Donnerstag, 28. März 2024

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Vogel: Ex-Terroristen wie andere Straftäter behandeln

Die Bundesanwaltschaft befürwortet eine vorzeitige Haftentlassung der früheren RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt. Hans-Jochen Vogel, der in den 70er Jahren Justizminister war, zeigte Verständnis für diese Empfehlung. "Ein langer Zeitablauf sollte nicht zum Vergessen der Tat führen, aber doch den Gedanken der Versöhnung, der Vergebung stärker nach vorne treten lassen", erklärte Vogel.

Moderation: Silvia Engels | 23.01.2007
    Silvia Engels: Sie haben es wahrscheinlich schon in den Zeitungen gelesen oder in den Nachrichten gehört. Die frühere RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt könnte bald frei kommen. Seit fast 24 Jahren ist die heute 57-Jährige in Haft. Sie galt als führender Kopf der so genannten zweiten Generation der RAF. Wegen ihrer Beteiligung an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer und wegen anderer Verbrechen wurde sie 1985 zu mehrfacher lebenslanger Haft verurteilt. Gestern nun beantragte die Bundesanwaltschaft, die Reststrafe zur Bewährung auszusetzen. Eine Entscheidung fällt wohl im Februar und dann könnte Frau Mohnhaupt bald frei kommen.

    Hans-Jochen Vogel war von 1974 bis 1981 Bundesjustizminister. Er hat also den Höhepunkt des RAF-Terrorismus in leitender Position erlebt und damit auch die damaligen Mühen des Rechtsstaates, mit dieser Bedrohung fertig zu werden. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen Herr Vogel!

    Hans-Jochen Vogel: Guten Morgen Frau Engels!

    Engels: Wie beurteilen Sie die mögliche Freilassung von Brigitte Mohnhaupt?

    Vogel: Da werden natürlich viele Erinnerungen an den Herbst 1977 und an frühere und spätere Anschläge wieder wach. Ich habe aber damals die Position vertreten und vertrete sie auch heute, dass auf diese RAF-Täter dieselben Rechtsgrundsätze und Praktiken angewendet werden müssen wie auf Täter, die ohne politische Motive Morde oder Mordversuche begangen haben. Ich habe immer den Forderungen von RAF-Leuten widersprochen, dass sie wie Kombattanten behandelt werden sollen. Nein: normale Straftäter! Infolgedessen ist es richtig, dass jetzt, nachdem die dafür im Gesetz vorgesehenen Fristen abgelaufen sind, im Falle Mohnhaupt eine Entscheidung getroffen wird. Da geht es einmal um die Schwere der Schuld, aber da haben die Gerichte ja schon deutlich gemacht, dass die 24 Jahre, die seitdem verflossen sind, was die Schwere der Schuld angeht ein Äquivalent darstellen. Nun müssen die übrigen Grundsätze angewendet werden, ob noch eine Gefahr von der Täterin ausgeht, wie weit ihr Resozialisierungsprozess fortgeschritten ist. Für mich würde auch ihre eigene Einstellung zu ihren damaligen Taten eine Rolle spielen.

    Engels: Das ist in der Tat ein interessanter Punkt. Sie führt sich ja wohl offenbar gut im Gefängnisalltag und sie gilt nach den Gutachten nicht als rückfallgefährdet. Da sind dann die Kriterien, die normalerweise auf Strafgefangene angewendet werden, für eine vorzeitige Freilassung gegeben. Aber eine ausdrückliche Reue hat Brigitte Mohnhaupt bislang öffentlich nicht gezeigt.

    Vogel: Hier besteht in der Praxis offenbar ein gewisser Unterschied zwischen den Fällen, in denen die Gerichte nach dem Gesetz zu entscheiden haben, wie im Fall Mohnhaupt, und den Fällen, wo der Bundespräsident oder je nachdem welches Gericht das Urteil gesprochen hat der Ministerpräsident eines Landes das Gnadenrecht ausübt. Beim Gnadenrecht bin ich mir ziemlich sicher, dass da auch eine Rolle spielt, wie der Täter zu seiner damaligen Tat steht und ob er sich gegenüber den Angehörigen in einem vertretbaren Sinne geäußert hat.

    Engels: Das heißt da kommen wir zum Beispiel Christian Klar. Auch er sitzt seit annähernd 24 Jahren in Haft. Doch hier ist der früheste Zeitpunkt, an der die jetzigen Regeln der Haftaussetzung wie für Brigitte Mohnhaupt greifen könnten, erst 2009. Doch Klar hat ein Gnadengesuch gestellt. Sie haben es angesprochen. Sollte Präsident Köhler, nachdem sich ja auch Klar bis jetzt nie öffentlich entschuldigt hat, trotzdem dem Gnadengesuch stattgeben?

