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Vishnus Verwirrung, Teil 2

Seit dem Urknall fliegt das Universum auseinander, und das mit zunehmender Geschwindigkeit. Eine geheimnisvolle Kraft ist hier am Werk. Die Astronomen sprechen von einer "Dunklen Energie", und meinen damit das gegenwärtig größte Rätsel der Physik. Heute wissen die Kosmologen sehr genau, wie alt, wie schwer und wie groß das Universum ist, welche Form es hat und wie schnell es auseinander fliegt. Doch sie wissen nicht, wie sie es mit der "Dunklen Energie" halten sollen.

Von Jan Lublinski | 01.01.2009
    Der Sternenhimmel in einer klaren Nacht. Unzählige Punkte, in der Tiefe leuchtend. Ein Meer aus Sonnen, in ständiger Bewegung umeinander. Sie ziehen sich an, sausen aneinander vorbei, entfernen sich wieder. Gewaltige Kräfte sind hier am Werk. Die Sterne verwandeln Energie, strahlen sie ab, brennen, explodieren, verglühen, verschwinden.

    In allen Kulturen gibt es Erzählungen über den Ursprung, über den Anfang und die Größe der Welt. In der griechischen Mythologie wird der Kosmos aus einem silbernen Ei geboren. In der indischen Überlieferung suchen die Götter Brama und Vishnu nach dem Ende der Welt. Zitat:

    "Wir stritten beide heftig
    über dem formlosen Meer,
    als vor unseren Augen
    ein glorreicher, funkelnder Lingam erschien,
    eine flammende Säule mit dem Glanz
    von hundert Feuern,
    fähig, das Universum zu verzehren,
    ohne Anfang, ohne Mitte, ohne Ende,
    unvergleichlich, unbeschreibbar."


    Im vergangenen Jahrhundert hat auch die Wissenschaft der Astronomie eine solche Geschichte des Kosmos hervorgebracht. Sie beruht auf Himmelsbeobachtungen, auf mathematischen Formeln und auf Computersimulationen, die den Lauf des Universums in vereinfachter Form nachbilden. Die Geschichte des Kosmos, von der uns die Astronomen heute berichten, ist in den vergangenen Jahren immer einheitlicher und klarer geworden.

    Vor 13,7 Milliarden Jahren: Der Urknall. Eine extreme Explosion. Die Zeit hat hier ihren Ursprung. Alle Energie, zuvor in einem Punkt versammelt, bricht heraus, verwandelt sich, breitet sich aus. Eine heiße Suppe aus Elementarteilchen, dann Atomkernen. 380.000 Jahre nach dem Anfang wird das All durchsichtig: Ein Restleuchten des Urknalls erfüllt den Raum. Gaswolken bilden und verdichten sich, die ersten Sterne zünden. Galaxien finden sich zusammen, bilden größere Strukturen, driften auseinander, entfernen sich immer weiter.

    "So cosmology really changed…"

    Michael Turner von der Universität Chicago.

    "Die Kosmologie hat sich verändert. Sie ist zu einer Präzisionswissenschaft geworden. Die verschiedenen Messungen passen jetzt alle zusammen. Es ist inzwischen sehr schwierig geworden, eine ganz neue Messung zu machen und damit alles auf den Kopf zustellen. Denn dann müsste man dazu auch sagen: diese fünf anderen Messungen sind alle falsch."

    Nach Jahrzehnten der Diskussionen und scheinbaren Widersprüche in den Messungen ist es den Astronomen inzwischen gelungen, ein in sich stimmiges Theoriegebäude zu errichten. Doch das neue Gebäude fußt auf einem Fundament, das nur teilweise gesichert ist. So haben die Astronomen etwa die Entwicklung ganz zu Beginn des Universums nur ansatzweise verstanden. Und sie wissen nicht, was mit dem Universum in ferner Zukunft geschehen wird.

