Donnerstag, 28. März 2024

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Vogel (CDU) zu Thüringen
"Gestimmt haben wir für einen Mann der Mitte"

Bernhard Vogel (CDU) sieht keinen Tabubruch in der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. Der CDU sei nicht zu verübeln, dass sie den einzigen wählbaren Kandidaten gewählt habe, sagte er im Dlf. Ein Tabubruch wäre es allerdings, wenn es zu einer Zusammenarbeit mit der AfD käme.

Bernhard Vogel im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 06.02.2020
CDU-Politiker Bernhard Vogel am 19.07.2018 in seinem Haus in Speyer
"Für mich war das gestern eine große Überraschung. Ich hatte mit diesem Verlauf nicht gerechnet", erklärte CDU-Politiker Bernhard Vogel (imago/epd-bild/Thomas Lohnes)
"Ich kann der CDU nicht verübeln, dass sie den einzigen wählbaren Kandidaten gewählt hat", erklärte der 87-jährige CDU-Politiker Bernhard Vogel. Allerdings sei es ein unerhörter Vorgang, dass die AfD einen Kandidaten zur Wahl gestellt habe, aber ihn nicht selbst gewählt habe. Das hätte die CDU in Thüringen nicht ahnen können. An der klaren Ablehnung der AfD bestehe auch in der Thüringer CDU keinen Zweifel, so Vogel, "und natürlich auch nicht an der Ablehnung der Linken".
Ein Tabubruch, ein Dammbruch, eine Schande
Der vermeintliche Coup von FDP und CDU sei ein Dammbruch und eine Schande, kommentiert Philipp May. Allerdings seien die Bundesparteien auch mit Schuld an der verfahrenen Situation.
Bernhard Vogel war von 1976 bis 1988 Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz und von 1992 bis 2003 des Freistaats Thüringen.
Überraschende Wahl von Kemmerich
Der thüringische FDP-Landeschef Thomas Kemmerich war am Mittwoch mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD zum neuen Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden. Er lehnt Neuwahlen ab und rief alle demokratischen Parteien zur Zusammenarbeit auf.

Münchenberg: Herr Vogel, schwarzer Tag für Thüringen, so hat das gestern CDU-Generalsekretär Ziemiak gesagt. Ein schwarzer Tag auch für die CDU?
Vogel: Für mich war das gestern eine große Überraschung. Ich hatte mit diesem Verlauf nicht gerechnet. Und ich verstehe die allgemeine Aufgeregtheit und die allgemeine Empörung. Ich lege allerdings Wert darauf, dass man darüber nicht vergisst, was gestern eigentlich im Landtag geschehen ist. Es gab drei Wahlgänge. In den ersten beiden Wahlgängen kandidierte nur ein Repräsentant der Linken und ein Repräsentant der AfD. Die CDU hat sich konsequenterweise der Stimme enthalten. Im dritten Wahlgang kandidierten wieder diese beiden Kandidaten und Herr Kemmerich. Ich kann der CDU nicht von vornherein verübeln, dass sie den einzigen wählbaren Kandidaten gewählt hat. Sie konnte ja nicht ahnen, dass die AfD ihrem Kandidaten, der weiter kandidiert hat, nicht einmal eine Stimme gegeben hat.
Münchenberg: Herr Vogel, darf ich Sie da unterbrechen? – Es gab ja diese deutlichen Warnungen seitens der Bundes-CDU, die ja genau vor diesem Szenario, das dann am Ende eingetreten ist, gewarnt hat.
Vogel: Bei dem Szenario ist nicht berechnet worden, dass der AfD-Kandidat in drei Wahlgängen weiter zur Wahl stand, und man kann doch der CDU nicht grundsätzlich verübeln, dass sie sich, wenn sie zwei Kandidaten entschieden und energisch ablehnt, zu diesem dritten bekennt. Ein Tabubruch wäre es gewesen, wenn ein Kandidat der CDU sich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hätte wählen lassen. Ein Tabubruch wäre es gewesen, wenn wir einen Kandidaten der AfD gewählt hätten. Aber ich möchte doch mal feststellen: An der klaren Ablehnung der AfD besteht auch in der Thüringer CDU kein Zweifel und natürlich auch nicht an der Ablehnung der Linken.
Thomas Kemmerich (FDP), neuer Ministerpräsident von Thüringen, betritt nach der Wahl die Thüringer Staatskanzlei.
Früherer Bundesinnenminister Baum (FDP)​: "Ein Hauch von Weimar liegt über der Republik"
Thomas Kemmerich habe sich die AfD zum Steigbügelhalter gemacht – er müsse sein Amt als Ministerpräsident Thüringens räumen, forderte der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) im Dlf. Die AfD sei eine nichtdemokratische Partei.
