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Vishnus Verwirrung, Teil 3

An spektakulären Naturschauspielen mangelt es dem Weltall nicht: Sterne werden geboren und schicken ihr Licht auf die Reise durchs All, andere explodieren oder werden von schwarzen Löchern verschluckt, Galaxien bilden sich, finden sich mit anderen Galaxien zusammen und bilden die großen, weitläufigen Strukturen im All. Doch das ist längst nicht alles. Astronomen haben herausgefunden, dass 85 Prozent der Masse im Universum unsichtbar ist.

Von Jan Lublinski | 04.01.2009
    Eine Spiralgalaxie am Nachthimmel. Ein gewaltiger Strudel, auf seinem Weg durchs All. Milliarden Sonnen wirbeln hier umher, drehen sich mit rasender Geschwindigkeit um ein gemeinsames Zentrum. Eigentlich müssten die Sterne in alle Richtungen davonfliegen, wie die Funken eines Feuerrades, denn die Anziehungskräfte zwischen ihnen sind schwach. Und doch bleiben sie zusammen, gehalten von einer geheimnisvollen Kraft.

    In allen Kulturen gibt es Erzählungen über den Ursprung, über den Anfang und die Größe der Welt. In der griechischen Mythologie wird der Kosmos aus einem silbernen Ei geboren. Und in der indischen Überlieferung suchen die Götter Brama und Vishnu nach dem Ende der Welt.

    ""Wir stritten beide heftig
    über dem formlosen Meer,
    als vor unseren Augen
    ein glorreicher, funkelnder Lingam erschien,
    eine flammende Säule mit dem Glanz
    von hundert Feuern,
    fähig, das Universum zu verzehren,
    ohne Anfang, ohne Mitte, ohne Ende,
    unvergleichlich, unbeschreibbar."


    Im vergangenen Jahrhundert hat auch die Wissenschaft der Astronomie eine solche Geschichte des Kosmos hervorgebracht. Sie beruht auf Himmelsbeobachtungen, auf mathematischen Formeln, sowie auf Computersimulationen, die den Lauf des Universums in vereinfachter Form nachbilden. Die Geschichte des Kosmos, von der uns die Astronomen heute berichten, ist in den vergangenen Jahren immer einheitlicher und klarer geworden.

    Vor 13,7 Milliarden Jahren: Der Urknall. Eine extreme Explosion. Aus der ersten Strahlung bilden sich Teilchen und ihre Gegenteilchen, Materie und Antimaterie, um sich kurz darauf gleich wieder zu vernichten. Nur ein winziger Rest Materie überlebt, er bildet eine heiße Suppe aus Elementarteilchen, dann Atomkerne und später Atome. Gaswolken entstehen, die Materie klumpt zusammen, verdichtet sich, nach einer Weile zünden die ersten Sterne. Sie kommen zu Galaxien zusammen, und bilden immer größere Strukturen, die Galaxienhaufen.

    "Wir wissen, dass es einen heißen Urknall gegeben hat."

    Volker Springel. Max Planck Institut für Astrophysik, Garching.

    "Eine der wichtigsten Evidenzen dafür ist, dass die Galaxien sich auseinander bewegen. Und diese Geschwindigkeit nimmt mit dem Abstand zu. Und wenn man diese Geschwindigkeit umdreht und das zurückrechnet in der Zeit. Dann scheint die Materie aus einem Raumgebiet gekommen zu sein, das extrem kompakt war."

    Obwohl die Astronomen in etwa verstanden haben, wie das Universum sich bislang entwickelt hat, liegen noch große Teile des Gesamtbildes im Dunkeln. So ist etwa unklar, warum die physikalischen Kräfte, die in der Natur wirken, genau so groß sind, dass ein Kosmos dabei herausgekommen ist, in dem Menschen leben können.

    "It requires an astonishing set of special circumstances for you and me to be here talking today."

    Gerry Gilmore, Universität Cambridge.

