Vogel: Es sind Vorwürfe gegen den früheren Bundesvorsitzenden geworden, denen nachgegangen werden muss und die entkräftet werden müssen oder richtiggestellt werden müssen – oder die sich möglicherweise auch bestätigen können.
DLF: Halten Sie es für möglich, dass Kohl den Spendenfluss gesteuert hat, um seine persönliche Macht in der Partei zu festigen?
Vogel: Nein. Das schließe ich ebenso aus wie jede persönliche Bereicherung. Helmut Kohl ist viel zu viel 'Parteisoldat', als dass so etwas für ihn in Frage käme. Was ihn immer geleitet hat ist, die Partei zu einer schlagkräftigen Volkspartei zu machen. Und in seiner Amtszeit ist es ja immerhin gelungen, die Mitgliederzahlen mehr als zu verdoppeln. Das war sein Ziel, und dafür hat er gelebt – sicherlich nicht der Käuflichkeit von Macht wegen.
DLF: Er hat aber ja zugegeben, an der Partei vorbei von diesen Anderkonten gewusst zu haben. Damit bleibt doch eine Art moralisches Vergehen, oder nicht?
Vogel: Er hat für das, was geschehen ist in seinem Verantwortungsbereich die Verantwortung übernommen. Das ehrt ihn und das geht in Ordnung, und das betrifft offensichtlich auch Konten, die nicht im Regelwerk der Partei aufgetaucht sind. Dem muss nachgegangen werden, und dem geht die neue Parteiführung mit großer Energie nach.
DLF: Persönliche Macht ist die eine, und politische Einflussnahme ist die andere Seite. So lange man nicht weiß, woher das Geld kommt, so lange wird wohl ein Schatten bleiben – etwa, um ein Beispiel aus den neuen Ländern zu nehmen, das auch Gegenstand des Untersuchungsausschusses sein wird: Bei der Privatisierung der Chemiewerke Leuna und beim Verkauf des MINOL-Tankstellennetzes an den französischen Konzern Elf Aquitaine. Wie will die CDU diesen Schatten loswerden?
Vogel: Ich glaube, wir müssen die Dinge, um sie sachgerecht zu behandeln, unterscheiden. Es ist einmal die Frage: Gab es außerhalb des Parteiregelwerkes Konten, wer hat sie geführt? - Das hat ja der Parteivorsitzende nachweislich nicht selbst getan -, wer hat Spenden dort gemacht? Sind diese Spenden nach dem Parteiengesetz behandelt worden oder nicht? Das ist der eine Komplex. Der andere Komplex des Untersuchungsausschusses des Bundestages, der sich ja nicht mit der Parteifinanzierung beschäftigt, ist die Frage – ich sage es mal sehr vereinfacht –: War Politik käuflich? Und hier bin ich der felsenfesten Überzeugung – es wird sich ergeben –: Sie war nicht käuflich, auch nicht im Fall Chemie. Hier sehe ich die Sache so, dass gegen erbitterten Widerstand auch westdeutscher Chemiestandorte die Bundesregierung und der Bundeskanzler selbst dafür eingetreten sind, dass auch in den neuen Ländern ein gleichwertiger Chemiestandort entsteht und dafür mit aller Macht sich eingesetzt haben. Das ehrt sie. Der Standort liegt nicht in Thüringen, er liegt in Sachsen-Anhalt, aber ich begrüße als Repräsentant eines neuen Landes ausdrücklich diese Bemühung, solche Standorte nicht nur im Westen, sondern auch im Osten zu haben.
DLF: Nun gab es ja so etwas, was man gemeinhin das 'System Kohl' nannte. Und das System hat ja nicht geendet mit der Wahlniederlage im September vergangenen Jahres, dazu war Kohl über Jahrzehnte viel zu dominierend in der Partei. Wolfgang Schäuble hat jetzt den Begriff 'Patriarch' benutzt. Dieses Netz - dieses Verwobensein mit den Strukturen - kann sich ja, wie wir jetzt sehen, auch als Belastung darstellen. Ist der Ehrenvorsitzende mittlerweile zu einer Art Bürde für die Union geworden?
Vogel: Zunächst ist das Wort 'System' plötzlich modern. Man spricht jetzt vom 'System Kohl' und in Nordrhein-Westfalen spricht man vom 'System Rau'. Gemeint ist damit der Führungsstil von herausragenden Politikern, die über besonders lange Zeit Verantwortung – übrigens durch Wahlen immer wieder regelmäßig bestätigt – getragen haben und die jeder ihren Stil entwickelt haben. Das ist richtig, aber das mit dem etwas haut goût 'System' zu bezeichnen, das lehne ich ab. Worüber man sprechen kann, ist: Wie hat Helmut Kohl 25 Jahre die Partei geführt, und ich lehne es ab, dass – weil jetzt Vorwürfe gegen Kohl erhoben werden – jetzt manche gleich in Deckung gehen und wegducken und so tun, als hätten sie nur ganz entfernt gelegentlich mal mit Helmut Kohl zu tun gehabt. Nein: Mit gefangen – mit gehangen.
DLF: Es gibt in der Führung der Union allerdings auch Stimmen, die jetzt fordern – in der Regel werden sie allerdings nicht mit Namen zitiert –, die fordern, man müsse jetzt härter an Helmut Kohl herangehen; er wisse mehr, als er schon gesagt habe. Und dann gibt es die andere Meinung, die Sie – glaube ich – gerade formuliert haben. Ist da in der Führung der Partei auch eine Art Konflikt?
