Dienstag, 19. März 2024

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Vizepräsidentin der Royal Society zum Brexit
"Wir befinden uns gerade in einer kritischen Phase"

Ein harter Brexit wird immer wahrscheinlicher. Bei der traditionsreichen Royal Society macht man sich deshalb Sorgen um die Zukunft des Forschungsstandortes. Grund zur Panik sieht Vizepräsidentin Ulrike Tillmann zwar nicht. Aber die Unsicherheit, wie es weiter gehe, sei ein Problem, sagte sie im Dlf.

Ulrike Tillmann im Gespräch mit Ralf Krauter | 20.08.2018
    Was würde ein harter Brexit für den Forschungsstandort Großbritannien bedeuten? Und was für den wissenschaftlichen Austausch mit der EU? Darüber hat Ralf Krauter mit Ulrike Tillmann gesprochen, Vizepräsidentin der Royal Society und Mathematik-Professorin an der Universität Oxford.
    Ralf Krauter: Mit wieviel Sorge schauen Forscher in Großbritannien aktuell auf das Brexit-Datum März 2019?
    Ulrike Tillmann: Die größte Sorge ist einfach im Moment die Ungewissheit. Damit zu leben, ist sehr schwierig im Moment. Die EU und insbesondere der europäische Forschungsrat unterstützt sehr viele Projekte hier in Großbritannien. Und es stellt sich natürlich sofort die Frage: Wie soll das in Zukunft weiter laufen? Persönlich sind natürlich auch viele Akademiker hier in Großbritannien betroffen, die von anderen EU-Staaten auf dem Festland sind. Da muss man sich fragen: Wie geht das weiter? Wie wird sich die Politik auswirken? Insgesamt denke ich mal: Solange die Politik rational handeln und die Wissenschaft nicht zu einem politischen Fußball wird, oder ignoriert und unterbewertet wird, müsste es eigentlich für die meisten Forscher individuell keinen großen Grund zur Sorge geben. Aber die internationale Zusammenarbeit hat natürlich am meisten zu verlieren. Und da glaube ich, dass eigentlich allen Beteiligten klar ist, dass man am meisten für alle gewinnen kann, wenn die Wissenschaft so international und offen wie möglich bleibt.
    Für sinkende Attraktivität bislang nur anekdotische Evidenz
    Krauter: Sie haben diese Unsicherheit, die da gerade herrscht, angesprochen. Hat der Forschungsstandort Großbritannien aufgrund dieser wachsenden Unsicherheit denn schon messbar an Attraktivität verloren. Wie nimmt die Royal Society das wahr?
    Tillmann: Messbar ist sehr schwierig, weil doch vieles durch anekdotisch auftaucht. Wir haben da keine Statistiken aber man hört zum Beispiel immer wieder, dass Wissenschaftler in Großbritannien sich wegen des Brexit überlegen, woanders eine Stelle zu suchen. Oder umgekehrt: Ausländische Wissenschaftler sich entschließen, eine angebotene Position in Großbritannien nicht anzutreten. Manche Wissenschaftler in Großbritannien fühlen sich auch jetzt schon ausgestoßen, ausgeschlossen wenn es um die Planung von internationalen europäischen Kooperationen geht.
    Ich denke mal, im Großen und Ganzen mit dem Brexit und der Polemik darum leidet Großbritannien insbesondere an einem internationalen Imageverlust - und das ist ganz klar, dass sich das bemerkbar macht. Aber das ist doch sehr schwierig, genau zu messen.
    Krauter: Sprechen wir über die konkreten Folgen für die Forscher in Großbritannien: Sie haben das Stichwort Europäischer Forschungsrat schon genannt. Ich habe gelesen, dass Großbritannien im Mittel pro Jahr rund eine Milliarde Euro aus Brüssel bekommt von diesem EMC. Wie hart wäre das, wenn im Gefolge eines harten Brexit diese Förderquelle komplett versiegen würde?
    Bei der Teilnahme am ERC geht es nicht nur ums Geld
    Tillmann: Erstmal hoffen wir natürlich, dass die britische Regierung die meisten Gelder ersetzen wird und dann wiederum für die Forschung insgesamt ein ähnlicher Betrag verfügbar ist. Aber für uns ist es natürlich auch sehr wichtig, im Europäischen Forschungsrat mit zu arbeiten. Und es geht nicht nur um die Gelder per se. Der Europäische Forschungsrat hat einen sehr hohen wissenschaftlichen Standard. Er setzt auf Exzellenz und ich glaube, die Briten haben da mitgewirkt, dass Exzellenz auch sehr wichtig ist. Und das wäre eventuell verloren, wenn wir nicht weiter im ERC mitarbeiten.