    "Eine erstaunliche Anzahl von sehr speziellen Umständen hat es möglich gemacht, dass wir uns heute über diese Fragen unterhalten können. Die Bindungsenergien der Moleküle, die unsere Körper zusammen halten, müssen zum Beispiel genau die richtige Größe haben. Wenn das Universum nur ein wenig leerer gewesen wäre, wäre es so schnell expandiert, dass die Gravitationskraft keine Chance gehabt hätte, die Materie zu Sternen und Galaxien zusammenzuziehen. Das Universum wäre dann ein sehr langweiliger Ort geworden. Wasserstoffatome, vielleicht ein paar Helium-Atome. Von Menschen keine Spur."

    Wäre aber nach der gegenseitigen Vernichtung von Materie und Antimaterie noch mehr Materie übrig geblieben, dann wäre das Universum sehr rasch wieder in sich zusammengestürzt. Gilmore:

    "Es gibt hier nun zwei mögliche Denkrichtungen. Die eine lautet: Wir haben einfach eine Art Glückslos gezogen. Aber ein Glückslos kann man nur ziehen, wenn jemand sehr viele Lose verkauft hat. Wo aber sind die anderen Lose? Vielleicht gibt es eine Menge Universen da draußen, die alle ganz anders sind als unseres. Wir können mit ihnen nicht kommunizieren, weil sie in ihrem eigenen Raum und in ihrer eigenen Zeit leben. Vielleicht sind sie alle gleichzeitig entstanden und wir leben eben in dem Universum, in dem wir leben können. Die zweite Denkrichtung lautet: Es gibt ein fundamentales Gesetz der Physik, das genau die Bedingungen schafft, unter denen wir existieren können. – Beide diese Alternativen sind doch recht sonderbar."

    Nicht weniger verwunderlich ist der Umstand, dass die Physiker bis heute keine vollständige Erklärung dafür haben, wieso die Sterne in Galaxien zusammenbleiben. Die Anziehungskräfte, die zwischen den Sternen wirken, reichen nicht aus, um sie zu halten. In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vermutete der Schweizer Astrophysiker Fritz Zwicky, im Universum seien große Mengen einer unsichtbaren Masse versteckt. Zwicky galt als verrückter Professor, er wurde zunächst nicht ganz ernst genommen. In den 70er Jahren berechnete dann der Brite Simon White die Bewegung von 700 Galaxien in einem Galaxienhaufen auf einem Computer – und bezog dabei auch eine unsichtbare Materie mit in seine Rechnungen ein.

    "Es war ein IBM-Computer in Cambridge, mit dem ich arbeitete. Ich musste ihn mit Lochkarten programmieren, damals. Aber in meinem Institut gab es keinen Lochkarten-Leser. Also musste ich immer mit einer Kiste voller Karten über die Strasse fahren, auch im Regen, und wenn ich Pech hatte, wurden sie nass und vom Computer gefressen statt verarbeitet."

    White, der heute Direktor des Max Planck Instituts für Astrophysik in Garching ist, wollte herausfinden, wo genau die hypothetische Masse sich befinden könnte, ob sie sich im Zentrum der Galaxien versteckt hielt, oder ob es andere geheimnisvolle, dunkle Orte im All gab. Die Berechnungen mit Hilfe des Lochkartencomputers ergaben ein eindeutiges Bild: Die unsichtbare Materie musste überall in dem Galaxienhaufen verteilt sein.

    "Der göttliche Vishnu,
    verwirrt wie ich
    durch diese Tausende von Flammen,
    sagt dann zu mir:
    ,Wir müssen die Quelle dieses Feuers suchen.
    Ich werde hinabsteigen,
    und du wirst hinaufsteigen mit all deiner Kraft."


    Nachdem Simon White anhand seiner Computersimulation erkannt hatte, dass die Dunkle Materie eine entscheidende Rolle für die sichtbaren Objekte im All spielte, begann er neu nachzudenken über die Strukturen im Kosmos. Gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Rees entwickelte er eine Art kosmischer Evolutionstheorie: Die so genannte hierarchische Galaxienentwicklung. Simon White:

    "Während das Universum expandiert, trennen sich immer mehr Objekte heraus – sie bilden neue, verdichtete Strukturen. Als erstes bilden sich sehr kleine Galaxien, aus diesen gehen dann Galaxien hervor, wie wir sie heute kennen. Aus diesen werden dann Galaxienhaufen und möglicherweise kommen inzwischen Galaxienhaufen zusammen und bilden Superhaufen. Nach diesem hierarchischen Modell wachsen kleine zu großen Objekten heran."

