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Visionen in Bluegrass

Chris Thile gilt als Mandolinen-Wunderkind. 2006 hat er die Punch Brothers gegründet, eine progressive Bluegrass-Band, die den Geist der Alternative Music mit traditioneller amerikanischer Musik verbindet. Sogar Songs von Radiohead hat die Band bluegrassifiziert.

Von Jörg Feyer | 20.10.2012
    Es klingt immer so mühelos und selbstverständlich. Selbst wenn die Punch Brothers "Kid A", das gerade gehörte, vertrackte Instrumental von Radiohead, mal eben in den Bluegrass-Gassenhauer "Wayside" münden lassen.

    Aber ist das überhaupt noch die traditionelle Roots-Musik aus den Bergen, wie die klassische Bluegrass-Besetzung mit Fiddle, Akustik-Gitarre, Mandoline, Kontrabass und Banjo vermuten lässt? Oder doch schon Folk vom anderen Stern? Gitarrist Chris Eldrige antwortet.

    Egal, wie weit wir uns von Bluegrass entfernen, diese Instrumente werden damit assoziiert. Bei "Kid A" etwa haben wir einfach alle Teile des Stücks auf unsere Folk-Instrumente übertragen. Dennoch heißt es, wir hätten Radiohead bluegrassifiziert – was so nicht wirklich stimmt. Ob das ein Stigma ist? Jedenfalls kommen die Leute nicht an der Idee vorbei, dass wir eine Bluegrass-Band sind. Was nicht unbedingt schlecht ist.

    Bluegrass ist unser Fundament, ergänzt Chris Thile. Aber wir blicken lieber nach vorn als zurück. Viele Bands fühlen sich den großen Meistern einfach zu sehr verpflichtet. Wir schließen alte Bluegrass-Elemente wie den hohen, mehrstimmigen Harmoniegesang schon mit ein, wollen aber auch ein Teil der modernen Musikgemeinde sein.

    Die Geschichte der Punch Brothers beginnt bereits vor ihrem Namen. "How To Grow A Woman From The Ground" firmiert 2006 noch als Solo-Album von Chris Thile, der mit Mitte 20 schon frisch geschieden ist, ein Frühstarter auch hier. Den ersten Grammy hatte der Mandolinen-Wunderknabe mit dem Trio Nickel Creek da längst in Empfang genommen. Die Scherben seiner ersten Ehe kehrt der Wahl-New Yorker dann auch mit einer Bluegrass-Kur für die White Stripes und ihr Stück "Dead Leaves And The Dirty Ground" zusammen.

    Für mich ist es das Größte, wenn Musik mich überrascht und zugleich befriedigt, sagt Chris Thile. Wenn du dir an den Kopf fasst und denkst: Na klar! Warum bin ich da nicht drauf gekommen? Bei den Punch Brothers geht’s immer um diese Balance - nicht zu offensichtlich zu sein und zugleich nichts zu tun, was sich einfach nur neu anhört, aber sonst keinen Grund hat, da zu sein.
    Dieser Balanceakt gelingt dem Quintett auf seinem aktuellen, dritten Album "Who’s Feeling Young Now" so gut wie noch nie, zumal Songs wie "This Girl" endlich auch den Humor ihrer Bühnenshow ins Studio bringen.

    Jetzt wollen die Punch Brothers noch einmal für drei Konzerte nach Deutschland kommen. Was Chris Thile nicht nur deshalb wirklich gerne tut, weil sein Ur-Ur-Großvater einst von Hamburgs Überseebrücke aus den weiten Weg nach San Diego, Kalifornien antrat. Oder weil hier ein besonders verständiges Publikum wartet, wenn er mal eben ein Stück von Johann Sebastian Bach auf seiner Mandoline spielt. Aus einer Zeit bevor irische und schottische Immigranten die Grundlagen für die Musik in die neue Welt brachten, der dann Bill Monroe mit seinen Bluegrass Boys den Namen geben sollte.

    Ich toure hier auch deshalb so gern, weil Bluegrass bei euch nicht gerade zum musikalischen Grundwissen gehört. Weshalb unsere Musik wieder ganz auf ihre nackte Basis reduziert wird. Auf die Frage nämlich: Macht sie die Leute an? Oder nicht? Nur das zählt. Und nicht, ob sie irgendwie die behagliche Basis von Bluegrass transzendiert.