    "Der göttliche Vishnu,
    verwirrt wie ich
    durch diese Tausende von Flammen,
    sagt dann zu mir:
    ,Wir müssen die Quelle dieses Feuers suchen.
    Ich werde hinabsteigen,
    und du wirst hinaufsteigen mit all deiner Kraft."


    Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie: Zeit, Raum und Materie beeinflussen einander in einem dynamischen Wechselspiel. Der Kosmos kann sich im Laufe der Zeit ausdehnen wie ein Luftballon. Er kann Beulen und Dellen bilden, er kann pulsieren, sich schnell wieder zusammenziehen oder explodieren.

    Einige Jahre nachdem Einstein die Formeln zu seiner Allgemeinen Relativitätstheorie gefunden hatte, entwickelte der russische Physiker Alexander Friedmann auf dieser Grundlage mathematische Weltmodelle, die ein Universum beschrieben, das sich immer weiter ausdehnt. Friedmanns Gleichungen enthielten eine so genannte "kritische Energie". Mit ihr lassen sich drei mögliche Formen des Universums unterscheiden.

    "Man spricht da von einem geschlossenen Universum, einem offenen oder von einem flachen Universum."

    Volker Springel. Max Planck Institut für Astronomie, Garching.

    "Das geschlossene Universum ist, wenn man mehr Energie hat als diese kritische Energie, dann bewirkt das unter anderem, dass das Universum endlich lang lebt. Es wird dann irgendwann wieder zusammenstürzen, weil nämlich genügend Materie da ist. Das ist ja auch Energie: E=mc2, nach Einstein. Die Energiedichte der Materie reicht aus, um die Ausdehnung des Universums irgendwann anzuhalten und dann kommt es zu einem Zusammensturz des Universums. Das ist der geschlossene Fall. Und der offene Fall ist, wenn man zu wenig Energie hat, dann dehnt sich das Universum unendlich aus. Und dann gibt’s den Grenzfall: Das ist das flache Universum."

    Beim flachen Universum sind die Achsen nicht gekrümmt, sondern gerade. Veranschaulichen lässt sich das mit einer flachen zweidimensionalen Welt: Hier würden wir auf einer Ebene leben - und nicht auf einer gekrümmten Kugel. Lange Zeit rätselten die Kosmologen, zu welchem der drei Fälle denn unser Universum zählt. Anfang des 21. Jahrhunderts konnte diese Frage beantwortet werden, mit einer genauen Analyse der sogenannten kosmischen Hintergrundstrahlung. Dabei handelt es sich um eine Mikrowellen-Strahlung, die überall im Kosmos anzutreffen ist, eine Art Nachglimmen des Urknalls. Die genaue Vermessung dieser Strahlung ergab, dass das Universum flach sein muss. Die drei Raumdimensionen des Weltalls sind nicht gekrümmt - sondern gerade. Volker Springel:

    "Das ist aber komisch. Warum ausgerechnet dieser Fall. Warum ist die Energie genau gleich dieser kritischen Energie?"

    Letztlich ist diese Frage bis heute offen, aber die Physiker haben ein Modell entwickelt, das diesem Umstand Rechnung trägt: Nach der sogenannte Inflations-Theorie hat sich das Universum direkt nach dem Urknall in extremer Weise aufgeblasen, so stark, dass jede Raumkrümmung quasi glattgebügelt wurde. Durch welche Energie die Inflation einst angetrieben wurde, wissen die Astronomen nicht. Sie stellen nur fest, dass sie die weitere Entwicklung des Universums gut beschreiben können, wenn sie voraussetzen, dass es am Anfang eine Art kosmische Luftpumpe gegeben hat, die den Raum in extremer Weise aufgeblasen hat. Springel:

    "Jede Krümmung, die es vorher gegeben haben mag im Universum, ist, wenn ich das unfassbar stark aufblase, das Universum, wird es irgendwann flach. Wenn ich einen Ballon extrem aufblase, dann ist irgendwann seine Oberfläche praktisch flach. Wenn ich dann ein kleines Stück anschaue, kann ich das nicht mehr von der Ebene unterscheiden."

