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Virtuelle Realität im Sport
Sporterlebnisse mit dicker Brille

Ein Erlebnis, als wären man live dabei: Das wünschen sich Fans der so genannten virtuellen Realität von Sportübertragungen. Die technischen Anforderungen sind noch in der Entwicklung, Fantasien für die Nutzung gibt es bereits viele.

Von Maximilian Schönherr | 18.08.2018
    Ein älterer Mann in einer Motorradjacke trägt eine VR-Brille.
    Mann mit VR-Brille: "Da sind auf jeden Fall mehr Daten im Spiel als bei normalem Video." (imago stock&people)
    Beispielhaft für eine gelungene Reise in der virtuellen Realität der letzten Monate ist der Besuch des weitgehend toten Musterstädtchens Tschernobyl in der Ukraine. Wer da immer mal hinfahren wollte, kann sich die Reise nun sparen, denn unter der VR-Brille im strahlungsfreien Wohnzimmer zuhause ist man so intensiv da, als wäre man da.
    Bei den letzten olympischen Spielen in Brasilien wurde Basketball und bei der Fußballweltmeisterschaft in Russland das Eröffnungsspiel in VR übertragen. Die BBC-Sportredaktion ließ sich dafür eine eigene App programmieren. Zwei Rundumkameras waren hinter den Toren platziert, das war dann aber schon alles.

    Beim olympischen Basketball schwebte man mal über dem Spielfeld, mal unmittelbar am Spielfeldrand. Es wurde einem übel, weil man dauernd den Kopf drehen musste, um den Ball zu finden.
    Wir sind hier mit der Entwicklung erst am Anfang. Auch beim normalen Fernsehen hat es lange gedauert, bis man wusste, wie man für welche Sportart welche Kameratechnik am besten einsetzt. Heute gucken wir am Fernseher und Tablet Computer HD. Für die Übertragung in virtueller Realität ist das viel zu wenig. Die fängt erst ab einer Rundum-Bildauflösung von 4000 Pixeln Breite an, Spaß zu machen: 4k - das sind ungefähr viermal so viele Pixel wie unser HD Fernsehen bietet.
    Nicht nur Bandbreite ist wichtig
    "Da sind auf jeden Fall mehr Daten im Spiel als bei normalem Video. Aber ich denke, wir haben Bandbreiten, die das durchaus können. Die Frage ist dann, wie der Endbenutzer, also der Zuschauer ans Internet angeschlossen ist."
    Das platte Land hinkt also auch hier wieder hinter der Glasfaser-bestückten Großstadt her – so Oliver Staadt. Der Informatiker leitet den Lehrstuhl für Visual Computing an der Universität Rostock und ist Sprecher für augmentierte und virtuelle Realität bei der Gesellschaft für Informatik GI.

    Die wichtigere Frage als die nach der Bandbreite ist seiner Meinung nach, was sich für virtuelle Realität überhaupt eignet. Tschernobyl, so Staadt, ist ideal, weil man die verstrahlte Gegend allein besucht. Im Stadion dagegen ist man zusammen mit anderen, und dieses Erlebnis lässt sich im Wohnzimmer, wenn alle ihre nach vorn undurchsichtigen Brillen am Kopf haben, nicht herstellen. Dafür ist man mit VR viel näher dran, ja mitten drin.
    Weniger "Weiße Elefanten"
    "Es kann von Vorteil sein, dass man kompaktere Stadien hat, in denen auch die Stimmung für die Zuschauer vor Ort besser ist, weil sie näher am Geschehen dran sind, und zusätzlich die Zuschauer, die vielleicht gar nicht ins Stadion kommen könnten, dieses Erlebnis mit Virtual Reality empfinden können."
    Kleinere Stadien bedeutet, dass die Bau-Ruinen nach den Spielen zwar nicht weniger werden, aber kleiner. Diese Ruinen, die gerade Fußballweltmeisterschaften wie zum Beispiel die in Südafrika hinter sich lassen, heißen Weiße Elefanten: sehr viel schnell verbranntes Geld ohne eine nachhaltige Sport-Infrastruktur. Virtuelle Realität wird diese Franchising-Maschine nicht abschaffen.
    Eine der Virtuellen Realität verwandte Technik wird aber den Besuchern der Stadien gleich welcher Größe während der Spiele in naher Zukunft Mehrwert bringen: die Augmentierte Realität.
    Augmentierte Realität
    "Augmented Reality hat ein größeres Potenzial, wenn man direkt vor Ort im Stadion ist und zusätzliche Information zu dem, was man so und so mit den eigenen Augen wahrnimmt, erhalten kann."
    Die Brillen dafür sind durchsichtig. Man sieht also ganz normal das reale Spielfeld, bekommt aber dann zum Beispiel eingeblendet, wie viele Pässe des Spielers, auf den man gerade guckt, beim Gegner angekommen sind, also Fehlpässe waren. Diese Technik steht erst am Anfang. Ein großes Problem ist das so genannte Tracking: Die Brille muss die Kopfbewegungen verarbeiten und die virtuellen Informationen verzögerungsfrei an der richtigen Stelle im Sichtfeld einspielen. Angenehmer Nebeneffekt bei schlecht besetzten Großereignissen:
    "Wenn Sie ein Augmented-Reality-Headset hätten, das ein großes Sichtfeld hat, könnten Sie natürlich auch leere Tribünen mit anderen Zuschauern füllen, die dann synthetische Avatare sind."
    Diese Denkansätze werden den Sport real beschäftigen. Wir werden die nächste Fußball-WM sicher zu Hause in virtueller Realität erleben können, und vielleicht ist bis dann auch die augmentierte Realität so weit, uns mit eingeblendeten Infos den Weg zu unserem realen Platz im Stadion zu weisen.