    Krauter: Rund 17 Prozent der Lehrenden und Forschenden an britischen Universitäten stammen aus dem EU-Ausland. In der Summe rund 32000 Menschen, darunter auch gut 5 000 Deutsche. Womit hätten denn all diese Leute zu rechnen, wenn es tatsächlich zu einem harten Brexit käme?
    "Man sollte vermeiden den Teufel an die Wand zu malen"
    Tillmann: Das ist eine gute Frage. Eigentlich bin ich sehr zuversichtlich, dass man mit 'business as usual' rechnen darf und sich für die Leute, die jetzt schon hier sind, nicht viel ändert. Es ist ja auch so dass man schon eine Vereinbarung erreicht hat mit der EU, im Prinzip zumindestens, letzten Dezember, dass die Europäer, die jetzt schon in England sind, auch weiterhin ihre Rechte behalten sollen. Und die Regierung hat auch Versicherungen gegeben, dass nicht nur die Leute die jetzt schon hier sind, ihre Rechte behalten, sondern auch ihre Familien, inklusive ungeborener Kinder, die vollen Rechte dann weiterhin haben. Von daher glaube ich, sollte man möglichst auch vermeiden da in Panik zu geraten und den Teufel an die Wand zu malen.
    Krauter: Machen wir es nochmal ganz konkret. Das heißt ja: Da müssten Leute, die jetzt schon in Großbritannien wohnen, künftig Visa beantragen, um dort bleiben zu dürfen. Sie müssten vielleicht für ihre Kinder dann plötzlich Universitätsgebühren bezahlen, weil bestimmte Stipendien nicht mehr gewährt würden. Da wird sich ja schon einiges ändern?
    Tillmann: Ok, Visa: Ich denke, das wird irgendwann mal laufen. Und es ist klar, dass man vielleicht irgendwann ganz klar machen muss, welche Rechte man hat. Aber ich glaube nicht, dass es da einen großen Unterschied geben wird. Wenn man als Tourist reist oder für Kurzreisen, wird man wohl auch kein Visum brauchen. Was anders sein wird in Zukunft, ist die Arbeitsberechtigung, wenn Ausländer dann hierher kommen. Das wird ein Problem werden. Aber die Royal Society setzt sich dafür ein, dass es für Forscher und Techniker möglichst reibungslose Verfahren geben soll, die auch nicht zu viel kosten. Also das stimmt, da kann man erwarten, dass es praktische Hürden gibt. Aber ich hoffe ,dass die nicht allzu hoch sind.
    Krauter: Wie sieht es mit Nachwuchsforscher aus - Doktoranden, Postdocs, die mal eben nach Oxford oder Cambridge wollen? Das wird dann ja alles komplizierter?
    Studenten müssen mit höheren Gebühren rechnen
    Tillmann: Das wird auch komplizierter. Und im Moment wissen wir noch nicht, wie das genau weiterlaufen wird. In England gibt es zum Beispiel Studiengebühren. Im Moment sind das rund 9000 Pfund für Engländer und EU-Mitglieder. Wie das genau in Zukunft laufen soll? Ob das bedeutet, dass andere europäische Studenten mehr bezahlen müssen, wie zum Beispiel Studenten aus Amerika, die erheblich mehr bezahlen müssen? Das muss man sehen, wie sich das alles klärt. Aber wir hoffen natürlich, dass man sich da auch einigt, dass es eigentlich so weiterlaufen soll wie bisher.
    Krauter: Was ist Ihr Eindruck: Welche Rolle spielen solche wissenschaftspolitischen Erwägungen bei den Brexit Verhandlungen? Finden Sie da Gehör mit ihren Argumenten?
    Tillmann: Ja, ich glaube wir finden Gehör. Premierministerin May hat in ihren Ansprachen eigentlich unsere Sorgen aufgenommen und auch ganz klar gesagt: Sie möchte, dass Großbritannien weiterhin voll mit der EU wissenschaftlich zusammen arbeitet. Das hört sich eigentlich sehr positiv an. Gewisse Sachen sind natürlich noch nicht klar. Darum sind wir jetzt gerade in einer kritischen Phase. Und ich glaube, da muss man einerseits aufpassen, dass man da nicht zu sehr in Panik gerät. Aber amdererseits müssen wir gleichzeitig auch sehen, dass die Wissenschaft gehört wird in diesem politischen Prozess und da nicht einfach die Stimme der Wissenschaft verloren geht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.