Vogel: Zunächst möchte ich einmal feststellen, dass der jetzige Parteivorsitzende einen anderen Stil pflegt als sein Vorgänger. Die Partei wird heute anders geführt als sie in der Kohl-Ära geführt worden ist. Das ist gut und auch voll berechtigt, denn es handelt sich um zwei verschiedene Persönlichkeiten. Später wird dann irgendein Kritiker vom 'System Schäuble' reden – etwa auch der Umgang des Bundesvorsitzenden und der Generalsekretärin miteinander. Kohl hat seinerseits im Präsidium und anderswo jede Mithilfe bei der Aufklärung der Vorwürfe angeboten. Das ist gut. Ich bin nicht für ein Abrücken und ich bin auch nicht für ein Näherrücken, sondern ich bin dafür, bei der Wahrheit zu bleiben. Die 25 Jahre Kohl als Parteivorsitzender und die 16 Jahre Kohl als Kanzler waren gute Jahre für Deutschland. Und daran ändern jetzt erhobene Vorwürfe nichts.
DLF: Dass Kohl tagelang verschwieg, die Protokolle der Vernehmung des Steuerberaters Weyrauch zu kennen, das trug ja aber nicht gerade zur Verbesserung des Klimas zwischen dem Ehrenvorsitzenden und dem Vorsitzenden bei.
Vogel: Ich habe keinen Anlass zu glauben, dass Kohl das verschwiegen hat. Hans Terlinden, der treue und loyale Mitarbeiter, hat in diesem Fall einen Fehler gemacht und hat das Protokoll nicht an den Bundesvorsitzenden, sondern an den Ehrenvorsitzenden weitergeleitet. Da lag der Fehler. Nicht Kohl hat das verschwiegen, sondern hier ist einem sehr, sehr verdienten Mann ein Fehler unterlaufen.
DLF: Schäuble hat ja im Anschluss daran Terlinden beurlaubt. Ein richtiger Schritt?
Vogel: Ja, so schwer es mir fällt, denn ich schätze und kenne Hans Terlinden seit vielen Jahren. In dieser Situation, wo es um absolute Aufklärung der Vorgänge geht, musste Wolfgang Schäuble wohl so handeln; leider – füge ich hinzu.
DLF: Versuchen wir mal ein bisschen der Sache auf den Grund zu gehen. Allen, die verantwortlich mit Geld umgehen, müssen sich ja eigentlich die Haare sträuben angesichts der Tatsache, dass in der CDU-Kasse die Einnahmeseite jahrelang von der Ausgabenseite getrennt war. Das heißt, dass also Generalsekretär und Geschäftsführer nicht wussten, woher das Geld kam, das sie ausgaben. Das soll ja nun geändert werden. Aber wie war so etwas überhaupt möglich?
Vogel: Das hat eine ganz einfache Begründung. Vor langer Zeit, noch vor Kohl, ist ein Schatzmeister berufen worden von der Partei, den man nicht dem Generalsekretär – der mehr eine Verwaltungsfunktion ausübte – unterstellen wollte. Darum hat man das damals getrennt, und darum wird übrigens – ganz im Gegensatz zum Generalsekretär´, der auf Vorschlag des Vorsitzenden von der Partei bestätigt wird – der Schatzmeister alle zwei Jahre von der Partei gewählt. Die demokratische Legitimation des Schatzmeisters ist besonders hervorgehoben. Aber es ist richtig, dass es an der Zeit ist, das zu ändern. Und ich stimme zu, dass man das auf dem nächsten Parteitag wohl auch tatsächlich ändern sollte.
DLF: Die Finanzlage der Union ist ohnehin angespannt. Nun kommen möglicherweise Rückzahlungen in zweistelliger Millionenhöhe hinzu. Steht die CDU vor dem Ruin?
Vogel: Die Finanzlage ist sehr angespannt, und die Diskussion der letzten Tage ist natürlich nicht dazu angetan, die Finanzlage zu verbessern. Möglicherweise – ich betone ausdrücklich 'möglicherweise' – könnte es zu Rückforderungen kommen. Ich denke nicht in zweistelligen Millionenbeträgen, aber ich weiß das nicht. Ich bin überzeugt, dass die CDU die Kraft hat – wenn es zu einer solchen Forderung kommt, sie zu bestehen. Das steht für mich außer Zweifel.
DLF: Schäuble hat Terlinden beurlaubt – wir haben darüber gesprochen. Schäuble wird möglicherweise andere Strukturen verändern. Ist der Vorsitzende am Ende der Affäre möglicherweise stärker als vorher?
Vogel: Ich hoffe das, wobei ich allerdings sagen muss: Seit Schäuble im Amt ist, führt er mit einem anderen Stil wie sein Vorgänger, aber mit dem richtigen Selbstbewusstsein und einer starken Einbindung des Präsidiums diese Partei. Ich begrüße das und ich denke, er hat die Erfolge, die die Union in 1999 in ungewöhnlichem Maße hatte, gut gemeistert. Er wird auch diese jetzige Schwierigkeit gut meistern. Im übrigen: Dass es für eine Partei nicht auf Dauer wolkenlosen Himmel gibt, das ist nicht ungewöhnlich. Und wir sind leider nach sehr, sehr wolkenlosen Zeiten in den letzten Monaten im Augenblick von schwarzen Wolken und von einem starken Gewitter heimgesucht.
DLF: Sie geben mir das Stichwort, Herr
Vogel: Die Umfragewerte lassen nach. Die Wahlkämpfer in Kiel und Düsseldorf haben Sorgen, eine sicher geglaubte Chance bei den kommenden Landtagswahlen einzubüßen. Wird es für Rühe und Rüttgers jetzt schwerer?
Vogel: Die Umfragen muss man beachten. Man muss aber beachten, dass sie Momentaufnahmen sind. Als ich zum Kandidaten für die CDU in Thüringen nominiert wurde, gaben wenige einen 'Pfifferling' für meine Chancen. Und viele haben mich gefragt: 'Wie konntest Du alter Esel Dich noch einmal in diese Aufgabe wagen? Du wirst einen schlimmen Abgang erreichen'. Das Wahlergebnis vom September war dann nicht schlecht für mich. Die Umfragen sind das eine und die Wahlergebnisse das andere. Ich hoffe, dass diese Vorwürfe sehr bald entkräftet werden und dass wir uns dann wieder auf die politische Diskussion konzentrieren, denn auf der Hauptbühne fallen gegenwärtig wichtige Entscheidungen bei der Regierung in Bonn, im Bundestag und im Bundesrat. Und die dürfen nicht ganz verdrängt werden.