"Gestimmt haben wir für einen Mann der Mitte"
Münchenberg: Darauf kommen wir gleich zu sprechen. Trotzdem noch mal die Frage, Herr Vogel. Das Risiko bestand, dass die AfD am Ende doch den Kandidaten der FDP mittragen würde, und dieses Risiko war auch der Landes-CDU in Thüringen sehr wohl bekannt. Warum hat man dann nicht einfach gesagt, wir gehen das Risiko erst gar nicht ein und wir enthalten uns?
Vogel: Soll man sich denn von der AfD vorschreiben lassen, wofür man sich bekennt? Wir dürfen uns doch nicht schon bei der Abstimmung über drei Kandidaten von der AfD bestimmen lassen. Was jetzt mit dem Ergebnis geschieht, ist im Wesentlichen Sache von Herrn Kemmerich. Aber dass man einen Mann der Mitte wählt, ist doch als solches noch kein Tabubruch. Ein Tabubruch würde daraus, wenn es tatsächlich zu einer Zusammenarbeit kommt, und die schließe ich selbstverständlich nach wie vor aus – nicht nur, weil es die Partei beschlossen hat, ich war ja selber dabei, sondern auch, weil es nach wie vor nicht in Frage kommt, dass man mit der AfD zusammenarbeitet.
Münchenberg: Aber unterm Strich bleibt doch stehen, Herr Vogel, Herr Kemmerich ist gewählt worden von CDU, FDP und auch mit der AfD, die ja in Thüringen besonders rechtsextrem auftritt.
Vogel: Ja, wie wir nach dem Wahlergebnis wissen. Aber vorher aus lauter Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen, empfiehlt sich als Regel nicht. Gestimmt haben wir nicht für die AfD, das kommt ja überhaupt nicht in die Diskussion, sondern gestimmt haben wir für einen Mann der Mitte. Die AfD ist dafür anzuklagen, dass sie ihren eigenen Kandidaten mit keiner Stimme unterstützt hat.
"Die CDU hat die Wahlniederlage noch nicht weggesteckt"
Münchenberg: Herr Vogel, rächt sich da vielleicht auch ein bisschen, dass Mike Mohring im Vorfeld so viel Gegenwind aus der Bundes-CDU bekommen hat? Da wurde ja auch überlegt, ob es eine Duldung der Linkspartei geben könnte oder einer linksgeführten Regierung. Hat die Bundes-CDU da vielleicht auch indirekt ein bisschen Mitverantwortung dafür, dass das gestern so schiefgelaufen ist?
Vogel: Wenn eine Partei Wahlen so hoch verliert, wie die CDU die Landtagswahlen verloren hat, dann führt das immer und überall zu einer gewissen Unsicherheit und zu einer gewissen Schwierigkeit. Die CDU hat die Wahlniederlage natürlich noch nicht weggesteckt. Das wäre auch völlig falsch. Insofern ist auch die CDU in Thüringen natürlich vor einen Erneuerungsprozess gestellt. Das ist ja selbstverständlich.
jörn Höcke, (r) Fraktionsvorsitzender der AfD, gratuliert Thomas Kemmerich (l., FDP), dem neuen Thüringer Ministerpräsidenten.
Zocken mit der Demokratie
Die Wahl des Ministerpräsidenten hat nicht nur Thüringen in eine politische Krise gestürzt. Unter der Leitung von Klaus Remme diskutieren Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Landeskorrespondent Henry Bernhard, der Demokratienforscher Wolfgang Merkel und der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer über die Wahl.
Münchenberg: Herr Vogel, Sie haben gesagt, das war gestern nicht absehbar und es war redlich, dass die CDU sich für den Kandidaten der Mitte entschieden hat. Auf der anderen Seite gab es ja gerade aus der CDU in Thüringen wiederholt Wortmeldungen, die für eine Zusammenarbeit mit der AfD geworben haben. Und der Vorwurf steht ja auch im Raum, dass es doch Absprachen gegeben haben soll.
Vogel: Zunächst gab es in der Diskussion in der Thüringer CDU sowohl Stimmen, man solle Herrn Ramelow unterstützen. Bei der letzten Sitzung, an der ich teilgenommen habe, war sogar mehrfach die Äußerung zu hören, er werde wohl im ersten oder zweiten Wahlgang sogar unmittelbar gewählt. Es gab auch Stimmen, man solle mit der AfD in Kontakt treten. Das hat es beides gegeben und darum ist die Einigung, einen wählbaren Kandidaten zu wählen, durchaus nicht so zu verdammen, wie jetzt alle Welt über die Thüringer CDU herfällt.
"Die Führung der CDU will mit der AfD nichts zu tun haben"
Münchenberg: Aber noch mal: Sind vielleicht die Berührungsängste zwischen der Thüringer CDU und der AfD gar nicht so groß?
Vogel: Doch! Die sind eindeutig und klar. Ich kenne niemand aus der Führung der Thüringer CDU, der irgendeinen Kontakt zur AfD will. Dass da und dort auch mal ein Landtagsabgeordneter so etwas geäußert hat, ist richtig, aber die Führung der CDU will mit der AfD nichts zu tun haben und wird auch jetzt – da bin ich ganz sicher – Herrn Kemmerich gegenüber äußern, eine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit ihm kommt nur in Frage, wenn eine klare Trennungslinie zur AfD gezogen ist.
