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Visapflicht für Kosovaren
Schengen ist weit

Kosovaren benötigen ein Visum für Reisen in den Schengen-Raum. Nach Jahren des Wartens empfahl die EU-Kommission im letzten Sommer die Aufhebung der Visumspflicht. Im Dezember allerdings machte Erweiterungskommissar Hahn alle Hoffnungen zunichte. Nun schlägt Enttäuschung in Verbitterung um.

Von Dirk Auer | 27.02.2019
Die Studenten: Edison Syla, Blendon Arifi und Bekim Ibishi demonstrieren für mehr Reisefreiheit in Europa
Die Studenten Edison Syla, Blendon Arifi und Bekim Ibishi aus dem Kosovo demonstrieren für mehr Reisefreiheit (Deutschlandradio / Dirk Auer)
Bei winterlichen Temperaturen ziehen ein paar Hundert Studenten durch das Zentrum von Prishtina. Sie rufen: "Wir wollen die Visaliberalisierung". Vor der EU-Vertretung legen sie ein Geschenkpaket ab, adressiert an die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini - es ist gefüllt mit ihren Reisepässen. Denn die seien ja sowieso wertlos, sagt Blendon Arifi, einer der Organisatoren des Protests.
"Mit unserer Demonstration wollen wir die EU fragen, warum sie uns isolieren. Warum haben wir nicht bekommen, was uns versprochen wurde? Wir sind die einzigen, die immer noch nicht frei reisen dürfen."
Der junge Politikstudent war bisher einzig in den beiden Nachbarländern Mazedonien und Albanien, aber sonst noch nie im Ausland. Denn er weiß, dass er kaum eine der Bedingungen für einen Visumantrag erfüllen könnte. Er sagt:
Schwer erfüllbare Bedingungen
"Man muss zum Beispiel sehr viel Geld bei der Bank hinterlegt haben. Und ich bin Student; ich kann das nicht." Und sein Freund Bekim fügt hinzu: "Man wartet sechs Monate auf einen Termin bei der Botschaft, dann noch einmal drei Monate, bis man das Visum bekommt - oder eben auch nicht. Die Kriterien sind so streng, dass 80 Prozent der Bevölkerung gar keine Chance hat."
Der Frust über das Visumregime sitzt nicht nur bei den Studenten tief. Egal mit wem man derzeit im Kosovo spricht: Die Enttäuschung über die ausgebliebene Aufhebung der Visumpflicht ist allgegenwärtig. Dabei bestraft das Visa-Regime der EU ausgerechnet jene Menschen, die am stärksten an die europäische Idee glauben. 84 Prozent halten den EU-Beitritt für eine "gute Sache". In Serbien etwa sind es nur 29 Prozent, in Bosnien-Herzegowina 45 Prozent.
"Europäer des Jahres" muss im Kosovo bleiben
Das ganze bürokratische Visums-Verfahren, sei demütigend, sagt Jeton Neziraj, Kosovos bekanntester Theaterautor. 2018 hat er von der EU-Vertretung in Prishtina die Auszeichnung "Europäer des Jahres" erhalten.
"Ich habe mich natürlich gefreut und das als Anerkennung meiner Arbeit gesehen. Aber paradoxerweise hatten wir zur gleichen Zeit, in der ich den Preis bekommen habe, große Probleme, ein Visum für ein Theaterfestival in Rumänien zu bekommen, zu dem wir eingeladen waren."
Auch Jeton Neziraj, dessen Werke in 20 Sprachen übersetzt sind und auf zahlreichen europäischen Theaterfestivals gezeigt werden, muss jedes Mal den gleichen Parcours absolvieren, unzählige Dokumente vorzeigen und sich dann in die langen Schlangen vor der Botschaft einreihen. Und diesmal gestalteten sich die Dinge am Ende so kompliziert, dass die Reise abgesagt werden musste. Der "Europäer des Jahres" musste zu Hause bleiben. Jeton Neziraj:
"Und das war dann doch eine ziemlich ironische Situation: Sie sagen Dir, dass Du ein guter Europäer bist, aber gleichzeitig stellen sie mit der Reisefreiheit einen der grundlegendsten europäischen Werte in Frage. Für die Bevölkerung ist das wirklich eine schlechte Botschaft. Sie denken: Oh, wenn schon diese Künstler, die international arbeiten, so behandelt werden, dann gibt es keine Hoffnung in diesem Land. Und dann suchen sie nach einer Exit-Strategie."
Jeder Kosovare ein potentieller Asylbewerber?
2015 fand tatsächlich eine Art Exodus statt. Zehntausende Menschen hatten auf einmal innerhalb weniger Wochen das Land verlassen, um vor Armut, Korruption und fehlenden Perspektiven zu fliehen. Inzwischen sind die Zahlen jedoch wieder drastisch zurückgegangen. Jeton Neziraj:
"Es ist wohl diese Angst: In jedem Kosovaren sehen sie einen potentiellen Asylbewerber. Aber die Mehrheit will gar nicht bleiben. Die Leute wollen reisen. Sie wollen Europa sehen."
Das jedenfalls gilt auch für die jungen Studenten. Sie waren vorher noch nie politisch aktiv. Aber jetzt wollen sie nicht locker lassen und planen schon die nächsten Aktionen, so Blendon Arifi:
"Alles, was wir wollen, ist, dass wir wie alle anderen Länder behandelt werden. Und wir werden so lange protestieren, bis auch wir das elementare Recht bekommen zu reisen."