DLF: Ich werde gleich darauf kommen. Einen Punkt wollte ich aber vorher noch mit Ihnen besprechen: Liegt ein womöglich noch größerer Schaden der Affäre nicht darin, dass dies auch Wasser auf die Mühlen der Politikverdrossenheit im Lande ist?
Vogel: Ja. Das ist eine Sache, die mich vor allem beschäftigt, weil ja in der Beobachtung häufig sehr vieles miteinander vermischt wird. Was die CDU betrifft, werden diese Anderkonten vermischt mit der Frage der politischen Entscheidungen bei den Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien. Die Vorwürfe gegen die CDU werden vermischt mit den Vorwürfen gegen den Ministerpräsidenten von Niedersachsen und jetzt auch gegen den Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. Und das alles führt dann zu neuer Partei- und Politikverdrossenheit, und das ist der eigentliche Schaden. Und da ist der eigentliche Punkt, wo wir alles tun müssen, um eine solche neue Welle der Politikverdrossenheit in Deutschland aufzuhalten. Sie schadet letztlich nicht einzelnen Persönlichkeiten, sondern unserem ganzen System.
DLF: Gibt es da auch so eine Art spezielle Komponente für die neuen Länder nach dem Motto: 'Früher hatten wir den schwarzen Kanal, jetzt haben wir die schwarzen Konten'?
Vogel: Nein, im Gegenteil. Ich beobachte: In den neuen Ländern ist das Thema, über das wir jetzt längere Zeit sprechen, eher weiter weg als in Bonn oder in Berlin. Und das hat auch einen sehr guten Grund. Wir haben hier einen sehr harten Alltag und haben nicht so wahnsinnig viel Zeit für Salongespräche.
DLF: In dieser Woche ist das Sparpaket der Bundesregierung im Vermittlungsausschuss, am Freitag dann im Bundesrat. Hans Eichel plant offenkundig die Freigabe von Bau- und Verkehrsmitteln in Höhe von 152 Millionen Mark zugunsten der Länder, von deren Zustimmung in den Verhandlungen abhängig zu machen. Können Sie das akzeptieren?
Vogel: Nein. Ich will zunächst einmal akzeptieren, dass der Bundesfinanzminister ernsthaft sparen will und dass ich von Anfang an gesagt habe, darin muss man ihn unterstützen. Aber in diese Art der Zusammenarbeit passen keine erpresserischen Elemente, und das hat beides nichts miteinander zu tun. Wir sind nicht auf einem Teppichmarkt und nicht auf einem Basar, sondern wir befinden uns in den beiden Parlamenten der Bundesrepublik Deutschland. Darum lehne ich es ab, obwohl ich beispielsweise an den Verkehrsleistungen brennend interessiert bin. Das ist der Lebensnerv in vielerlei Hinsicht für neue Länder, aber wir können nicht so tun, als spielen wir ein Kartenspiel.
DLF: Rund vier der angestrebten 30 Sparmilliarden des Finanzministers sind zustimmungspflichtig, darunter mit 2 ½ Milliarden das pauschalierte Wohngeld, das Eichel in die Verantwortung der Länder und Kommunen abschieben will – als größter Brocken. Sehen Sie hier oder in anderen Punkten Möglichkeiten der Annäherung?
Vogel: Gesetze, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, muss die Bundesregierung verantworten. Ich heiße nicht Lafontaine, ich will nicht alles blockieren und aufhalten. Gesetze, wo wir nur Einspruchsrecht haben, sollen in der Verantwortung der Bundesregierung bitte verabschiedet werden. Wo wir zustimmen müssen, übernehmen wir ein Stück Mitverantwortung. Und da muss mit uns geredet werden. Ich glaube unter dem Strich, dass in der Frage 'Familienleistungsgesetz', wo ja auch die Frage der Finanzierung offen ist, und in diesem Teil Sparpaket, wo das Wohngeld enthalten ist, dass hier am ehesten ein Kompromiss zu finden ist in der nächsten Woche. Wir wollen uns jedenfalls darum bemühen. Viel schwieriger ist das bei dem 'Verkehrswege-Planungs-Beschleunigungsgesetz'. Hier ist ein Lebensnerv on uns getroffen. Hier können wir das Jahr 2002 nicht akzeptieren; hier muss etwas dazukommen. Und besonders schwierig sind die gesundheitspolitischen Fragen, denn hier geht es um Weichenstellungen für Jahrzehnte.
DLF: Heute nachmittag tagt in Berlin das Bündnis für Arbeit. Es wird um den Vorschlag der Gewerkschaften einer 'Rente mit 60' gehen, ein Vorschlag, den die Rentenfachleute der Union ablehnen. Wie stehen Sie dazu?
Vogel: Von dieser 'Rente mit 60' halte ich nichts. Vom Bündnis für Arbeit möchte ich nur sagen: Es ist beachtlich, wie viel darüber geredet wird, dass man tagt – und wie wenig Ergebnisse dabei rauskommen. Ich möchte von meiner Seite mal sagen: Was absolut nicht geht ist, dass immer ein Mitspieler jeweils einem anderen erklärt: 'Wenn das und das nicht geschieht, spielen wir nicht mehr mit'. Die Verantwortung derer, die das Bündnis für Arbeit bilden, ist vor allem, die Arbeitslosigkeit in Deutschland abzubauen. Und da ist halt im letzten Jahr - unter dem Strich - so gut wie nichts geschehen.
DLF: Immer wieder wird auch die Angleichung der Gehälter im öffentlichen Dienst gefordert. Manfred Stolpe will dies zum 3.10.2000 geregelt wissen. Ist es nicht Zeit, nach fast 10 Jahren Einheit die Tarife in Ost- und Westdeutschland anzugleichen?