    Im Laufe der Jahre gewöhnten die Astronomen sich an den Gedanken, dass es eine unverstandene und unsichtbare Substanz im All gibt. Sie nannten sie die Dunkle Materie. Bis heute ist unklar, woraus sie genau besteht. Astronomen haben aber einen starken Verdacht: Es könnte sich um bislang noch unbekannte Elementarteilchen handeln, die sich in erster Linie durch ihre Schwerkraft bemerkbar machen und die seit dem Urknall durchs All driften. Die Physiker sprechen von WIMPS – Feiglingen – oder als Akronym: Weakly Interactive Massive Particles – Schwach wechselwirkende Teilchen.

    "Die fliegen andauernd an uns vorbei. Die fliegen jetzt auch hier durch das Büro."

    Josef Jochum, Universität Tübingen.

    "Ich glaube es sind etwa eine Milliarde, die pro Tag durch unseren Körper strömen. Da sie – ja sie sind dunkel, das heißt sie machen keinerlei Reaktionen, die sie sichtbar werden lassen."

    Einen Wimpernschlag nach dem Beginn von Raum und Zeit. Das Universum dehnt sich aus, kühlt ab. Dunkle Teilchen lösen sich aus der Ursuppe heraus, in unvorstellbar großer Zahl. Sie sind unsichtbar, wie Geister fliegen sie umher, machen sich nur durch ihre Gravitationskraft bemerkbar. Nach dieser frühen Geburt dehnt sich der Kosmos weiter aus und wird immer kälter. In geringerer Zahl entstehen die Teilchen der sichtbare Materie: Quarks und Elektronen, die später die Atome und noch später die Sterne und Galaxien bilden. Wie Bojen schwimmen diese Himmelsobjekte in einem Meer aus unsichtbaren Teilchen. Volker Springel:

    "Das ist eine andere Simulation. Die Milleniums-Simulation. Und die Animation zeigt einfach einen Zoom in die kosmische Struktur."

    Auf dem großen Flachbildschirm in Volker Springels Büro am Max Planck Institut für Astronomie in Garching ist eine farbige, melierte Struktur auf schwarzem Grund zu sehen, sie erinnert ein wenig an eine Raufasertapete. 2,4 Milliarden Lichtjahre beträgt die Kantenlänge dieses Bildes. Es ist Teil einer Computersimulation. So in etwa würde das Universum aussehen, wenn man von außen draufschauen und die Dunkle Materie sehen könnte. Springel zoomt zügig hinein, und macht immer kleinere Ausschnitte des Schattenuniversums sichtbar.

    "Auf kleineren Skalen haben wir dann diese fadenartigen Strukturen, die kosmischen Filamente. An den Kreuzungspunkten sitzen dann die größten Strukturen im Universum, das sind die Galaxienhaufen. Und solche Galaxienhaufen sind kugelförmige Zusammenballungen der Dunklen Materie. Aber eingebettet in so einen Galaxienhaufen hat man auch Substrukturen, kleine Halos, ein bisschen selbstähnlich. Und diese Substrukturen sind die Galaxien, die umeinander kreisen, etwa 1000 Stück."

    Diese Computer-Simulation dient Springel nicht nur dazu, die Dunkle Materie sichtbar zu machen. Er nutzt sie auch als eine Art Experiment und prüft, ob die virtuellen Strukturen dem entsprechen, was seine Astronomen-Kollegen mit ihren Teleskopen am Himmel beobachten. Dabei stellt sich immer wieder heraus: Die Simulationen zur Dunklen Materie stimmen mit den realen Bildern des Weltalls überein. Volker Springel:

    "Der Punkt ist der, man kann diesen Zoom weitertreiben auch in eine Galaxie hinein und dann entdeckt man da wieder Substruktur und wieder sind das Tausende und Abertausende, die sind natürlich kleiner. Das Spiel kann man weiter treiben, und auch hier hineinzoomen und man entdeckt auch dort Substrukturen."

    Wie bei russischen Puppen, die ineinander geschachtelt sind, öffnet Springel mit seinem Zoom eine Materieschicht nach der anderen. Lange dachten die Astronomen, dass die Struktur von Galaxien verloren geht, wenn sie zusammentreffen und größere Objekte bilden...