    Der Raum reißt auf, entfaltet sich in rasendem Tempo, benachbarte Bereiche des Weltalls sind plötzlich weit voneinander entfernt. Dann aber wird die Bewegung langsamer, die Inflation ebbt ab. Die Energie, welche die Ausdehnung vorangetrieben hat, verwandelt sich in Strahlung. Sie heizt den Kosmos auf, Elementarteilchen bilden sich: Quarks und Gluonen. Das Universum wird zu einer dichten Suppe aus Strahlung und kleinsten Teilchen.
    Von der frühen Quark-Gluon-Phase des Universum sind am Himmel keine Überreste mehr zu sehen, und so versuchen Physiker, diesen Materiezustand im Labor künstlich herzustellen. Am Teilchenbeschleuniger RHIC in der Nähe von New York haben sie einen Feuerball erzeugen können, zwei Trillionen Grad heiß. Die Quarks und die Gluonen, aus denen er besteht, verhalten sich wie eine heiße Flüssigkeit. Sam Aronson vom Brookhaven National Laboratory.

    "Sie müssen sich vorstellen, dass die Flüssigkeit, um die es hier geht, nur für eine sehr kurze Zeit existiert hat. Danach sind die Teilchen in alle Richtungen davongespritzt. In unseren Messgeräten sehen wir nur die Überbleibsel. Aber wir können diesen Energie- und Materiezustand genauer verstehen, wenn wir uns anschauen, wie die Bruchstücke sich nach der Kollision verteilen."

    Eigentlich hatten die Physiker hier ein heißes, geladenes Gas erwartet, genauer ein sogenanntes Quark-Gluon-Plasma. Dass die Elementarteilchen sich für sehr kurze Zeit zu einer Art Flüssigkeit zusammenfinden können, ist neu. Ob das auch der Zustand ist, in dem sich das Universum in den ersten Sekundenbruchteil befand, ist noch unklar. Am neuen Teilchenbeschleuniger LHC in Genf sind weitere Experimente geplant.

    Eine Ursuppe aus Quarks und Gluonen fliegt auseinander, verteilt sich im Raum, kühlt sich ab. Nach drei Minuten: kleine Grüppchen von Teilchen klumpen zusammen, sie "frieren" aus der Ursuppe aus. Bei einer Temperatur von einer Milliarde Grad: Erste Atomkerne - Protonen. Dann Helium, Lithium und andere leichte Elemente. Volker Springel:

    "Zunächst entstehen nur die Protonen, aber die werden auch noch verbacken in Fusionsprozessen zu Helium. So ähnlich wie das in Sternen abläuft, einfach weil es so dicht und heiß war. Der Witz ist auch eben der, dass die Ausdehnung auch so schnell abläuft, dass nicht alle Protonen zu Helium verschmelzen sondern nur im Verhältnis 1:4. 25 Prozent der Masse ist nachher in Helium und 74 Prozent ist in Wasserstoff übrig. Dann ist es schon so kalt geworden, das Universum, dass auch die Kernfusionen aufhören."

    Das Universum ist noch immer heiß und undurchsichtig: Lichtteilchen, die sich befreien können, werden sofort wieder von Atomkernen verschluckt. Erst nach 380.000 Jahren ist das All so groß und vergleichsweise kalt, dass Atomkerne Elektronen einfangen und Atome bilden. Lichtstrahlen können nun erstmals ungehindert passieren. Das Nachleuchten des Urknalls verteilt sich überall im Raum.