Vogel: Natürlich ist es Zeit und natürlich ist es ein Ärgernis, dass wir zusammengefunden haben, aber der Soldat in Erfurt einen niedrigeren Sold bekommt als der Soldat in Augsburg oder in Münster. Und natürlich ist es ein Ärgernis, dass in meinem Büro immer noch im selben Zimmer zwei Leute sitzen, die völlig das gleiche tun und dasselbe für ihre Miete und für ihr Bier zahlen, aber unterschiedlich entlohnt werden. Das ist ein Ärgernis, und das darf man auch nicht beschönigen. Aber wer sagt, das sei kurzfristig zu beseitigen, der wird sein Wort nicht halten können. Es ist nicht kurzfristig zu beseitigen, weil ich der Sorge um Arbeitsplätze den Vorrang einräume. Und wenn ich zu rasch auf gleiches Lohnniveau komme, kostet das Arbeitsplätze. Und das kann ich nicht verantworten. Meine Priorität ist ganz klar: Abbau der Arbeitslosigkeit und eine Zielvorgabe, wie ich wenigstens in Schritten in den nächsten Jahren zu gleichen Lohn- und Gehaltsverhältnissen in Ost und West komme.
DLF: Da muss man schon mal die Frage nach den Jahren stellen. Wenn also offenkundig 10 Jahre – wenn ich Sie da richtig verstanden habe – zu kurzfristig sind: Welche Jahreszahl ist dann nicht mehr kurzfristig?
Vogel: Nun ja, in den 10 Jahren sind wir ja von 35 Prozent im öffentlichen Dienst auf 86 gekommen. Das lässt sich ja sehen. Jetzt muss eine Perspektive kommen für 100. Ich bin deswegen so vorsichtig, weil es etwas damit zu tun hat, wie der wirtschaftliche Aufschwung sich weiterentwickelt. Aber ich kann nicht erst eine Jahreszahl setzen und dann sagen, wie ich es finanzieren will.
DLF: Der Bundeskanzler wollte den Aufbau Ost ja zur Chefsache machen. Sind Sie zufrieden mit der Aufmerksamkeit, die Schröder und sein dafür zuständiger Staatsminister Schwanitz den neuen Ländern widmen?
Vogel: Offen gesagt: Ganz und gar nicht. Lesen Sie die Parteitagsrede von Schröder auf dem SPD-Parteitag in Berlin und schauen Sie, wie oft die neuen Länder vorgekommen sind. Gerhard Schröder hat schon als Ministerpräsident von Niedersachsen mit den neuen Ländern und mit dem Einigungsprozess nicht viel im Sinn gehabt. Was Herrn Schwanitz betrifft: Es ist Mode, ihn zu kritisieren. Ich kritisiere nicht Herrn Schwanitz, sondern ich kritisiere, dass er keine Zuständigkeiten hat.
DLF: Sie haben ja – Stichwort 'Verkehrsinfrastruktur' – auch Grund, sich zu beklagen. Ich denke da an Ihre Versuche, die ICE-Verbindung von München nach Berlin auch nach Thüringen zu bringen.
Vogel: Wir liegen in der Mitte Deutschlands, auch wenn wir ständig als ostdeutsches Land bezeichnet werden. Und diese günstige Position verlangt, dass der Nachholbedarf an Verkehrsanbindung gedeckt wird. Hier ist 50 Jahre kein Kilometer Autobahn gebaut worden, das muss nachgeholt werden. Und ähnliches gilt für die Schiene.
DLF: Der Solidarpakt läuft in fünf Jahren aus. Brauchen wir ihn darüber hinaus?
Vogel: Wir brauchen eine Fortsetzung des Solidarpaktes. Wir können 2004 nicht davon ausgehen, dass die Aufgabe 'Aufbau Ost' gelöst ist. Dies ist keine thüringer oder sächsische Aufgabe, sondern das ist eine gesamtdeutsche Aufgabe, denn der Krieg ist nicht von den Thüringern verloren worden, sondern von den Deutschen.
DLF: Auch in Thüringen zog die PDS bei der jüngsten Landtagswahl an der SPD vorbei. Muss man sich darauf einstellen, dass die Post-Kommunisten der stärkste politische Gegenpart der Union werden?
Vogel: Am Wahlabend habe ich mich über das schlechte Abschneiden des Konkurrenten der SPD gefreut. Inzwischen sage ich: Es ist nicht gut, dass die SPD auf Platz drei und die PDS auf Platz zwei liegt und die stärkste Oppositionspartei ist. Was die PDS betrifft – das ist meine persönliche Meinung: Ihr langfristiges Ziel ist nicht 'ostdeutsche Regionalpartei', sondern 'gesamtdeutsche Linkspartei'. Das eigentliche Interesse der PDS geht auf die alten Länder und nicht auf Dauer auf die neuen Länder allein.
DLF: Geben Sie ihr dort eine Chance?
Vogel: Das hängt davon ab, ob die SPD die Gesetze der Volkspartei beachtet und dafür sorgt, dass links von ihr keine Partei auf Dauer eine Chance hat – genau so wie die Union auf dem rechten Spektrum dafür zu sorgen hat.
DLF: Eine letzte Frage, Herr Ministerpräsident: Egon Krenz soll in dieser Woche seine Haft antreten. Für sie ein wichtiger, ein richtiger Schritt in der Debatte über das Erbe der DDR?
Vogel: Der Termin des Haftantritts beschäftigt mich nicht. Das ist eine sekundäre Frage. Das Urteil beschäftigt mich, und ich bin sehr froh, dass das Oberste Gericht dieses Urteil bestätigt hat. Denn es geht doch nicht, dass wir den Soldaten der Volksarmee, der an der innerdeutschen Grenze Dienst getan hat, den Prozess machen, aber dem, der eine wesentliche Mitschuld für das ganze System trägt, nicht. Und insofern bin ich sehr froh, dass das Urteil bestätigt worden ist, ob nun Herr Krenz vor oder nach Weihnachten in den Strafvollzug geht.
