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Virtuelle Welt im Fitnessstudio

Technik. - Die Zeiten, in denen man sich in Fitnessstudios auf öden Laufbändern bewegte und auf die gegenüberliegende Wand starrte, scheinen ein für allemal vorbei zu sein. In Kiel haben clevere Geschäftsleute ein neues Computersystem entwickelt, mit dem man während seiner Übungen in virtuelle Welten eintauchen kann.

09.12.2002
    Von Jens Wellhöner

    Im Büro der Firma ”Matrixmove” in Kiel steht ein ganz normaler Heimtrainer, so scheint es. Mitarbeiter Olivier Renault tritt kräftig in die Pedale. Er trägt eine verkabelte Sportbrille. Und die ist für ihn das Fenster in eine virtuelle Welt:

    Also zur Zeit bin ich sehr langsam. Ich muss ein bisschen schneller treten, weil ich gerade runterfalle. Da war nämlich eine Schlucht und ich bin da reingefallen.

    Durch seine Brille sieht Olivier Renault sozusagen sein alter ego, wie es sich auf einem Fahrrad durch eine enge Schlucht bewegt. Tritt er zügiger, geht es auch schneller um enge Kurven und über tiefe Schluchten. In gewagten Sprüngen entkommt der virtuelle Rennradler manchmal nur knapp dem Absturz. Eine dreidimensionale Illusion, kreiert durch ein Gerät zu Füßen des Hometrainers. Ein 15 Zentimeter breiter Würfel. In ihm befindet sich der Rechner, das Herzstück des Systems. Olaf Ratschow, einer der Entwickler von matrixmove:

    Das funktioniert jetzt einfach so, dass ich auf einem Gerät, zum Beispiel einem cycle-Trainer, trete, die Achsbewegung wird jetzt also von einem Sensor-System aufgenommen, vom Rechner interpretiert, so dass ich jetzt dadurch, dass ich mich auf diesem Gerät bewege, ich mich in dieser computerspielartigen 3–D-Landschaft bewege.

    Die Sensoren sind an einem Pedal montiert. Olivier Renault kann seinen virtuellen Rennradler auch nach links oder rechts abbiegen lassen, durch Steuerknöpfe an den Lenkern des Heimtrainers. Je länger der Druck auf einen der Knöpfe: Umso rasanter geht es um die Kurve. Der reale Fahrradfahrer auf dem Heimtrainer bekommt dies alles aber nur vorgegaukelt: Er selber kann seinen Lenker nicht bewegen. Der kleine Rechner neben dem Heimtrainer ist gleichzeitig die Verbindung zum Internet. Die Bewegungen von Olivier Renaults virtuellem Ich könnten in Echtzeit auf matrixmove-Monitore in beliebig vielen Fitnessstudios überall auf der Welt übertragen werden. Dort können sich andere Radler mit dem Kieler messen:

    Ich kann versuchen mit den anderen Leuten, die in den Fitnessstudios trainieren, eine Wette zu machen, wer am schnellsten den Kurs gemacht hat. Wir entwickeln zur Zeit ein voice-chat, einfach so wie ein Telefon, so dass man sich da anwählen kann und dass man mit dem Anderen sprechen kann, so ganz normal.

    Mikrofone in einem Kopfhörer ermöglichen den Kontakt der Fitnessfreunde untereinander. Wissenschaftler des Fraunhofer-Institutes für Arbeitswirtschaft haben die virtuelle Welt mitentwickelt. Das neue Computersystem kann Daten von beliebig vielen Testpersonen gleichzeitig empfangen und auswerten. Olaf Ratschow sieht für die Sportmedizin dadurch völlig neue Möglichkeiten. In Zukunft könnte das System die Daten in personenbezogenen Dateien speichern:

    Und dann wird dann erfasst, das ist die Nutzerin Natalie. In Zukunft können dann die optimale Herzfrequenz der Natalie abgelegt werden und andere wesentliche Parameter. So dass das dann eintreten kann, dass, wenn Natalie sich dem Herzinfarkt nähert, nicht nur ein Warnton ertönt, sondern ganz nachhaltig auf die Gerätebremse getreten wird, und Natalie gezwungen wird, diesem Herzinfarkt dann doch noch zu entgehen.

    Noch sieht die virtuelle Fitness-Landschaft auf den 3-D-Brillen so aus wie die öden Welten auf Monitoren in Spielsalons. Die Kieler Tüftler und ihre Kollegen vom Fraunhofer-Institut arbeiten aber schon an Verbesserungen. Sönke Kobarg von matrixmove:

    Ein Stadion, das ist ein geeigneter Platz, um in dieser virtuellen Welt Wettkämpfe durchzuführen. Wir haben einen Wald, ein Dorf, das wir aus verschiedenen Häusern modelliert haben. Es ist eher eine Kunst, die Phantasie so zu bremsen, dass die Entwicklung hinterherkommt.

    Bisher kann man die neue Technik nur in einem Fitnessstudio in Neumünster bei Kiel ausprobieren. Aber die Entwickler hoffen, dass es ihr matrixmove-System bald überall in der Bundesrepublik gibt. Und irgendwann können Fitnessfreunde vielleicht auch im heimischen Wohnzimmer in virtuelle Welten eintauchen.