    Im Jahr 1948 berechneten der amerikanische Physiker George Gamow und seine Mitarbeiter, dass die heiße Ursuppe nach dem Urknall eine Strahlung abgegeben hatte, die auch heute noch am Himmel zu sehen sein müsste. Knapp zwei Jahrzehnte später entdeckten zwei amerikanischen Radioastronomen die kosmische Hintergrundstrahlung. Später gelang es dann mit Raumsonden und Ballonexperimenten, die schwachen Schwankungen dieser Strahlung zu messen. – Sie gelten als die stärksten Beweise für die Urknalltheorie. Volker Springel:

    "Das ist jetzt das schöne: Man kann diese winzigen Fluktuationen und Schwankungen sehen. Man kann auch zurückschauen von heute bis genau dorthin. Da sieht man das dann. Das sind die Saatkörner für die Strukturentwicklung."

    Das Weltall: ein düsteres, fast glattes Meer. An manchen Stellen bilden sich leichte Kräuselungen: Die erkaltete Materie zieht sich hier langsam zusammen, bildet Verdichtungen, Gaswolken. Die ersten Materieklumpen entstehen, von der Schwerkraft zusammengeführt. Springel:

    "Wir haben also ein dunkles Universum. Man nennt diese Phase die cosmic dark ages. Das dunkle Mittelalter, wenn man so will, wo nichts da war. Das Universum war leer, langweilig, irgendwann sind die ersten Quellen entstanden, Quellen von Licht. Also Sterne, eventuell Mini-Schwarze-Löcher, weiß man nicht so genau. Und diese Sterne, wenn die sehr groß sind, sind sie sehr leuchtkräftig. Emittieren sehr blaues Licht, sehr energiereiches Licht, auch UV: Diese Strahlung wirkt jetzt ionisierend. Das heißt sie fängt an, das neutrale Gas, das ja drum herum verteilt ist, zu ionisieren. Das bedeutet, dass die Elektronen wieder herausgehauen werden aus den Atomkernen durch die harte Strahlung. Und so entstehen jetzt hier Blasen, die ionisiert sind. Irgendwann werden die Blasen so groß und so viele davon, dass die anfangen zu überlappen. Und irgendwann füllen sie das ganze Universum."

    Ein Universum aus geladenen Teilchen, die umherschwirren. Ein Universum aus Sonnen, die ihr helles Licht aussenden. Auf ihrem Weg durchs All begegnen sie einander, ziehen sich an, sausen aneinander vorbei und kehren zurück. Bilden Galaxien und später noch größere Ansammlungen, die Galaxienhaufen. Die Energie des Universums hat sich verwandelt: Am Anfang war es die Strahlung und die Elementarteilchen-Suppe, die das Weltall beherrschten. Später formte ein Teil dieser Energie die Materie: Atomkerne und Atome. Heute aber dominiert eine andere Kraft das All und treibt den Kosmos immer schneller auseinander: Die Dunkle Energie. Michael Turner von der Universität Chicago hat diesen Begriff geprägt. Wenn etwas Seltsames passiert, sagt er, muss man ihm einen Namen geben.

    "Sometimes when there is something very mysterious - just to get going - you need to give it a name."

    Die Dunkle Energie ist das derzeit größte Rätsel der Astronomie. Über Milliarden von Jahren blieb sie unscheinbar; nun aber, da das Universum weit ausgedehnt und verdünnt ist, entfaltet sie plötzlich eine stärkere Wirkung als alles andere. Schneller und schneller dehnt sie das Weltall aus. Woher sie kommt, woraus sie besteht und wie sie sich entwickeln wird, weiß bislang niemand. Die Kosmologen versuchen mit einer Vielzahl von Messungen, der Dunklen Energie auf die Spur zu kommen, und es scheint so, als bewege sich dieses Phänomen gerade an der Schwelle dessen, was sich mit heutigen Teleskopen beobachten lässt.

    "Tausend Jahre stieg Vishnu hinab,
    gelangte aber nicht an die Basis des Lingam.
    Indessen hatte ich mich
    in einen schneeweißen Schwan
    mit glühenden Augen
    und großen Flügeln verwandelt,
    und mein Flug war so schnell wie der Wind
    und der Gedanke."