DLF: Halten Sie es für möglich, dass Kohl den Spendenfluss gesteuert hat, um seine persönliche Macht in der Partei zu festigen?
Vogel: Nein. Das schließe ich ebenso aus wie jede persönliche Bereicherung. Helmut Kohl ist viel zu viel 'Parteisoldat', als dass so etwas für ihn in Frage käme. Was ihn immer geleitet hat ist, die Partei zu einer schlagkräftigen Volkspartei zu machen. Und in seiner Amtszeit ist es ja immerhin gelungen, die Mitgliederzahlen mehr als zu verdoppeln. Das war sein Ziel, und dafür hat er gelebt – sicherlich nicht der Käuflichkeit von Macht wegen.
DLF: Er hat aber ja zugegeben, an der Partei vorbei von diesen Anderkonten gewusst zu haben. Damit bleibt doch eine Art moralisches Vergehen, oder nicht?
Vogel: Er hat für das, was geschehen ist in seinem Verantwortungsbereich die Verantwortung übernommen. Das ehrt ihn und das geht in Ordnung, und das betrifft offensichtlich auch Konten, die nicht im Regelwerk der Partei aufgetaucht sind. Dem muss nachgegangen werden, und dem geht die neue Parteiführung mit großer Energie nach.
DLF: Persönliche Macht ist die eine, und politische Einflussnahme ist die andere Seite. So lange man nicht weiß, woher das Geld kommt, so lange wird wohl ein Schatten bleiben – etwa, um ein Beispiel aus den neuen Ländern zu nehmen, das auch Gegenstand des Untersuchungsausschusses sein wird: Bei der Privatisierung der Chemiewerke Leuna und beim Verkauf des MINOL-Tankstellennetzes an den französischen Konzern Elf Aquitaine. Wie will die CDU diesen Schatten loswerden?
Vogel: Ich glaube, wir müssen die Dinge, um sie sachgerecht zu behandeln, unterscheiden. Es ist einmal die Frage: Gab es außerhalb des Parteiregelwerkes Konten, wer hat sie geführt? - Das hat ja der Parteivorsitzende nachweislich nicht selbst getan -, wer hat Spenden dort gemacht? Sind diese Spenden nach dem Parteiengesetz behandelt worden oder nicht? Das ist der eine Komplex. Der andere Komplex des Untersuchungsausschusses des Bundestages, der sich ja nicht mit der Parteifinanzierung beschäftigt, ist die Frage – ich sage es mal sehr vereinfacht –: War Politik käuflich? Und hier bin ich der felsenfesten Überzeugung – es wird sich ergeben –: Sie war nicht käuflich, auch nicht im Fall Chemie. Hier sehe ich die Sache so, dass gegen erbitterten Widerstand auch westdeutscher Chemiestandorte die Bundesregierung und der Bundeskanzler selbst dafür eingetreten sind, dass auch in den neuen Ländern ein gleichwertiger Chemiestandort entsteht und dafür mit aller Macht sich eingesetzt haben. Das ehrt sie. Der Standort liegt nicht in Thüringen, er liegt in Sachsen-Anhalt, aber ich begrüße als Repräsentant eines neuen Landes ausdrücklich diese Bemühung, solche Standorte nicht nur im Westen, sondern auch im Osten zu haben.
DLF: Nun gab es ja so etwas, was man gemeinhin das 'System Kohl' nannte. Und das System hat ja nicht geendet mit der Wahlniederlage im September vergangenen Jahres, dazu war Kohl über Jahrzehnte viel zu dominierend in der Partei. Wolfgang Schäuble hat jetzt den Begriff 'Patriarch' benutzt. Dieses Netz - dieses Verwobensein mit den Strukturen - kann sich ja, wie wir jetzt sehen, auch als Belastung darstellen. Ist der Ehrenvorsitzende mittlerweile zu einer Art Bürde für die Union geworden?
Vogel: Zunächst ist das Wort 'System' plötzlich modern. Man spricht jetzt vom 'System Kohl' und in Nordrhein-Westfalen spricht man vom 'System Rau'. Gemeint ist damit der Führungsstil von herausragenden Politikern, die über besonders lange Zeit Verantwortung – übrigens durch Wahlen immer wieder regelmäßig bestätigt – getragen haben und die jeder ihren Stil entwickelt haben. Das ist richtig, aber das mit dem etwas haut goût 'System' zu bezeichnen, das lehne ich ab. Worüber man sprechen kann, ist: Wie hat Helmut Kohl 25 Jahre die Partei geführt, und ich lehne es ab, dass – weil jetzt Vorwürfe gegen Kohl erhoben werden – jetzt manche gleich in Deckung gehen und wegducken und so tun, als hätten sie nur ganz entfernt gelegentlich mal mit Helmut Kohl zu tun gehabt. Nein: Mit gefangen – mit gehangen.
DLF: Es gibt in der Führung der Union allerdings auch Stimmen, die jetzt fordern – in der Regel werden sie allerdings nicht mit Namen zitiert –, die fordern, man müsse jetzt härter an Helmut Kohl herangehen; er wisse mehr, als er schon gesagt habe. Und dann gibt es die andere Meinung, die Sie – glaube ich – gerade formuliert haben. Ist da in der Führung der Partei auch eine Art Konflikt?
Vogel: Zunächst möchte ich einmal feststellen, dass der jetzige Parteivorsitzende einen anderen Stil pflegt als sein Vorgänger. Die Partei wird heute anders geführt als sie in der Kohl-Ära geführt worden ist. Das ist gut und auch voll berechtigt, denn es handelt sich um zwei verschiedene Persönlichkeiten. Später wird dann irgendein Kritiker vom 'System Schäuble' reden – etwa auch der Umgang des Bundesvorsitzenden und der Generalsekretärin miteinander. Kohl hat seinerseits im Präsidium und anderswo jede Mithilfe bei der Aufklärung der Vorwürfe angeboten. Das ist gut. Ich bin nicht für ein Abrücken und ich bin auch nicht für ein Näherrücken, sondern ich bin dafür, bei der Wahrheit zu bleiben. Die 25 Jahre Kohl als Parteivorsitzender und die 16 Jahre Kohl als Kanzler waren gute Jahre für Deutschland. Und daran ändern jetzt erhobene Vorwürfe nichts.
