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Visa-Entzug Großbritannien
Schwierige Aufklärung in Sprachtest-Affäre

Tausende ausländische Studierende in Großbritannien sind offenbar zu Unrecht beschuldigt worden, in einem Sprachtest geschummelt zu haben. In der Folge mussten sie ihr Studium abbrechen und ausreisen. Nun klagen einige der Geschädigten. Doch die Fälle rückwirkend zu prüfen, erweist sich als schwierig.

Von Sandra Pfister | 27.05.2019
Campus des Keble College. Eines von 39 Colleges, die alle unabhängig sind und zusammen die University of Oxford bilden, 21.04.2012
Das Innenministerium entzog oder verkürzte alle Visa der 34.000 angeblichen Betrüger. Im Bild: Campus des Keble College, das zur Universität Oxford gehört, 2012. (imago / Jochen Tack)
"Ich bin dorthin gegangen, ich erinnere mich noch an den Typen, der hat meine Personalien kontrolliert, er hat mich fotografiert. Ich habe nichts Verdächtiges bemerkt, und ich habe das ziemlich gut hingekriegt."
Fünf Jahre ist es her, dass das britische Innenministerium etwa 34.000 Studierende beschuldigt hat, bei einem Englisch-Test geschummelt zu haben.
Zuvor hatte die BBC-Sendung "Panorama" durch Undercover-Filmaufnahmen in zwei Test-Zentren nachgewiesen, dass es Unregelmäßigkeiten gab, dass einige Studierende offenbar englische Muttersprachler eingeschmuggelt hatten, die an ihrer Stelle den zweitägigen Test of English for International Communication absolvierten.
90 Prozent aller Studierenden sollten geschummelt haben
Daraufhin trug das britische Innenministerium der US-Firma "Educational Testing Services", die mit den Sprachtests betraut war, auf, alle rund 60.000 Tests, die zwischen 2011 und 2014 stattgefunden hatten, nochmal unter die Lupe zu nehmen.
Das Ergebnis war, dass mehr als 90 Prozent der Teilnehmer sicher oder wahrscheinlich geschummelt hätten, wie Caroline Nokes, derzeit Staatssekretärin im Innenministerium, kürzlich im Unterhaus sagte:
"Eine Analyse der Testergebnisse hat ergeben, dass 34.725 Tests ungültig sind. Und 22.694 Ergebnisse waren fragwürdig. Letztere hatten die Chance, den Test zu wiederholen oder sich noch mal befragen zu lassen, bevor wir aktiv wurden."
Können tatsächlich mehr als 90 Prozent aller Studierenden bei einem Sprachtest geschummelt haben, ohne dass es der beauftragten Firma auffiel?
Massenhafter Visa-Entzug
Trotz aller Zweifel machte das Innenministerium 2014 offenbar kurzen Prozess: Es entzog oder verkürzte alle Visa der 34.000 angeblichen Betrüger. Wie viele Studierende dann unfreiwillig das Land verließen, ist noch unklar; der Guardian spricht von 1.000 Studierenden; Hunderte wurden in Sicherheitsverwahrung gebracht. Und etwa 300 Fälle sind noch vor Gericht, weil ehemalige Studierende Einspruch gegen die Entscheidung eingelegt haben. Auch Hussein:
"Sie haben gesagt: Wir werden dich hier festhalten und dann nach Hause schicken. Wir haben schon einen Flug gebucht. Du wirst Deine Würde verlieren. Sehen Sie: In dem Moment, wo Sie mir diese Anklage schickten, hatte ich schon keine Würde mehr. Ich lebe im Moment ein Leben, das nicht lebenswert ist. Ich bin in einem offenen Gefängnis, bis diese Sache geklärt ist."
Tom McDonald hat den massenhaften Visa-Entzug als Kopf des National Audit Office, einer Art unabhängigem Rechnungshof, untersucht. Er sagt: Die Rekonstruktion ist extrem schwierig, weil viele Fälle nur ungenau und nach 2016 gar nicht mehr im Innenministerium nachgehalten wurden. Aber er sagte, er sehe deutliche Anzeichen, dass das Innenministerium überreagiert habe.
Nur ein Fünftel der Geschädigten identifiziert
"Es gibt ungefähr 300 Leute, die von Gerichten offiziell vom Betrug freigesprochen wurden. Weitere 5.000 Leute wurden aus ihren Colleges rausgeworfen, obwohl sie überhaupt nicht am Test teilgenommen hatten, und viele von ihnen hatten enorme Probleme, wieder einen Platz an einer anderen Uni zu finden."
Tom McDonald glaubt, dass im Moment nur die Spitze des Eisbergs zu sehen ist.
"Das Innenministerium hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, aber nur ein Fünftel der Leute, die sie als potenziell Geschädigte identifiziert haben, konnte ausfindig gemacht werden, nur denen wurde geholfen."
Wir glauben, das ist nur eine kleine Gruppe von den Tausenden, die von dem Problem betroffen sind."