    Vor etwas mehr als zehn Jahren machte Adam Riess eine revolutionäre Entdeckung: Als Chef eines internationalen Wissenschaftlerteams untersuchte er eine besondere Sorte von Sternexplosionen, die Supernovae vom Typ Ia. Diese sogenannten Standardkerzen im All machen Entfernungsmessungen möglich und geben darüber Aufschluss, wie schnell sich der Kosmos ausdehnt. Zu seiner eigenen Verblüffung stellte er dabei fest: Die Geschwindigkeit, mit der das Universums auseinander fliegt, vergrößert sich heute immer weiter. Die Fachwelt und auch er selbst waren damals vom Gegenteil überzeugt.

    Supernova vom Typ I-a. Gewaltige Sternenexplosion. Ein markanter, schneller Prozess. Überall im Universum läuft er ähnlich ab. Die Analyse des Explosions-Lichtes macht Entfernungsmessungen möglich. Supernova vom Typ I-a: Standardkerze zur Vermessung des Alls. Riess:

    "Ich hatte ein einfaches Computerprogramm geschrieben, das mir sagen sollte, OK, wir gehen davon aus, dass die Supernovae alle in einem Universum sind, das langsamer expandiert - wie viel wiegt dann das Universum? Die Antwort, die ich bekam, war schockierend: eine negative Zahl! Das konnte natürlich nicht stimmen. Mein Computer sagte mir auf diese Weise: Hey, Dir ist nicht aufgefallen, dass das Universum in Wirklichkeit beschleunigt expandiert."

    Riess und seine Kollegen hatten sich die Leuchtfeuer in zwei Entfernungen genau angeschaut: Zum einen solche Supernovae, die uns relativ nah sind und zum anderen weit entfernte, also solche, die vor einigen Milliarden Jahren explodiert waren. Am schwierigsten war es, diejenigen zu finden, die ganz weit draußen lagen, auf halbem Weg zum Urknall, erinnert sich Bruno Leibundgut. Er gehörte damals zu dem Astronomen-Team um Riess und arbeitet an der Europäischen Südsternwarte ESO.

    "Ich habe ein Spektrum damals analysiert, da hab ich mir ausgerechnet, da haben wir in einer Stunde fünf Photonen von dem Objekt beobachtet. In einem gewissen Wellenlängenbereich haben wir in einer Stunde fünf Photonen beobachtet. So was zu analysieren ist beliebig schwierig, ich habe da zwei Monate dran verbracht, nur an diesem einen Spektrum."

    All diese Messungen deuteten darauf hin, dass das Universum bei seiner Ausdehnung zunächst auf die Bremse, dann wieder aufs Gas gegangen war. Bald darauf bestätigte eine zweite unabhängige Arbeitsgruppe diese Ergebnisse. Leibundgut:

    "Es war ein sehr starker Wettlauf, wenn Sie mit jemandem von der Gruppe sprechen, behaupten die immer, dass sie vor uns da waren."

    In den vergangenen Jahren haben Riess, Leibundgut und Kollegen ihre Messungen bestätigen können. Sie haben inzwischen insgesamt 25 Supernovae beobachten können, die so weit weg und damit so alt sind, dass sie zu einer Zeit explodierten, als das Universum noch auf die Bremse ging. Adam Riess:

    "Die kosmologische Vorhersage war, dass diese sehr sehr weit entfernten Supernovae wieder relativ heller sein müssten. Und genau das haben wir gefunden. Es gab tatsächlich einen Übergang vor etwa fünf Milliarden Jahren, von einer verlangsamten hin zu einer beschleunigten Expansion des Alls. Es zeigt sich also: Die Supernovae geben uns Auskunft darüber, wie das Universum sich damals entwickelt hat."