    "Was aber auch oft passiert, ist, dass wenn eine kleine, sehr kleine Galaxie zum Beispiel zehnmal oder 100 Mal kleiner, in eine große Galaxie hineinfällt, dann überlebt der kleinere Partner. Eine Weile zumindest. Und der geht auf in dem Hintergrund des größeren Partners. Und bewegt sich dort dann eine Weile, für viele Milliarden Jahre, bis er dann endgültig zerstört wird. Bis dann die endgültige Verschmelzung stattfindet. - Aber weil es dann so viele Objekte sind, die in einen Halo reinfallen, hat dieser dann am Ende eine Population von ganz vielen kleinen Satellitensystemen."

    "Tausend Jahre stieg Vishnu hinab,
    gelangte aber nicht an die Basis des Lingam.
    Indessen hatte ich mich
    in einen schneeweißen Schwan
    mit glühenden Augen
    und großen Flügeln verwandelt,
    und mein Flug war so schnell wie der Wind
    und der Gedanke."


    Aufgrund verschiedener astronomischer Messungen glauben die Astronomen recht genau zu wissen, woraus das Universum besteht: 23 Prozent der Energie steckt heute in Dunkle Materie Teilchen. Weitere 73 Prozent des Universums macht eine ebenfalls mysteriöse Dunkle Energie aus, welche die Expansion des Kosmos vorantreibt und deren Wesen noch unverstanden ist. Nur vier Prozent entfallen auf gewöhnliche Materie, wie wir sie kennen: Sterne, Planeten - und auch die Schwarzen Löcher gehören dazu. Diese besonders dichten Sterne sind zwar nicht direkt sichtbar, aber sie bestehen letztlich aus gewöhnlicher Materie und machen nur einen winzigen Bruchteil der Gesamtmasse des Alls aus. Der größte Teil der Masse im All besteht also aus Dunkler Materie in Form von bislang unbekannten Elementarteilchen - vermuten die Wissenschaftler. Gilmore:

    "Das ist also ein wichtiger, neuer Schritt, den wir hier vollziehen: Nach Newton und dem kopernikanischen Prinzip wissen wir, dass wir nicht im Zentrum der Welt stehen. Weder die Erde noch die Sonne. Und auch unsere Milchstraße ist nur eine von unzähligen Galaxien. Und jetzt erkennen wir, dass wir nur einen Bruchteil der Materie sehen, die tatsächlich vorhanden ist. Zudem bestehen wir selbst noch nicht einmal aus der Materie, die im All die wichtigste Rolle spielt. Das heißt insgesamt: weder unser Ort im All ist etwas Besonderes, noch das, was wir sehen, noch das, woraus wir bestehen."

    Springel:

    "Das ist jetzt 60 Millionen Jahre nach dem Urknall, wir sehen hier die Wolke der Materie, noch fast gleichmäßig im Universum, aus der sich dann irgendwann die Milchstraße bilden wird."

    In den vergangenen Monaten hat Volker Springel noch an einem weiteren großen astronomischen Computermodell gearbeitet. Für seine neue Aquarius-Simulation hat er sich nicht mehr das Dunkle Weltall als Ganzes vorgenommen, sondern die Entstehung unserer Milchstraße seit dem Urknall. Um sich diese Entwicklung im Zeitraffer anschauen zu können, hat er einen Großrechner mehrere Monate lang die Bewegungen von einer Milliarde Teilchen in unserer Galaxie berechnen lassen.

    "Jetzt sind wir schon 130 Millionen Jahre nach dem Urknall. Wir sehen die ersten kleinen Materieklümpchen. Ziemlich viele davon. Mit hoher Geschwindigkeit entstehen jetzt weitere Verklumpungen in dieser Materie."