DLF: Dass Kohl tagelang verschwieg, die Protokolle der Vernehmung des Steuerberaters Weyrauch zu kennen, das trug ja aber nicht gerade zur Verbesserung des Klimas zwischen dem Ehrenvorsitzenden und dem Vorsitzenden bei.
Vogel: Ich habe keinen Anlass zu glauben, dass Kohl das verschwiegen hat. Hans Terlinden, der treue und loyale Mitarbeiter, hat in diesem Fall einen Fehler gemacht und hat das Protokoll nicht an den Bundesvorsitzenden, sondern an den Ehrenvorsitzenden weitergeleitet. Da lag der Fehler. Nicht Kohl hat das verschwiegen, sondern hier ist einem sehr, sehr verdienten Mann ein Fehler unterlaufen.
DLF: Schäuble hat ja im Anschluss daran Terlinden beurlaubt. Ein richtiger Schritt?
Vogel: Ja, so schwer es mir fällt, denn ich schätze und kenne Hans Terlinden seit vielen Jahren. In dieser Situation, wo es um absolute Aufklärung der Vorgänge geht, musste Wolfgang Schäuble wohl so handeln; leider – füge ich hinzu.
DLF: Versuchen wir mal ein bisschen der Sache auf den Grund zu gehen. Allen, die verantwortlich mit Geld umgehen, müssen sich ja eigentlich die Haare sträuben angesichts der Tatsache, dass in der CDU-Kasse die Einnahmeseite jahrelang von der Ausgabenseite getrennt war. Das heißt, dass also Generalsekretär und Geschäftsführer nicht wussten, woher das Geld kam, das sie ausgaben. Das soll ja nun geändert werden. Aber wie war so etwas überhaupt möglich?
Vogel: Das hat eine ganz einfache Begründung. Vor langer Zeit, noch vor Kohl, ist ein Schatzmeister berufen worden von der Partei, den man nicht dem Generalsekretär – der mehr eine Verwaltungsfunktion ausübte – unterstellen wollte. Darum hat man das damals getrennt, und darum wird übrigens – ganz im Gegensatz zum Generalsekretär´, der auf Vorschlag des Vorsitzenden von der Partei bestätigt wird – der Schatzmeister alle zwei Jahre von der Partei gewählt. Die demokratische Legitimation des Schatzmeisters ist besonders hervorgehoben. Aber es ist richtig, dass es an der Zeit ist, das zu ändern. Und ich stimme zu, dass man das auf dem nächsten Parteitag wohl auch tatsächlich ändern sollte.
DLF: Die Finanzlage der Union ist ohnehin angespannt. Nun kommen möglicherweise Rückzahlungen in zweistelliger Millionenhöhe hinzu. Steht die CDU vor dem Ruin?
Vogel: Die Finanzlage ist sehr angespannt, und die Diskussion der letzten Tage ist natürlich nicht dazu angetan, die Finanzlage zu verbessern. Möglicherweise – ich betone ausdrücklich 'möglicherweise' – könnte es zu Rückforderungen kommen. Ich denke nicht in zweistelligen Millionenbeträgen, aber ich weiß das nicht. Ich bin überzeugt, dass die CDU die Kraft hat – wenn es zu einer solchen Forderung kommt, sie zu bestehen. Das steht für mich außer Zweifel.
DLF: Schäuble hat Terlinden beurlaubt – wir haben darüber gesprochen. Schäuble wird möglicherweise andere Strukturen verändern. Ist der Vorsitzende am Ende der Affäre möglicherweise stärker als vorher?
Vogel: Ich hoffe das, wobei ich allerdings sagen muss: Seit Schäuble im Amt ist, führt er mit einem anderen Stil wie sein Vorgänger, aber mit dem richtigen Selbstbewusstsein und einer starken Einbindung des Präsidiums diese Partei. Ich begrüße das und ich denke, er hat die Erfolge, die die Union in 1999 in ungewöhnlichem Maße hatte, gut gemeistert. Er wird auch diese jetzige Schwierigkeit gut meistern. Im übrigen: Dass es für eine Partei nicht auf Dauer wolkenlosen Himmel gibt, das ist nicht ungewöhnlich. Und wir sind leider nach sehr, sehr wolkenlosen Zeiten in den letzten Monaten im Augenblick von schwarzen Wolken und von einem starken Gewitter heimgesucht.
DLF: Sie geben mir das Stichwort, Herr
Vogel: Die Umfragewerte lassen nach. Die Wahlkämpfer in Kiel und Düsseldorf haben Sorgen, eine sicher geglaubte Chance bei den kommenden Landtagswahlen einzubüßen. Wird es für Rühe und Rüttgers jetzt schwerer?
Vogel: Die Umfragen muss man beachten. Man muss aber beachten, dass sie Momentaufnahmen sind. Als ich zum Kandidaten für die CDU in Thüringen nominiert wurde, gaben wenige einen 'Pfifferling' für meine Chancen. Und viele haben mich gefragt: 'Wie konntest Du alter Esel Dich noch einmal in diese Aufgabe wagen? Du wirst einen schlimmen Abgang erreichen'. Das Wahlergebnis vom September war dann nicht schlecht für mich. Die Umfragen sind das eine und die Wahlergebnisse das andere. Ich hoffe, dass diese Vorwürfe sehr bald entkräftet werden und dass wir uns dann wieder auf die politische Diskussion konzentrieren, denn auf der Hauptbühne fallen gegenwärtig wichtige Entscheidungen bei der Regierung in Bonn, im Bundestag und im Bundesrat. Und die dürfen nicht ganz verdrängt werden.