    Die Messungen der Weltallbeschleunigung mit den Supernovae und die Analyse der kosmischen Hintergrundstrahlung waren zentrale Steine in dem Puzzle, das die Astronomen in den vergangenen Jahren zusammenlegten - zu einem einheitlichen Bild des Universums.

    Allerdings benötigten die Kosmologen eine kleine Ergänzung in Albert Einsteins Formeln zur Allgemeinen Relativitätstheorie: eine Konstante, die Einstein selbst mit dem griechischen Buchstaben Lambda abgekürzt hatte, die sogenannte kosmologische Konstante. Einstein selbst hatte diese Konstante zunächst übersehen, dann hatte er sie eingeführt, um sie dann doch wieder zu verwerfen. Heute sind die Astronomen sich sicher, dass sie diesen Term brauchen, aber sie sind sich nicht mehr sicher, ob es sich hierbei wirklich um eine Konstante handelt - oder um eine Dunkle Energie, die sich im Verlauf des Universums ändert. Riess:

    "Im Moment sieht es so aus, als hätten wir es mit einer kosmologischen Konstante Lambda zu tun. Das heißt aber nicht, dass das die richtige Antwort ist. Bislang sind unsere Messungen noch nicht genau genug, um zwischen einer Konstanten und anderen Modellen für die Dunkle Energie zu unterscheiden."

    Die Astronomen planen derzeit große Messkampagnen mit neuartigen Teleskopen und Satelliten, die das Rätsel der Dunklen Energie lösen sollen. Dabei geht es ihnen zum einen darum, die Supernova-Explosionen noch genauer und in größerer Zahl zu analysieren. Zum anderen aber wollen sie andere, vielversprechende Methoden weiterentwickeln. Einer dieser Wege besteht darin, große Bereiche des Nachthimmels mit einer hochauflösenden Teleskopkamera abzuscannen und mit diesen Bilder zu ermitteln, wie die Galaxien in verschiedenen Entfernungen verteilt sind. Weil die Galaxien-Verteilung zurückgeht auf Materie-Schwankungen in der Frühzeit des Universums, sind auch hier sehr präzise Beobachtungen möglich. "Baryonische Akustische Oszillationen" nennt sich diese Methode. Robert Nichol von der Universität von Portsmouth in England.

    "Wir haben mit der Galaxienverteilung eine Art universelle Messlatte für das Universum. Etwa so wie die rot-weiß gestreiften Stangen, mit denen Vermessungsingenieure arbeiten. Sie peilen die Stange und messen den Winkel der Stange aus der Entfernung, um daraus dann die Entfernungen zu berechnen. Genau das tun wir im Universum, wir messen Winkel in der Materieverteilung und bestimmen daraus dann Abstände sowie die Geschwindigkeit, mit der sich Abstände im Laufe der Zeit verändern."

    Auch der Astrophysiker Matthias Bartelmann von der Universität Heidelberg ist auf der Suche nach Hinweisen auf eine veränderliche "Dunkle Energie". Er vermutet, dass sie innerhalb von Galaxienhaufen Spuren hinterlassen haben müsste – also an den Orten im All, wo sich sehr viel Materie angesammelt hat.

    "Das heißt, ich sollte im Prinzip in der Lage sein, dadurch, dass ich nachmesse, wie dicht die Materie im Zentrum von Galaxienhaufen jetzt ist, rückzuschließen darauf, wann sie entstanden sind. Damit rückzuschließen auf die kosmologische Uhr sozusagen, und damit auf das Expansionsverhalten und damit auch darauf, ob die Dunkle Energie dynamisch war oder nicht."

    Wenn es den Astrophysikern tatsächlich gelänge, Indizien für eine Dunkle Energie zu finden, die sich im Verlauf des Universums geändert hat, so wüssten sie, dass Einsteins Relativitätstheorie nicht mehr ausreicht, um das Weltall zu beschreiben. Bartelmann:

    "Das würde weiterhelfen, weil wir dann erstens wüssten, es hat einen Sinn, nach Alternativen für die kosmologische Konstante zu suchen, die über Spekulationen hinausgeht. Und wir könnten dann versuchen, den zeitlichen Verlauf der Dichte der Dunklen Energie umzusetzen in ein Teilchen oder quantenphysikalisches Modell."