    Das feingesponnene Netzwerk der kosmischen Struktur wächst an. Klümpchen aus Dunkler Materie bilden sich, stoßen zusammen und verschmelzen. Auf diese Weise entstehen immer größere Materieansammlungen. Springel:

    "Jetzt hat sich die Protogalaxie gebildet. Das ist etwa eine Milliarde Jahre nach dem Urknall. Wir haben einen relativ großen Halo aus Dunkler Materie. Das ist die Proto-Milchstraße. Es entstehen viele Sterne. Auch ein schwarzes Loch wird da schon vorhanden sein. Es beeinflusst auch die Entstehung der zentralen Verdickung in dieser Galaxie. Später, nach vier Milliarden Jahren fängt dann auch diese Scheibe an, sich zu bilden - und viele der Sterne sind da jetzt bereits gebildet."

    Volker Springel will diese Simulation der Teilchenbewegungen nun auch nutzen, um die reale Dunkle Materie am Himmel zu entdecken. Die hypothetischen Dunkle-Materie-Teilchen sind zwar unsichtbar und machen sich vor allem durch ihre Gravitationskraft bemerkbar. Den Theorien der Teilchenphysiker zufolge aber könnte es - wenn auch nur sehr selten - vorkommen, dass die obskuren Teilchen doch mit anderen Partikeln oder untereinander zusammenstoßen. Bei einer Kollision mit ihresgleichen würden sie sich gegenseitig vernichten und Gammastrahlen aussenden. Nach diesen Signalen hält derzeit ein Forschungssatellit namens "Fermi" Ausschau. Volker Springel:

    "Wir haben jetzt unsere Simulation benutzt, um Voraussagen zu machen, wo denn der Satellit sozusagen hinschauen sollte. Wo ist die Wahrscheinlichkeit am größten, irgendwas zu sehen. Und das, wenn das gelänge, wäre natürlich eine wissenschaftliche Sensation."

    Auch andere Forscherteams hoffen, dass ihnen ein Durchbruch bei der Suche nach Dunkler Materie gelingen wird. In den vergangenen Jahren haben sich Teilchenphysiker insbesondere darum bemüht, die seltenen Kollisionen von Dunkle-Materie-Partikeln direkt zu messen. Sie bauen neuartige, besonders empfindliche Experimente in Tunnels und Bergwerken auf. Denn unter Tage sind sie abgeschirmt von der kosmischen Strahlung.

    Seit 13,7 Milliarden Jahren ist das Teilchen der Dunklen Materie unterwegs, ziellos irrte es durchs All, um nun die Milchstraße zu durchqueren. Zufällig wird es von der Erde angezogen, driftet durch die Nordhalbkugel, um dann plötzlich in einem Bergwerk durch eine Apparatur mit einem Germanium-Kristall zu fliegen. Während all die anderen Partikel ihre Reise unbeirrt fortsetzen, löst sich dieses eine Teilchen für einen kurzen Moment aus seinem eigenen Schatten. Es gibt einem der Germanium-Atomkerne einen kleinen Schubs, der Kristall erwärmt sich leicht. Das Teilchen hinterlässt einen zarten, kaum merklichen Gruß vom Anfang des Universums.

    Noch ist es den Physikern nicht gelungen, Signale der Dunkle-Materie-Teilchen zu registrieren. Jodi Cooley von der Stanford Universität in Kalifornien ist aber optimistisch. Sie arbeitet an einem Experiment namens CDMS, das sich in einer stillgelegten Mine im US-Bundestaat Minnesota befindet.

    "Wir waren lange in einem Bereich unterwegs, wo es weder Theorien noch Vorhersagen gab. Das ist jetzt anders. Ich habe erst kürzlich einem Theoretiker-Kollegen unsere Daten gezeigt. Er sagte, wir hätten damit ein theoretisches Modell widerlegt, an das er geglaubt hatte. Das ist ein großer Schritt - denn normalerweise haben Theoretiker schnell neue Modelle zur Hand. Wir machen also wirklich Fortschritte."

    Auch in Frankreich und in Italien betreiben Physiker ähnliche Experimente. In den vergangenen Jahren ist ein recht starker Wettlauf zwischen diesen Forschergruppen entstanden. Josef Jochum von der Universität Tübingen, arbeitet an einem Experiment namens Cresst, das in einem Tunnel im italienischen Gran Sasso Massiv nach Dunkler Materie Ausschau hält.