"Auch mit Ramelow hätten wir eine Minderheitsregierung gehabt"
Münchenberg: Aber, Herr Vogel, wie soll das in der Praxis funktionieren? Die FDP steht alleine da, hat gerade mal fünf Stimmen im thüringischen Landtag. Die CDU will vielleicht mit ihr kooperieren, dann kommt man auf 26 Stimmen gegenüber einem Landtag, der 90 Stimmen hat. Wie soll da eine Regierung funktionieren, wenn Linke, Grüne und SPD schon gesagt haben, sie arbeiten nicht zusammen?
Vogel: Ob das funktioniert, ist in der Tat eine offene Frage. Nur erlaube ich mir die Bemerkung: Auch wenn Herr Ramelow gewählt worden wäre, hätten wir eine Minderheitsregierung gehabt. Es ist ja nicht so, dass stabile Verhältnisse verspielt worden sind, sondern eine Minderheitsregierung wollte ja auch Herr Ramelow bilden. Insofern ist in diesem Punkt kein Unterschied.
"Neuwahlen sind eine ersthafte Lösung des Konflikts"
Münchenberg: Aber der Unterschied ist, dass die AfD jetzt eine tragende Rolle spielen wird im Thüringer Landtag.
Vogel: Ja wenn sie die spielt, kommt für uns eine Kooperation oder sonstige Zusammenarbeit auf keinen Fall in Frage. Gestern hat sie nur eine Luftnummer gestartet, nämlich einen Kandidaten aufgestellt, aber ihn selber nicht gewählt, was ja an sich ein unerhörter Vorgang ist, und jetzt muss entschieden werden, ob Herr Kemmerich mit der Wahl umgehen kann, ob er damit zurecht kommt, oder ob das nicht geschieht. Und im Übrigen: Früher oder später Neuwahlen sind eine ernsthafte Lösung des Konfliktes. Man muss nur erst zu Neuwahlen kommen.
Münchenberg: Die Frage ist ja jetzt schon, Stichwort Neuwahlen: So einfach ist das gar nicht umzusetzen. Droht jetzt in Thüringen erst mal eine Hängepartie?
Vogel: Es droht zunächst mal eine Hängepartie, aber ich möchte jetzt mal doch sagen, Thüringen wird in diesem Jahr 100 Jahre alt, hat schon viele Krisen in diesen 100 Jahren überstanden. So bedauerlich und so schwierig und so hemmend alles auch ist, ich würde die Diskussion nicht auf die Verzweiflung konzentrieren, sondern auf die Zukunftslösung.
Münchenberg: Trotzdem sagt ja auch die CDU in Thüringen, sie lehnt Neuwahlen erst mal ab. Und die zweite Frage, die sich ja schon auch stellt, ist: Es war ein demokratischer Prozess. Warum sollen es jetzt die Bürger richten, wenn die Politik sich so verzockt hat?
Vogel: Na ja. Neuwahlen pflegt man anzusetzen, wenn man nicht mehr weiter weiß. Das stand ja auch im Bund gelegentlich zur Debatte. Ich bin nur der Meinung, das darf man nicht von heute auf morgen machen, denn es muss die Gelegenheit sein zu hoffen, dass ein Neuwahl-Ergebnis ein anderes Ergebnis bringt als das gegenwärtige. Deswegen kann man das nicht in den nächsten Wochen machen. Außerdem braucht man dafür eine Mehrheit. Dass die CDU Neuwahlen unterstützen würde in Thüringen, bin ich sicher.
Debatte "muss mit sauberen Argumenten geführt werden"
Münchenberg: Herr Vogel, letzte Frage noch. Wie sehr schaden diese ganzen Vorgänge auch der CDU-Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, die ja eigentlich genau das verhindern wollte, was jetzt in Thüringen passiert ist?
Vogel: Die ganze Debatte ist unerfreulich und ich hätte mir gewünscht, dass sie nicht geführt wird. Aber wenn sie geführt werden muss, muss sie bitte mit sauberen Argumenten geführt werden und darf nicht mit Verdächtigungen hin- und hergeführt werden. Deswegen ist die Debatte in einer Demokratie immer die Voraussetzung für gute Lösungen und nicht das Ende der Beschäftigung mit den Fragen.
Münchenberg: Sie unterstellen der Parteivorsitzenden jetzt Verdächtigungen?
Vogel: Woher! Ich unterstelle Frau Kramp-Karrenbauer, die ich voll und ganz unterstütze und der ich in ihrer grundsätzlichen Position uneingeschränkt recht gebe, überhaupt nichts. Ich lege nur Wert darauf, dass man die Vorgänge von gestern nicht vor lauter Aufregung aus dem Blick verliert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.