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Vive la force de frappe

In Frankreich gelten die Nuklearwaffen als ein Pfeiler des nationalen Selbstverständnisses, quer durch die ganze Gesellschaft. Daran ändert auch nichts die neue Abrüstungspolitik auf Initiative des amerikanischen Staatspräsidenten.

Von Suzanne Krause | 12.04.2010
    "Die nukleare Verteidigungsstrategie: ein historischer Wille",

    ist auf der Webseite des französischen Staatspräsidenten zu lesen. Bei der so genannten Force de frappe ist er ganz in die Fußstapfen Charles de Gaulles getreten. Ein knappes Jahr nach seinem Amtsantritt, bei einer Grundsatzerklärung zum Thema "Sicherheit und Verteidigung", betont Nicolas Sarkozy:

    "Mancher sagt uns, die nukleare Verteidigungsstrategie sei dem 21. Jahrhundert nicht angemessen. Ich denke da anders. Denn angesichts der unsicheren Welt handelt es sich dabei um die Lebensversicherung unserer Nation. Ebenso garantiert sie uns Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit bezüglich jeglicher Gefahr für unsere vitalen Interessen. Ich gehe also davon aus, dass Frankreich so lange, wie die Atomwaffen für unsere Sicherheit notwendig sind, auch über solche Einsatzmittel verfügt."

    So oder ähnlich haben es bislang auch alle Amtsvorgänger in Paris gesehen. Seit General de Gaulle mit der fünften Republik auch die Atompolitik aus der Taufe gehoben hat, 1958, mitten im Kalten Krieg. Sechs Jahre später waren die ersten nuklearen Waffen einsatzbereit. Heute gilt Frankreich als die viertgrößte Atommacht. Das Herzstück sind die drei Atom-U-Boote mit Raketenstartrampen, von denen zwei permanent durch die Weltmeere kreuzen. Ein viertes Atom-U-Boot ist kurz vorm Stapellauf. Nach zwei Jahren Überholung im Trockendeck ist in Kürze der Flugzeugträger Charles de Gaulle wieder einsatzbereit. An Bord: Kampfflugzeuge mit Nuklearsprengköpfen. Die genaue Zahl der französischen Atomsprengköpfe ist gut gehütetes Staatsgeheimnis.

    Kürzlich jedoch versicherte Nicolas Sarkozy, es seien nicht mal mehr 300. Weniger als früher, dank der internationalen nuklearen Abrüstungsbemühungen, erinnert Dominique David. David ist Direktor des Institut français des relations internationales, einer der wichtigsten Denkfabriken im Land:

    "Wir sind für eine weltweite Verringerung der atomaren Arsenale. Und wir Franzosen haben unser Atomarsenal seit Beginn der 1990er-Jahre verkleinert. Die Zahl unserer Atomsprengköpfe wurde um mehr als ein Drittel reduziert. Wir haben die Atomtestbasis ebenso dichtgemacht wie die Abschussbasis für Landraketen auf dem Hochplateau von Albion. Heute erneuern wir zwar unsere Ausrüstung für deren Einsatzfähigkeit. Aber wir rüsten nicht mit neuer Technik nach, die neue Tests verlangen würde. Wir haben zu Beginn der 1990ziger Jahre den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und 1996 ebenso den Atomtestsperrvertrag. Wir waren schon immer und sind weiterhin für die Politik des Minimums of Terror, des Minimums an Abschreckungswaffen."

    Atomwaffengegner wie der in Lyon ansässige Verein "Observatoire des armements", Beobachtungsstelle für Nuklearwaffen, hoffen, Paris wenigstens zu einigen Zugeständnissen bewegen zu können. Wie beispielsweise, dass die atomaren Sprengköpfe nicht automatisch einsatzfähig montiert werden. Sondern erst im Falle einer unmittelbaren Bedrohung. Denn mit Obamas Ziel vom "Global Zero", der Vision einer Welt ohne Atomwaffen braucht man Paris nicht zu kommen. Das sei nichts als ein hehrer Traum, heißt es dort. Und die Verantwortlichen verweisen auf den Fall Iran: für sie ein Paradebeispiel für die Bedrohung der atomaren Proliferation. Überhaupt vertritt Sarkozy die Ansicht, bisher habe sein Land die atomare Abrüstung weltweit am weitesten getrieben. Bevor Frankreich sich 2009 wieder komplett in die Nato eingliederte, versicherte der Staatspräsident seinen Landsleuten:

    "Die nukleare Abschreckungspolitik Frankreichs bleibt eine strikt nationale Angelegenheit. Selbst wenn ich mir sicher bin, dass deren reine Existenz einen Beitrag zur Sicherheit in ganz Europa darstellt."

    Dennoch sucht Paris für seine force de frappe europäische Verbündete. Im September 2007 berichtete "Der Spiegel" von einem vergeblichen Versuch: "Sarkozy bot Deutschland Atomwaffen an". Ende März nun vermeldete die Tageszeitung Le Monde: "Paris und London ergründen eine Wiederbelebung ihrer militärischen Kooperation". Und würden in Geheimverhandlungen gemeinsame Patrouillen der Atom-U-Boote diskutieren. Die französischen Hintergedanken sind offensichtlich: Sarkozy möchte mit seiner starren Position in Sachen Atomwaffensperrvertrag bei der Überprüfungskonferenz, kommenden Mai in New York, nicht isoliert dastehen.