    Manche Astronomen berichten bereits auf Tagungen über erste Hinweise, nach denen diese treibende Kraft tatsächlich veränderlich sein könnte. Doch bislang reicht die statistische Qualität ihrer Daten für einen eindeutigen Nachweis nicht aus. Volker Springel:

    "Es wäre eine Sensation, wenn man entscheiden könnte, es ist keine kosmologische Konstante. Ich glaube, man würde dann immer überhaupt noch nicht verstehen, was es ist. Man würde wissen, dass es eine interessante Physik gibt. Aber mein Eindruck ist, dass man sich da auch in der Feldtheorie, also in der Teilchenphysik sehr stark den Kopf kratzt, was letztlich die physikalische Natur ist der Dunklen Energie. Das ist ein großes Rätsel."

    Die Teilchenphysiker vermuten, dass es sich bei der "Dunklen Energie" um einen Vakuumeffekt handelt. Eine Art Grundschwingung im leeren Raum, die das Universum auseinander treibt. Doch die entsprechenden quantentheoretischen Rechnungen ergeben allesamt einen viel zu geringen Wert. Er ist mindestens 10 hoch 50 Mal zu klein. Ganz offensichtlich haben die Wissenschaftler hier etwas sehr Grundlegendes nicht verstanden. Nichol:

    "Wenn ich also wetten würde, würde ich mein Geld darauf setzen, dass wir Einsteins Relativitätstheorie ändern werden, in 10, 20 vielleicht 30 Jahren. Eine solche erweiterte Theorie der Gravitation wird es uns dann erlauben, die Beschleunigung des Universums zu erklären."

    So lange aber die Dunkle Energie nicht verstanden ist, so lange ist auch unklar, wie es in ferner Zukunft weiter gehen wird – mit dem Universum.

    Das Ende des Universums, Schlussvariante 1: Die Dunkle Energie schwächt sich deutlich ab, so dass das Universum wieder in sich zusammen fällt. Das All schrumpft zusammen, verdichtet sich immer weiter und wird immer heißer. Es kommt zum "Big Crunch" – dem großen Zermahlen.

    Das Ende des Universums, Schlussvariante 2: Die Dunkle Energie wächst sehr stark an. Sie wird irgendwann stärker als alle anderen Kräfte, und das Universum explodiert regelrecht: Die Sterne und Planeten reißen auseinander, irgendwann auch die Moleküle. Die Kosmologen sprechen hier vom "Big Rip" – dem großen Riss am Ende der Geschichte.

    Das Ende des Universums, Schlussvariante 3: Die Dunkle Energie ist nichts weiter als Einsteins Konstante Lambda, sie ändert sich also nicht. Das Universum expandiert dann immer schneller bis in alle Ewigkeit.

    Volker Springel:

    "Es wird dann in Zukunft auch zu einem Freeze-out kommen, alles friert ein, weil die Dunkle Energie bewirkt eine immer schnellere Ausdehnung des Weltraums. Und dann können die Galaxien nicht mehr zueinander finden und zu größeren Objekten verschmelzen. Und sie vereinzeln dann und die Strukturentstehung hört dann auf."

    "Tausend Jahre flog ich nach oben,
    um die Spitze der Säule zu finden,
    konnte sie aber nicht erreichen.
    Als ich zurückflog,
    begegnete ich dem großen Vishnu,
    der ebenfalls zurückkehrte,
    müde und verdrossen."


    Hinweis: Den ersten Teil der Reihe "Kosmos und Zeit" können Sie hier nachlesen. Die dritte und letzte Folge Kosmos und Materie hören Sie in Wissenschaft im Brennpunkt, am 4. Januar, 16:30 Uhr.