    "Für die Physik insgesamt ist es wichtig, dass man da drei Experimente hat, die unabhängig voneinander sind, die einen ähnlichen Level haben. Klar – Physik wird von Menschen gemacht, und wer die Nase vorn hat, treibt natürlich an, da weiter zu machen und besser zu sein. Das ist ein großer Teil der Motivation, natürlich."

    Während die Jagd nach dem ersten Dunkle Materie Teilchen aus dem All weitergeht, hat der Astronom Gerry Gilmore gemeinsam mit seinen Kollegen an der Universität Cambridge in Großbritannien ganz besondere Sterneninseln entdeckt: 25 Zwerggalaxien, die um die Milchstraße kreisen.

    "Das Interessante an diesen Zwerggalaxien ist, dass sie relativ schwer sind. Sie wiegen 100 Millionen mal so viel wie die Sonne, aber sie haben mitunter nur 100 Sterne. Das heißt, sie bestehen fast nur aus Dunkler Materie. Sie leuchten sehr schwach und sind entsprechend schwer auszumachen."

    Gilmore und Kollegen beobachten die Bewegungen der Sterne in diesen Zwerggalaxien und schließen so auf die Geschwindigkeiten, mit denen die Dunkle Materie Teilchen sich bewegen. Er glaubt, in seinen Daten sogar Hinweise darauf entdeckt zu haben, um welche Elementarteilchen es sich handeln könnte.

    "Die einzig plausible Erklärung für unsere Daten besteht darin, dass es sich nicht, wie viele Kollegen vermuten, nur um eine Sorte von Dunkle-Materie-Teilchen handelt. Vielmehr haben wir es vermutlich mit einem ganzen Spektrum aus Teilchen zu tun. Amüsanterweise sehen unsere Ergebnisse so aus, als sei das unter den Physikern beliebteste aller Dunkle-Materie-Teilchen, das Neutralino, gar nicht dabei. Es wird in Zukunft also sehr spannend, ob das, was wir in der Natur beobachten, mit dem zusammenpasst, was die Kollegen am Forschungszentrum Cern in Genf herstellen werden."

    In der Tat wollen die Physiker an ihrem neuen Teilchenbeschleuniger LHC neben anderen hypothetischen Teilchen auch die Dunkle-Materie-Partikel künstlich erzeugen. Sobald die Pannen an dieser Maschine behoben sind, wollen sie hier zumindest einen Teil des Rätsels um die versteckte Masse im All lösen. Gilmore:

    "Wir erhoffen uns von dem Beschleunigerexperiment, dass es uns die Zutaten für ein Rezept gibt. Es wird uns sagen, unter welchen Umständen diese oder jene Teilchen existieren können und wie viele von welcher Sorte wir haben können. Die Astronomie wiederum wird uns das Rezept geben. Und die Kombination aus Rezept und Zutaten wird es uns dann schließlich ermöglichen, den Kuchen zu backen."

    Im Idealfall werden die Ergebnisse aller Forschungszweige dann zusammenpassen: Die Eigenschaften der künstlich hergestellten Teilchen in Genf, die Messungen der realen Teilchen in den Experimenten unter Tage und schließlich die Beobachtungen und Computersimulationen der Astronomen. Die Suche nach der Dunklen Materie wird somit zum Prüfstein für die Physik insgesamt. An ihr wird sich die Frage beantworten lassen, ob es dieser Wissenschaft auch in Zukunft noch gelingen wird, zu einem tieferen Verständnis des Kosmos vorzudringen. Gilmore:

    "Wir haben keine Ahnung, ob die Wissenschaft sich immer so weiter entwickeln wird. Vielleicht sind die Physik und die Biologie ja auch gerade dabei, ihre Grenzen zu erreichen. Vielleicht wird die nächste Revolution ja auch nicht in der Physik stattfinden, sondern eine Revolution der wissenschaftlichen Methode sein. Wer weiß."

    "Tausend Jahre flog ich nach oben,
    um die Spitze der Säule zu finden,
    konnte sie aber nicht erreichen.
    Als ich zurückflog,
    begegnete ich dem großen Vishnu,
    der ebenfalls zurückkehrte,
    müde und verdrossen."



    Hinweis: Die Teile 1 Kosmos und Zeit und 2 Kosmos und Energie wurden am 31.12.08 und 01.01.09 gesendet.