anzugträgern alles dabei, sogar ein Rudolf Mooshammer und seine Dasy dürfen mit jubeln. Der Arzt scheint auch eher ein Sektenbetreuer, denn aus dem örtlichen Krankenhaus.

    Eine eigentliche Hauptrolle auf der tiefschwarzen Bühne spielt eine sehr flexible rote Wand, stabil aus Fiberglas und biegbar wie eine Schlange. Anfangs schiebt sie sich von der Seite herein, formt sich bei Alfredos erster Arie zum kreisrunden Kolosseum. Im Landbild wird sie gezeigt von der schwarzen Rückseite. Und bei Floras Party im zweiten Akt kippt sie zu einer Gleitfläche, von der am Ende Violetta abrutscht wie auf eine Müllkippe.

    Diese Wand und ein roter Leder-Stahlrohr-Sessel sind die einzigen Requisiten dieses eindrucksvollen Bühnenbilds von Frank Philipp Schlößmann.

    Fabio Luisi am Pult zeigt sich bei Verdi - im Unterscheid zu seinen Wagner-Strauss-Ausflügen - ganz in seinem Element. Schmiegsam, weich, mit gleitenden Tempi begleiten er und die Staatskapelle die Sänger.

    Rebecca Nelsen als kurzfristig eingesprungene Violetta bewegt sich sicher auf der Bühne, ihrer vibratogeschärften Stimme fehlt allerdings etwas die Leichtigkeit. Auch der Alfredo von Wookyong Kim kann mehr mit Kraft als mit Zwischentönen beeindrucken. Und Roberto Servile als Vater Germont ist ein doch auch stimmlich allzu bodenständiger Typ.

    Fast einhellig ist dennoch der Beifall am Ende für die Sänger und den Dirigenten. Homoki und sein Team werden mit reichlich Buhs empfangen. Im nicht gerade aufregenden Premierenplan der letzten Spielzeit des scheidenden Intendanten Gerd Uecker dürfte diese Produktion dennoch ein dicker Pluspunkt sein.