DLF: Ich werde gleich darauf kommen. Einen Punkt wollte ich aber vorher noch mit Ihnen besprechen: Liegt ein womöglich noch größerer Schaden der Affäre nicht darin, dass dies auch Wasser auf die Mühlen der Politikverdrossenheit im Lande ist?
Vogel: Ja. Das ist eine Sache, die mich vor allem beschäftigt, weil ja in der Beobachtung häufig sehr vieles miteinander vermischt wird. Was die CDU betrifft, werden diese Anderkonten vermischt mit der Frage der politischen Entscheidungen bei den Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien. Die Vorwürfe gegen die CDU werden vermischt mit den Vorwürfen gegen den Ministerpräsidenten von Niedersachsen und jetzt auch gegen den Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. Und das alles führt dann zu neuer Partei- und Politikverdrossenheit, und das ist der eigentliche Schaden. Und da ist der eigentliche Punkt, wo wir alles tun müssen, um eine solche neue Welle der Politikverdrossenheit in Deutschland aufzuhalten. Sie schadet letztlich nicht einzelnen Persönlichkeiten, sondern unserem ganzen System.
DLF: Gibt es da auch so eine Art spezielle Komponente für die neuen Länder nach dem Motto: 'Früher hatten wir den schwarzen Kanal, jetzt haben wir die schwarzen Konten'?
Vogel: Nein, im Gegenteil. Ich beobachte: In den neuen Ländern ist das Thema, über das wir jetzt längere Zeit sprechen, eher weiter weg als in Bonn oder in Berlin. Und das hat auch einen sehr guten Grund. Wir haben hier einen sehr harten Alltag und haben nicht so wahnsinnig viel Zeit für Salongespräche.
DLF: In dieser Woche ist das Sparpaket der Bundesregierung im Vermittlungsausschuss, am Freitag dann im Bundesrat. Hans Eichel plant offenkundig die Freigabe von Bau- und Verkehrsmitteln in Höhe von 152 Millionen Mark zugunsten der Länder, von deren Zustimmung in den Verhandlungen abhängig zu machen. Können Sie das akzeptieren?
Vogel: Nein. Ich will zunächst einmal akzeptieren, dass der Bundesfinanzminister ernsthaft sparen will und dass ich von Anfang an gesagt habe, darin muss man ihn unterstützen. Aber in diese Art der Zusammenarbeit passen keine erpresserischen Elemente, und das hat beides nichts miteinander zu tun. Wir sind nicht auf einem Teppichmarkt und nicht auf einem Basar, sondern wir befinden uns in den beiden Parlamenten der Bundesrepublik Deutschland. Darum lehne ich es ab, obwohl ich beispielsweise an den Verkehrsleistungen brennend interessiert bin. Das ist der Lebensnerv in vielerlei Hinsicht für neue Länder, aber wir können nicht so tun, als spielen wir ein Kartenspiel.
DLF: Rund vier der angestrebten 30 Sparmilliarden des Finanzministers sind zustimmungspflichtig, darunter mit 2 ½ Milliarden das pauschalierte Wohngeld, das Eichel in die Verantwortung der Länder und Kommunen abschieben will – als größter Brocken. Sehen Sie hier oder in anderen Punkten Möglichkeiten der Annäherung?
Vogel: Gesetze, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, muss die Bundesregierung verantworten. Ich heiße nicht Lafontaine, ich will nicht alles blockieren und aufhalten. Gesetze, wo wir nur Einspruchsrecht haben, sollen in der Verantwortung der Bundesregierung bitte verabschiedet werden. Wo wir zustimmen müssen, übernehmen wir ein Stück Mitverantwortung. Und da muss mit uns geredet werden. Ich glaube unter dem Strich, dass in der Frage 'Familienleistungsgesetz', wo ja auch die Frage der Finanzierung offen ist, und in diesem Teil Sparpaket, wo das Wohngeld enthalten ist, dass hier am ehesten ein Kompromiss zu finden ist in der nächsten Woche. Wir wollen uns jedenfalls darum bemühen. Viel schwieriger ist das bei dem 'Verkehrswege-Planungs-Beschleunigungsgesetz'. Hier ist ein Lebensnerv on uns getroffen. Hier können wir das Jahr 2002 nicht akzeptieren; hier muss etwas dazukommen. Und besonders schwierig sind die gesundheitspolitischen Fragen, denn hier geht es um Weichenstellungen für Jahrzehnte.
DLF: Heute nachmittag tagt in Berlin das Bündnis für Arbeit. Es wird um den Vorschlag der Gewerkschaften einer 'Rente mit 60' gehen, ein Vorschlag, den die Rentenfachleute der Union ablehnen. Wie stehen Sie dazu?
Vogel: Von dieser 'Rente mit 60' halte ich nichts. Vom Bündnis für Arbeit möchte ich nur sagen: Es ist beachtlich, wie viel darüber geredet wird, dass man tagt – und wie wenig Ergebnisse dabei rauskommen. Ich möchte von meiner Seite mal sagen: Was absolut nicht geht ist, dass immer ein Mitspieler jeweils einem anderen erklärt: 'Wenn das und das nicht geschieht, spielen wir nicht mehr mit'. Die Verantwortung derer, die das Bündnis für Arbeit bilden, ist vor allem, die Arbeitslosigkeit in Deutschland abzubauen. Und da ist halt im letzten Jahr - unter dem Strich - so gut wie nichts geschehen.
DLF: Immer wieder wird auch die Angleichung der Gehälter im öffentlichen Dienst gefordert. Manfred Stolpe will dies zum 3.10.2000 geregelt wissen. Ist es nicht Zeit, nach fast 10 Jahren Einheit die Tarife in Ost- und Westdeutschland anzugleichen?
