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Visionär der Großstadt

Das Pergamonmuseum auf der Museumsinsel sollte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Krönung der Laufbahn von Alfred Messel sein. Doch seinen exzellenten Ruf hatte sich der Architekt zuvor ausgerechnet mit Kaufhausbauten erworben.

Von Carsten Probst | 04.11.2009
    Ein Kaufhausarchitekt als Museumsbaumeister? Oder, um es mit Moritz Wullen, dem Direktor der Berliner Kunstbibliothek, zu sagen:

    "Die Metapher des Museums als eines Warenhauses für die Vielfalt der Vergangenheit - und die Metapher des Warenhauses als eines Museums für die Vielfalt der Gegenwart."

    Was für manchen Museumsfreund wie eine Horrorvision des globalisierten Ausstellungsbetriebes von heute klingt, das erhält im Werk des Architekten Alfred Messel eine unvermutet historische Note. Bevor er sich ab 1907 an seine Pläne für das neue Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel machte, war er vor allem als Ideengeber für die Berliner Großstadtarchitektur zwischen Historismus und Moderne bekannt, insbesondere als bahnbrechender Erneuerer der Berliner Kaufhausarchitektur. Sein "Kaufpalast" der Warenhauskette Wertheim war am Beginn des 20. Jahrhunderts ein bis dahin allenfalls von Pariser Vorbildern bekanntes Gesamtkunstwerk. Es stand am Leipziger Platz, unweit des Berliner Kulturforums, in dem nun diese Ausstellung zum Andenken an Messels 100. Todestag gezeigt wird. Mit einem Lichthof in der Mitte und fast 110.000 Quadratmetern Konsumausstellungsfläche, mit kathedralenartigen Glasfenstern, Skulpturen und Wand- und Deckenmalereien setzte Messel alles daran, das flüchtige Treiben des Konsums mit dem Zitieren ewiger Werte zu rahmen. Die Außenfassade gestaltete er mit riesigen, vertikal in die Höhe schießenden Maßwerkfenstern wie eine gotische Kirche. Das war, man muss das heute ausdrücklich betonen, keine Ironie. Es war buchstäblich heiliger Ernst, und es entsprach dem preußischen Geist jener Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, den Einbruch der kapitalistischen Massenkultur geradezu beschwörend mit pädagogischen Ermahnungen zu begleiten, ja nicht die Tradition dabei zu vergessen.

    Messel hatte hier sein großes Experimentierfeld gefunden, die Formulierung des architektonischen Erbes für die Gegenwart, und er erwies sich dabei als eleganter und pragmatischer Eklektizist, der unterschiedlichste Traditionslinien aufnehmen und für die damalige Gegenwart nutzbar machen konnte, sei es nun bei Warenhäusern, bei Reformsiedlungen für die Arbeiterklasse, bei denen Messel das inzwischen zum geflügelten Wort gewordene Berliner "Karrée" erfand, oder sei es bei den Staatsaufträgen. Staatsaufträge erhielt Alfred Messel freilich nur sehr wenige, weil schon im Kaiserreich eine jüdische Abstammung als Nachteil gegenüber Mitbewerbern ins Gewicht fiel.

    Der größte war der für das Pergamonmuseum, für Messel die Krönung seiner Laufbahn. Messel starb jedoch schon 1909, noch bevor der erste Spatenstich stattfinden konnte. Der heute zunächst klobig wirkende Bau, der von Ludwig Hoffmann nach Messels Plänen ausgeführt wurde, hatte strengsten staatlichen Vorgaben für die Kunst-Akropolis auf der Museumsinsel zu folgen. Messel war daher viel weniger frei in seinem Formenspiel als bei seinen Warenhäusern, versuchte aber, die Raumerfahrungen großer, prachtvoller Sichtachsen von dort in den Museumsbereich einzubringen und ganze begehbare Tempellandschaften im Inneren zu gestalten. Messel ging es dabei freilich um das Museum als Korrektiv der Konsumwelt.

    Diese hervorragende Ausstellung der Kunstbibliothek und der Technischen Universität Berlin fasziniert durch ihren Blick in eine Zeit, in der der heutige Begriff der Moderne mit ihren gewaltsamen Brüchen noch gar nicht existierte. Solche Brüche mit der Tradition entsprachen auch nicht Messels Selbstverständnis. Sein Versuch einer zeitlosen Architektur hat gleichwohl viele moderne Nachfolger beeinflusst, insbesondere wohl den jungen Mies van der Rohe. Auch der für die kommenden Jahre geplante vierte Flügel des Pergamonmuseums von Oswald Matthias Ungers versteht sich in dieser Tradition Messels. Die keineswegs kleine Fraktion der Berliner Traditionsfundamentalisten sieht darin freilich einen unerlaubten Angriff der Moderne auf die übrige Zeit.