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Virusalarm für die deutsche Landwirtschaft

Wenn derzeit in Deutschland von Getreide die Rede ist, dann geht es nicht nur um Erntemengen und Preisentwicklungen, sondern immer häufiger auch um die Frage der Qualität. So bereitet den Getreidebauern zunehmend die Belastung mit Schimmelpilzen und Schimmelpilzgiften Probleme, Schadstoffe, die sich beim Menschen unter anderem negativ auf das Immunsystem auswirken können und die bei der Nahrungsmittelproduktion in der Regel nicht zerstört werden. Ein Problem, so das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz, daß erst in den vergangenen Jahren in den Blickpunkt der Wissenschaft geraten sei. Nun schlägt die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft Alarm. Nicht nur ein Pilz, sondern auch ein Getreidevirus breitet sich aus.

Von Thomas Breulmann | 21.08.2000
    "Bodenbürtiges Getreidemosaik-Virus" heißt das eine, "Weizenspindel-Streifenmosaik-Virus" das andere; die Verbreitung dieser Viren ist nicht aufzuhalten. Wo der Boden schon verseucht ist, befallen beide Viren in Deutschland vor allem den Roggen. Die Erträge sinken dramatisch, sagt Dr. Winfried Huth, Virologe an der Biologischen Bundesanstalt in Braunschweig.

    Winfried Huth: Je nachdem was für eine Sorte wir haben, da können die Ertragsminderungen auch in dem Bereich von 70, 80 Prozent liegen.

    Am stärksten betroffen sind die Roggenanbau-Gebiete in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Mit Sicherheit auch verseucht sind kleinere Gebiete in Bayern, Brandenburg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Sehr wahrscheinlich aber sind die Viren schon viel weiter verbreitet: denn für Ertragsrückgänge machen Landwirte, häufig zu Unrecht, andere Faktoren verantwortlich; Virusbefall ziehen sie nicht in Betracht.

    Winfried Huth: Es bereitet manchmal beachtliche Schwierigkeiten, die Symptome zu erkennen und deswegen mag das eben ein Grund sein, diese Viren eben und die kranken Pflanzen bisher noch nicht entdeckt zu haben.

    Übertragen werden die Viren durch einen Bodenpilz. Dieser Pilz lebt als Parasit an Getreidewurzeln. Ist eine Getreidepflanze mit den Viren infiziert, vermehren sie sich dort rasant; dann dringen sie über die Wurzel in den Pilz ein. Damit sind die Pilzsporen mit dem Virus infiziert. Nach der Ernte verrottet die Wurzel, sie entlässt die Pilzsporen in den Boden - und mit den Sporen das Virus.

    Winfried Huth: und die überdauern im Boden über eine längere Zeit, und können dann auch nach 15 oder 20 Jahren oder noch längerer Zeit, wenn sie dann eine Wurzel wieder befallen, das Virus wieder in die Pflanze hineinbringen.

    Oder aber im gleichen Jahr - und viele Kilometer entfernt: Das Virus sitzt in der Pilzspore, die Pilzsporen kleben fest an feinsten Bodenteilchen, der Wind verweht die Bodenteilchen über weite Strecken. Dort verseucht das Virus andere Böden und mit Hilfe des Pilzes weitere Pflanzen. Der Landwirt ist machtlos, sagt Winfried Huth.

    Winfried Huth: Es ist so, dass im Augenblick keine Sorte auf dem Markt ist, die nicht von diesen Viren befallen wird. D. h. also, der Landwirt muss immer mit entsprechenden Ertragsminderungen rechnen.

    Bereits Ende der achtziger Jahre hatte der Virologe vor der Ausbreitung der Viren gewarnt. Denn schon einmal, ab 1977, hatte ein anderes Getreidevirus sich - von nur drei bekannten Befallsherden aus - über ganz Europa verbreitet; es befiel die Gerste. Damals kam die Landwirtschaft mit einem blauen Auge davon: Gersten-Sorten, die in ihrem Stammbaum eine alte jugoslawische Landsorte hatten, waren gegen das Virus resistent; diese Sorten waren relativ weit verbreitet; den Züchtern gelang es, in wenigen Jahren Saatgut in ausreichender Menge und Qualität bereit zu stellen. Beim Roggen hingegen gibt es zwar weniger empfindliche, aber keine resistenten Sorten. Trotz der frühen Warnungen steht die Resistenz-Züchtung beim Roggen erst am Anfang.

    In Frankreich, Italien und England befallen die neuen Viren auch den Weizen. Deutschland ist davon noch nicht betroffen. Das liegt unter anderem an der sehr späten Aussaat des Winterweizens; sie sagt dem Virus nicht zu. Deswegen beargwöhnt Winfried Huth einen Trend, der aus anderen Gründen durchaus sinnvoll ist: Der Aussaattermin wird immer weiter vorverlegt.

    Winfried Huth: Das Problem kommt auf uns zu, beim Roggen ist inzwischen die Aussage bestätigt, und beim Weizen fürchte ich das Gleiche, insbesondere dann, wenn der Weizen früh gedrillt wird,

    Dass die neuen Viren in Deutschland auch den Weizen angreifen, sei nur noch eine Frage der Zeit, warnt Huth. Doch dieses Mal scheinen die Züchter früh genug zu reagieren.

    Winfried Huth: Es werden auch Forschungsprojekte inzwischen finanziert, so dass also in absehbarer Zeit doch damit zu rechnen ist, dass die Züchtung zumindest in Gang kommt.

    Nähere Informationen erteilt: Dr. Winfried Huth BBA Messeweg 11/12 38104 Braunschweig Tel.: 0531 / 299-3710.

    Der Artikel "Im Getreidebau in Deutschland und in Europa wird eines der größten phytopathologischen Probleme erwartet: die bodenbürtigen Viren des Weizens und Roggens" ist erschienen im Nachrichtenblatt des Deutschen Pflanzenschutzdienstes, 8/2000, S. 196-198.