    Vogel: Er sollte das sehr sorgfältig prüfen und abwägen und sollte entweder es vergleichen mit Gnadenerweisen, die er schon in seiner Amtszeit gegenüber wegen Mord verurteilten Personen gewährt hat, oder wie seine Vorgänger. Richard von Weizsäcker hat ja wiederholt Leute aus dem Bereich der RAF begnadigt, als erster glaube ich. Der Allererste, der einen Gnadenerweis ausgesprochen hat, war übrigens der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, also mein Bruder. Bei diesen Gnadenerweisen spielt nach meiner Kenntnis - ich will mich da nicht klüger machen als ich bin und das würde auch meinem Gefühl entsprechen - die Frage eine Rolle, wie hat sich der Betreffende heute zu seiner Tat und insbesondere auch gegenüber den Hinterbliebenen vernehmen lassen und geäußert. Ob das bei den gerichtlichen Entscheidungen auch so ist, da müsste ich mich über die Praxis orientieren. Jedenfalls bin ich dafür, dass die Betreffenden nicht besser, keinesfalls besser, aber auch nicht schlechter behandelt werden als andere, die wegen Mordes rechtskräftig verurteilt worden sind.

    Engels: Die Angehörigen der Opfer argumentieren ja in der Tat, uneinsichtige Mörder hätten eigentlich kein Recht auf die gnadenhalber gewährte vorzeitige Freilassung. Hat der Staat das Recht, Versöhnung anzubieten?

    Vogel: Ja. Das steckt ja auch im Begriff der Gnade, denn so weit kann man nun nicht gehen, dass der Gnadenerweis von der Zustimmung der Hinterbliebenen abhängt. So weit kann man nicht gehen. Es lassen sich aber keine starren Regeln für den Begriff der Gnade und den Gnadenerweis aufstellen. Ich meine ein langer Zeitablauf sollte nicht zum Vergessen der Tat führen - das wäre falsch -, aber doch den Gedanken der Versöhnung, der Vergebung stärker nach vorne treten lassen.

    Engels: Die Diskussion jetzt betrifft natürlich zwei individuelle Menschen, aber es ist ja auch eine gesellschaftliche Debatte. Ist es generell zu früh für eine Freilassung, oder wäre das eine Chance, einen Schlusspunkt des alten Konflikts zwischen RAF-Ideologie und Staat zu setzen, so wie die Grünen-Politikerin Vollmer das erklärt.

    Vogel: Frau Engels bei den bisherigen Begnadigungen oder Gerichtsentscheidungen - da ist es ja keine Begnadigung, sondern eine Aussetzung zur Bewährung - sind die Erwartungen wohl erfüllt worden. Mir wäre nicht bekannt geworden, dass es nach den Gnadenerweisen oder den Gerichtsentscheidungen zu unguten Situationen gekommen wäre, auch was die emotionale Situation gegenüber den Opfern und Angehörigen angeht. Ich meine es gehört zum Verständnis unserer Grundordnung und der Werte, die unserer Verfassung zu Grunde liegen, dass der Gedanke der Vergebung und der Sühne auch in solchen Fällen in kluger Weise miteinander verbunden wird.

    Engels: Hätten Sie das damals 1977 für möglich gehalten?

    Vogel: Nein! Frau Engels, ich muss Ihnen ehrlich sagen: Damals waren wir von den aktuellen Situationen und von der Erhaltung der Schutzfähigkeit des Staates und von der Rettung bedrohter Menschenleben so sehr in Anspruch genommen, dass wir über solche Dinge, die ja auch dann 20 Jahre noch gebraucht haben, keine Gedanken angestellt haben. Nein, wirklich nicht! Und wenn ich mir gerade den Moment vergegenwärtige, in dem die Nachricht von der Ermordung Hans-Martin Schleyers dann endgültig bestätigt wurde, oder auch an die Nacht in Mogadischu denke, nein, das hätten wir nicht erwartet.

    Aber das ist schon auch ein Wesen einer auf Werten beruhenden Gesellschaft, dass sie nicht ausdrücklich oder unausgedrückt dem Gesichtspunkt der Rache in einem solchen Zusammenhang noch ein gewisses Gewicht beimisst - das ist nicht das Wesen unseres Staates -, sondern zwischen Sühne und Vergebung den richtigen Ausgleich zu finden.

    Engels: Besten Dank! - Hans-Jochen Vogel, damals im deutschen Herbst Bundesjustizminist4er und früherer SPD-Vorsitzender. Ich bedanke mich für das Gespräch!

    Vogel: Bitte sehr Frau Engels!