Vogel: Natürlich ist es Zeit und natürlich ist es ein Ärgernis, dass wir zusammengefunden haben, aber der Soldat in Erfurt einen niedrigeren Sold bekommt als der Soldat in Augsburg oder in Münster. Und natürlich ist es ein Ärgernis, dass in meinem Büro immer noch im selben Zimmer zwei Leute sitzen, die völlig das gleiche tun und dasselbe für ihre Miete und für ihr Bier zahlen, aber unterschiedlich entlohnt werden. Das ist ein Ärgernis, und das darf man auch nicht beschönigen. Aber wer sagt, das sei kurzfristig zu beseitigen, der wird sein Wort nicht halten können. Es ist nicht kurzfristig zu beseitigen, weil ich der Sorge um Arbeitsplätze den Vorrang einräume. Und wenn ich zu rasch auf gleiches Lohnniveau komme, kostet das Arbeitsplätze. Und das kann ich nicht verantworten. Meine Priorität ist ganz klar: Abbau der Arbeitslosigkeit und eine Zielvorgabe, wie ich wenigstens in Schritten in den nächsten Jahren zu gleichen Lohn- und Gehaltsverhältnissen in Ost und West komme.
DLF: Da muss man schon mal die Frage nach den Jahren stellen. Wenn also offenkundig 10 Jahre – wenn ich Sie da richtig verstanden habe – zu kurzfristig sind: Welche Jahreszahl ist dann nicht mehr kurzfristig?
Vogel: Nun ja, in den 10 Jahren sind wir ja von 35 Prozent im öffentlichen Dienst auf 86 gekommen. Das lässt sich ja sehen. Jetzt muss eine Perspektive kommen für 100. Ich bin deswegen so vorsichtig, weil es etwas damit zu tun hat, wie der wirtschaftliche Aufschwung sich weiterentwickelt. Aber ich kann nicht erst eine Jahreszahl setzen und dann sagen, wie ich es finanzieren will.
DLF: Der Bundeskanzler wollte den Aufbau Ost ja zur Chefsache machen. Sind Sie zufrieden mit der Aufmerksamkeit, die Schröder und sein dafür zuständiger Staatsminister Schwanitz den neuen Ländern widmen?
Vogel: Offen gesagt: Ganz und gar nicht. Lesen Sie die Parteitagsrede von Schröder auf dem SPD-Parteitag in Berlin und schauen Sie, wie oft die neuen Länder vorgekommen sind. Gerhard Schröder hat schon als Ministerpräsident von Niedersachsen mit den neuen Ländern und mit dem Einigungsprozess nicht viel im Sinn gehabt. Was Herrn Schwanitz betrifft: Es ist Mode, ihn zu kritisieren. Ich kritisiere nicht Herrn Schwanitz, sondern ich kritisiere, dass er keine Zuständigkeiten hat.
DLF: Sie haben ja – Stichwort 'Verkehrsinfrastruktur' – auch Grund, sich zu beklagen. Ich denke da an Ihre Versuche, die ICE-Verbindung von München nach Berlin auch nach Thüringen zu bringen.
Vogel: Wir liegen in der Mitte Deutschlands, auch wenn wir ständig als ostdeutsches Land bezeichnet werden. Und diese günstige Position verlangt, dass der Nachholbedarf an Verkehrsanbindung gedeckt wird. Hier ist 50 Jahre kein Kilometer Autobahn gebaut worden, das muss nachgeholt werden. Und ähnliches gilt für die Schiene.
DLF: Der Solidarpakt läuft in fünf Jahren aus. Brauchen wir ihn darüber hinaus?
Vogel: Wir brauchen eine Fortsetzung des Solidarpaktes. Wir können 2004 nicht davon ausgehen, dass die Aufgabe 'Aufbau Ost' gelöst ist. Dies ist keine thüringer oder sächsische Aufgabe, sondern das ist eine gesamtdeutsche Aufgabe, denn der Krieg ist nicht von den Thüringern verloren worden, sondern von den Deutschen.
DLF: Auch in Thüringen zog die PDS bei der jüngsten Landtagswahl an der SPD vorbei. Muss man sich darauf einstellen, dass die Post-Kommunisten der stärkste politische Gegenpart der Union werden?
Vogel: Am Wahlabend habe ich mich über das schlechte Abschneiden des Konkurrenten der SPD gefreut. Inzwischen sage ich: Es ist nicht gut, dass die SPD auf Platz drei und die PDS auf Platz zwei liegt und die stärkste Oppositionspartei ist. Was die PDS betrifft – das ist meine persönliche Meinung: Ihr langfristiges Ziel ist nicht 'ostdeutsche Regionalpartei', sondern 'gesamtdeutsche Linkspartei'. Das eigentliche Interesse der PDS geht auf die alten Länder und nicht auf Dauer auf die neuen Länder allein.
DLF: Geben Sie ihr dort eine Chance?
Vogel: Das hängt davon ab, ob die SPD die Gesetze der Volkspartei beachtet und dafür sorgt, dass links von ihr keine Partei auf Dauer eine Chance hat – genau so wie die Union auf dem rechten Spektrum dafür zu sorgen hat.
DLF: Eine letzte Frage, Herr Ministerpräsident: Egon Krenz soll in dieser Woche seine Haft antreten. Für sie ein wichtiger, ein richtiger Schritt in der Debatte über das Erbe der DDR?
Vogel: Der Termin des Haftantritts beschäftigt mich nicht. Das ist eine sekundäre Frage. Das Urteil beschäftigt mich, und ich bin sehr froh, dass das Oberste Gericht dieses Urteil bestätigt hat. Denn es geht doch nicht, dass wir den Soldaten der Volksarmee, der an der innerdeutschen Grenze Dienst getan hat, den Prozess machen, aber dem, der eine wesentliche Mitschuld für das ganze System trägt, nicht. Und insofern bin ich sehr froh, dass das Urteil bestätigt worden ist, ob nun Herr Krenz vor oder nach Weihnachten in den Strafvollzug geht.